Stätten des Wissens. Die Universität Wien entlang ihrer Bauten 1365 – 2015

Von Buchwolf

Nachdem ich mich mit der Geschichte der Universität als Institution im allgemeinen beschäftigt hatte (siehe: Koch: Die Universität), reizte mich nun die Geschichte der Universität, die ich selbst besucht hatte: der Universität Wien.

Schon auf der „Buch Wien 2015“ war mir der schöne Bildband „Stätten des Wissens. Die Universität Wien entlang ihrer Bauten 1365 – 2015“ ins Auge gefallen, den ich mir dann kaufte und bald las, und zwar mit größtem Interesse und Gewinn.

Auch eine Geschichte der Universität Wien

Das Buch bietet nicht nur genaue Beschreibungen vieler wichtiger Universitätsbauten in Wien, sondern – unumgänglich, möchte man sagen – auch eine Geschichte der Universität Wien, die man braucht, um die Bauten überhaupt entsprechend würdigen zu können. Diese Geschichte, die sich in den Bauten niederschlägt, ist abwechslungsreich und spannend. Wie ein roter Faden durchzieht sie das Problem des Platzmangels, das offensichtlich systemimmanent ist, denn die Bauherren verschätzen sich immer, was die zukünftigen Entwicklungen der Institutionen betrifft. Sowohl die steigenden Studentenzahlen wie auch die Explosion des Wissens und damit der Forschungsgebiete und Institute, genauso aber auch der Publikationen, die in der Universitätsbibliothek Platz finden sollen, wurden immer grob unterschätzt.

Gegründet 1365

Gegründet wurde die Universität Wien 1365 von Herzog Rudolf IV., dem Stifter. Doch erst zwei Jahrzehnte später, unter Herzog Albrecht III., kam die Sache so richtig in Schwung. Man spricht sogar von einer „Neugründung“ der Universität durch Albrecht. Bauliches Zentrum der Universität war ein Kollegiengebäude auf dem Areal, das heute vom Jesuitenkloster in Anspruch genommen wird und etwas östlich der heutigen Jesuitenkirche liegt. Neben dieser „Zentrale“ der Universität gab es im Mittelalter zahlreiche weitere Bauten, die mit der Uni in Verbindung standen: ein weiteres Hauptgebäude südlich des ersten, die sogenannte „Neue Schul“ (eine traditionelle Unsitte, irgendwelche Bauten als „Neue …“ zu benennen, die zuletzt in den 60er-jahren des 20. Jahrhunderts zum Bau des noch heute so bezeichneten „Neuen Institutgebäudes“, kurz NIG, führte, das inzwischen schon so alt ist, dass es eine Generalsanierung über sich ergehen lassen musste) und zahlreiche „Bursen“ und „Kodreien“ innerhalb des Stadtgebiets. Eine Burse ist eine Art Studentenheim, geleitet von einem Magister, der dort auch für Ordnung und Studierbetrieb sorgte. Vom Wort „bursa“ stammt unser Wort „Bursche“ ab. Kodreien hingegen sind Bursen für arme Studenten, die sich die Bursen nicht leisten konnten. Das Leben in einer Kodrei war dementsprechend spartanisch.

Jesuiten

Nächster Schritt: Die Jesuiten bekommen den gesamten höheren Bildungsbetrieb Wiens übertragen. Sie bauen das Uni-Gebäude riesig aus und ergänzen es durch die prachtvolle barocke Universitäts- bzw. Jesuitenkirche. Der Universitätsbetrieb umfasst damals auch die Gymnasien bzw. deren Vorgängerinstitutionen, sodass viele Studenten erst 16 Jahre alt waren.

Bekanntlich legten die Jesuiten großen Wert aufs Theaterspielen, daher ließen sie auch einen entsprechenden Theatersaal einrichten.

Ausbildungsstätte nützlicher Staatsdiener

Während der Aufklärung gerieten die Jesuiten in Misskredit, der Orden wurde aufgehoben und die Universitäts-Agenden gingen in die Hand des Staates über. Unter Maria Theresia kümmerten sich berühmte Männer wie Joseph von Sonnenfels um die Neuorganisation der Universität, die nun als eine Ausbildungsstätte nützlicher Staatsdiener verstanden wurde und keineswegs als eine freie Forschungs- und Lehranstalt. Kontrolle allenthalben.

Die “Neue Aula”

Immerhin sorgte Maria Theresia dafür, dass die Uni ein standesgemäßes (wenn auch von Anfang an zu kleines) Hauptgebäude bekam: die „Neue Aula“ neben der Jesuitenkirche, ein wunderbarer spätbarocker Bau von Jean Nicolas de Jadot, heute auch als „Alte Universität“ und Sitz der Österreichischen Akademie der Wissenschaften bekannt. Der Festsaal mit schönen Deckenfresken, die vier Fakultäten vorstellend, ist noch heute berühmt, aber leider nur bei Veranstaltungen zugänglich. Während des Uni-Betriebs im 18. Jh. war der Saal, der das Uni-Gebäude im ersten Stock quer teilt, untertags ein Störfaktor, weil die Studenten lange Zeit nicht durchgehen durften, wenn sie von der einen Seite des Gebäudes auf die andere wechseln mussten, abends ein beliebter Konzertsaal, wo Haydn oder Beethoven Aufsehen erregende Konzerte gaben.

