Das allabendliche Chaos auf dem Berliner Avus oder rund um das Frankfurter Kreuz wirkt eher beschaulich, wenn man globale Maßstäbe ansetzt. Vor allem in rasch wachsenden Städten der Schwellen- und Entwicklungsländer ist der Verkehr eine der großen Herausforderungen auf dem Weg zu einer lebenswerten und überlebensfähigen urbanen Entwicklung. Zwei Karten aus Kairo verdeutlichen die Situation.
Karte 1: Pendelwege der Bewohner von Gated Communities im Großraum Kairo. Quelle: Eigener Entwurf 2011.
Die beiden hier gezeigten Karten sind im Zuge einer Abschluss-Arbeit über nachhaltige Stadtentwicklung im Großraum Kairo entstanden. Die erste Karte stellt tägliche Pendelwege einzelner Bewohner von Gated Communities zu ihren Ausbildungs- oder Arbeitsstellen im Großraum Kairo dar.Die Gated Communities liegen dabei zum größten Teil in neu angelegten Satellitenstädten, sogenanten "New Towns", während die meisten Arbeitsstätten für die Mitglieder der Oberschicht weiterhin im innerstädtischen Bereich, beispielsweise bei Regierungsstellen oder Ministerien angesiedelt sind. Somit legen einige der befragten Personen sehr weite Strecken mit dem Auto zurück - die Fahrtzeiten liegen teilweise bei über 2 Stunden in einer Richtung.
Verschärft wird die Situation dadurch, dass die meisten billigeren Wohngegenden im innerstädtischen (dunkelbraun dargestellten) Bereich liegen. Die Menschen aus diesen Gegenden arbeiten jedoch in großer Zahl in den Industrie-Komplexen der Satellitenstädte und pendeln täglich in der entgegengesetzten Richtung. Sie nutzen zumeist Sammeltaxis oder Minibusse. Das Ergebnis ist in jedem Fall ein inzwischen ganztägiges totales Verkehrschaos.
Auf dem Weg von der Innenstadt in die Satellitenstädte (und umgekehrt) durchqueren die Stadtautobahnen informelle Wohnquartiere der Unterschicht. Die Bewohner dieser Quartiere sind oft weniger vom Kairoer Verkehrsinfarkt betroffen, da sich ihre (ebenfalls informellen) Arbeitsstellen in fußläufiger Entfernung von ihren Wohnungen befinden. Einige der Bewohner dieser Viertel leben vom Verkauf von Waren entlang der Stadtautobahnen. Sie haben ein wirtschaftliches Interesse an den zahlreichen Verkehrsstaus - und blockieren auch mal die Straße um einen solchen zu erzeugen.
Angeblich ist die Verkehrssituation seit der Revolution noch viel schlimmer geworden. Die Polizei war im Anschluss an die Unruhen lange Zeit kaum im öffentlichen Raum präsent - angesichts fehlender Ampelanlagen sind es jedoch diese Beamten, die in der 20-Millionen-Metropole den Verkehr regeln sollen. Die Bewohner der Gated Communities nehmen es hin. Umsteigen auf öffentlichen Verkehr kommt für sie nicht in Frage - zu schmutzig und zu gefährlich. Außerdem sind bis heute kaum alternativen zu straßengebundenem Verkehr vorhanden.
Karte 2: Bestehende und geplante Nahverkehrsnetzwerke im Großraum Kairo. Quelle: Eigener Entwurf 2011.
Die zweite Karte illustriert den Zustand des öffentlichen Schienenverkehrsnetzes im Großraum Kairo. Zwar gibt es in einzelnen Stadtteilen eine seit Jahrzehnten vernachlässigte Straßenbahn, abgesehen davon ist die Metro jedoch das einzige Verkehrsmittel das dem allgegenwärtigen Stauchaos entgehen kann. So sind denn auch die bestehenden zwei U-Bahn-Linien in gutem Zustand und funktionieren tadellos. Allerdings decken sie nur einen sehr kleinen Bereich des Großraums ab.Besonders problematisch ist die bis heute fehlende Anbindung der neuen Städte rund um Kairo. Hier ist es bei Planungen und Absichtserklärungen geblieben. Dafür werden weiter breite Ausfallstraßen gebaut und innerhalb der Satellitenstädte sorgen vielspurige Verkehrsadern für hoffentlich fließenden Verkehr. Wer hier kein Auto besitzt, hat es schwer voran zu kommen. Nur vier der untersuchten Gated Communities können eine Anbindung an das Schienennahverkehrsnetz vorweisen. Viele Anwohner schätzen diese autofreundliche Politik in den neuen Städten: Sie hält ärmere Bevölkerungsschichten fern.
Im Netz:
Von der Weltbank gibt es eine Präsentation zur Verkehrssituation im Großraum Kairo, die die wichtigsten Fakten zusammenträgt.
Außerdem gibt es hier einen Blog zum Thema Mobilität und Transport in Entwicklungs- und Schwellenländern, ebenfalls von der Weltbank.