Zur Kaserne umfunktioniert

Die geistige Beengung des Studienbetriebs führte 1848 zum Befreiungsschlag in Form der maßgeblich von Studenten ausgeführten Revolution. Kaiser Franz Joseph ließ die Revolution zwar niederschlagen, die Uni wurde zur Kaserne umfunktioniert (nur die Sternwarte am Dach blieb als Universitätssternwarte mangels Alternative noch einige Jahrzehnte in Betrieb), aber immerhin begriffen die Bildungsminister, dass man den Universitätsbetrieb besser und vor allem freier organisieren musste. In Preußen war von Wilhelm von Humboldt ein neues, zukunftsträchtiges Universitätsideal ausgerufen worden: die Universität als Symbiose von Forschung und Lehre. Das sollte nun auch in Österreich verwirklicht werden.

Das Universitätsgebäude am Ring

Verständlich, dass eine Hauptstadt eines Kaiserreichs auch eine repräsentative Universität brauchte. Daher mussten die zahllosen Provisorien, die sich nach 1848 herausgebildet hatten, endlich beseitigt werden. Im Zug der Errichtung der Wiener Ringstraße mit ihren Prachtbauten sollte auch die Universität ihren gebührenden Platz erhalten. 30 Jahre lang diskutierte und plante man, bis sich schließlich der endgültige Bauplatz fand und man direkt an der Ringstraße zwischen Rathaus und Votivkirche die „Hauptuni“, wie sie heute von Studenten genannt wird, errichtete. Architekt war Heinrich von Ferstel. Eröffnet wurde das Gebäude 1884.

Es ist gleichsam ein Architektur gewordenes Kompendium der Bildungsideale des 19. Jahrhunderts. Ein umfangreiches Programm bildlicher Darstellungen und Inschriften zeigt alle wesentlichen Forscher und Gelehrten der Weltgeschichte an den Außenfassaden. Darüber hinaus ist auch die Architektur selbst Ausdruck des Bildungsideals: der Neorenaissance-Stil erinnert an die Zeit des Humanismus; der Mittelrisalit zitiert den Louvre als Bildungsstätte seit der französischen Revolution; die Seitenrisalite zitieren die Seitenfront der Biblioteca Marciana in Venedig, die Sgraffiti an der Rückwand lehnen sich an die Gestaltung von Gottfried Sempers Polytechnikum in Zürich an. Diese Architekturzitate sind mir bisher überhaupt nicht bewusst gewesen, was wiederum beweist, dass man nur sieht, was man weiß.

Universitätssternwarte

Das Hauptgebäude der Universität war Ende des 19. Jahrhunderts aber nur eines von mehreren bedeutenden Bauvorhaben. Daneben wurden z. B. die Universitätssternwarte, seinerzeit immerhin die größte der Welt, und mehrere Institutsgebäude errichtet. Alles in allem war die Universität Wien um 1900 eine der führenden Unis der Welt.

Diesen Status büßte die Uni im 20. Jahrhundert leider ein. Der Erste Weltkrieg führte zu „Brain drain“ und Stagnation beim weiteren Ausbau. Von 1938 – 1945 spielte die Universität eine unrühmliche Rolle. 1945 wurde sie zerbombt und musste rund zehn Jahre lang wieder aufgebaut werden.

Ab den 60er-Jahren ging es dann auch imagemäßig wieder bergauf. Auch die Studentenzahlen stiegen, sodass das bereits erwähnte NIG errichtet werden musste, um die Hörermassen aufzunehmen.

Campus Altes AKH

Ein besonders markanter baulicher Schritt war Ende des 20. Jh. der Umbau des aufgelassenen Alten Allgemeinen Krankenhauses zu einem modernen Universitätscampus in alten Mauern. Die beiden letzten Bauten, von denen das Buch berichtet, sind der Institutsneubau Währingerstraße 29 und der Umbau eines Bürogebäudes zum mathematischen Institutsgebäude am Oskar-Morgenstern-Platz 1.

Josephinum, “Narrenturm”, Universitätsbibliothek

Das Buch widmet auch Bauten, die nur indirekt mit der Universität zu tun haben, einige Abschnitte: z. B. dem Josephinum in der Währingerstraße oder dem dahinter befindlichen „Narrenturm“. Auch die Entwicklungsgeschichte der Universitätsbibliothek wird ausführlich dargestellt. Sie kulminiert im schönen großen Lesesaal der UB im Hauptgebäude der Uni. Was ich als Student nicht bemerkt hatte, ist die Tatsache, dass man, um Platz für einen weiteren Bücherspeicher zu bekommen, dessen Boden beim Wiederaufbau um satte zweieinhalb Meter angehoben hat. Jetzt, wo ich es weiß, erinnere ich mich, dass ich als Student beim Herausnehmen von Büchern aus dem Untergeschoß der umlaufenden Regale fast mit dem Kopf an der Galerie angestreift bin. Leider bietet das Buch keine Vergleichsfotos zwischen dem ursprünglichen und dem Zustand nach Anhebung des Bodens.

Das ist aber auch der einzige Abbildungsmangel, denn sonst ist der Band üppig bebildert.

Insgesamt ein überaus interessantes und informatives Buch, das einem die Wiener Universität und ihre Bauten bestens erschließt.

Stätten des Wissens. Die Universität Wien entlang ihrer Bauten 1365 – 2015. Hg. v. Julia Rüdiger und Dieter Schweizer. Böhlau, Wien u.a., 2015. 394 Seiten.

Bild: Wolfgang Krisai: Alte Universität Wien / Österreichische Akademie der Wissenschaften. Tuschestift, 2013.