Der Spielmannszug ist eine tolle Truppe. Mitglieder gibt es jeglichen Alters, von 5 bis über 70. Nicht nur, dass wir super Musik machen (wers nicht glaubt, kann sich HIER Hörbeispiele anhören), auch gemeinsame Freizeitaktivitäten stehen immer wieder auf dem Programm.
Diesmal war Bochum dran, eine etwas weitere Reise von Stuttgart aus.
Am Samstag um 6.30 Uhr war Busabfahrt. Insgesamt 43 Personen nahmen am Ausflug teil und der Bus war gut gefüllt.
Musiker sind ein lustiges Völkchen und so hatten wir von Anfang an Spaß und gute Laune und jeder freute sich auf diesen Ausflug.
Wir hatten uns ein kleines Mammutprogramm vorgenommen, das minutiös geplant war. Ganz ehrlich, viel hätte nicht dazwischen kommen dürfen, ein Stau hätte gereicht und wir wären in Schwierigkeiten gekommen. Aber was soll ich sagen... Wenn Engel reisen :-) Das Wetter war gut, auf der Hinfahrt erlebten wir keinen einzigen Stau und unser Busfahrer war klasse. Mit einer stoischen Ruhe ertrug er sämtliche Umleitungen, musste den Bus mehrfach wenden, weil er manche Straße, die das Navigationsgerät vorschlug, mit seinem großen und schweren Bus nicht befahren durfte... und weil er eine diebische Freude daran hatte, sein Navigationsgerät zu überlisten. Immer wieder nahm er eine andere Route als die vom Navi vorgeschlagene, immer wieder sagte er, dass er den Weg besser wisse... und immer wieder endete es damit, dass er mit waghalsigen Wendemanövern doch den vorgeschlagenen Weg nehmen musste.
Ich kann mit Fug und Recht behaupten, dass ich eine solche Busfahrt noch nie erlebt habe. Das war wirklich ein einmaliges Erlebnis.
Gegen 10.30 Uhr - mit einer halben Stunde Verspätung - erreichten wir unser erstes Etappenziel - die Festung Ehrenbreitstein in Koblenz am Deutschen Eck, wo Mosel und Rhein zusammen treffen. Von der BUGA 2011 steht noch bis zum Ende diesen Jahres die Panoramabahn, eine Seilbahn, mit der man über die Rhein hoch zur Festung fahren kann. Mit einer Seilbahn über den Rhein...für viele ein tolles Erlebnis...für Leute mit Höhenangst eher eine Herausforderung der besonderen Art. Ich gehöre zu dieser Gruppe und so sagte ich unserer Stabführerin Brigitte, ich würde freiwillig mit dem Busfahrer mit dem Bus zur Festung fahren, dort ie Truppe wieder treffen und dann den Weg zurück zum Bus zeigen. Noch rückte ich nicht mit dem wahren Grund meiner "freiwilligen Zurückhaltung" - meiner Höhenangst, heraus. Doch ich sollte nicht umhin kommen, mich am Abend diesbezüglich zu outen...
Panormabahn Koblenz - copyright by Nicola Bryniok
Eigentlich war geplant, dass auf der Festung einige wenige von uns Mittag essen würden. Die Essen waren vorbestellt. Doch das Restaurant befand sich auf dem Gelände der Festung, für das man Eintritt bezahlen musste. Also hätten wir zuerst 6 EUR Eintritt bezahlen müssen, um an unser Essen zu kommen. Unser straffer Zeitplan ließ jedoch eine Besichtigung der Festung nicht zu, und 6 EUR nur dafür zu bezahlen, dass man zu einem Restaurant kommt... da blutet jedem Schwaben das Herz! Keiner von uns brachte diese Verschwendung übers Herz und so ließen wir das Essen kurzerhand ausfallen. Manche verköstigten sich an einem Kiosk, andere aßen einfach nur ein Vesper im Bus, das für alle zur Verfügung stand (Danke Brigitte!).
Die Aussicht vor dort oben war toll, die Festung selbst wirkt bereits von außen eindrucksvoll und mächtig. Lange hielten wir uns nicht auf, denn um 11.30 Uhr fuhren wir bereits weiter nach Bochum.
Die Fahrt zur Starlight Express Halle verlief ohne Zwischenfälle und kurz nach 14 Uhr waren wir an unserem Ziel angekommen. Ich war aufgeregt wie ein kleines Mädchen zu Weihnachten. Seit Jahrzehnten möchte ich zu diesem Musical, aber irgenwie hatte das Leben immer anderes mit mir vor und ich schaffte es aus den verschiedensten Gründen nicht, mir diesen Wunsch zu erfüllen. Wenn der Spielmannszug nicht gewesen wäre, dann würde ich es heute noch nicht gesehen haben. Auch Justin freute sich darauf, es war sein erster Musical-Besuch.
Dieser Ausflug wurde für alle Mitreiseden aus der Kasse des Spielmannszuges finanziell subventioniert. Erst dadurch wurde es für mich überhaupt möglich, diesen Traum für Justin und mich wahr zu machen.
Total gebannt, fasziniert von der Musik, den Darstellern und ihrer herausragenden sportlichen und musikalischen Leistung, dem Bühnenbild und den Lichtershows wurde ich Teil dieser Aufführung (es war übrigens die 9.508. Show), applaudierte, bis mir die Handinnenflächen brannten, pfiff und schrie, winkte mit meiner Taschenlampe ... und heulte, als der Hauptdarsteller das Lied "Starlight Express" sang. Da hatte er mich komplett abgeholt, da wäre ich am liebsten zu ihm auf die Bühne gegangen. hätte ihn in den Arm genommen und hätte ihm gesagt, dass alles gut werden würde... so inbrünstig und rührend hatte er dieses Lied gesungen.
Mein Lieblingscharakter allerdings war die Papa-Dampflok. Was für eine Stimme, was für eine Komik, was für eine Ausstrahlung!
Auch Justin saß gebannt und fasziniert da und ließ sich bezaubern. Ich glaube, für ihn waren die Lasershows sehr beeindruckend, die waren aber auch klasse!
Starlight Express Darsteller-Plan im Foyer - copyright by Nicola Bryniok
Plakat im Foyer - copyright by Niola Bryniok
Rollschuhbahn in Starlight Express - copyright by Nicola Bryniok
Soweit ich mitbekommen habe, gab es niemanden in unserer Gruppe, dem das Musical nicht gefallen hätte, nur von unserem Schlagzeuger Sören habe ich gehört, dass er während der Vorstellung "etwas müde" war...
Gegen 17.45 Uhr ging es dann endlich zu unserer Unterkunft, dem Kulturhostel BOLA in Bochum, schön mitten im Grünen gelegen. Unser Busfahrer hatte sehr zu kämpfen, dass er die Straße hoch kam, denn am Anfang war eine scharfe und enge Rechtskurve, die von PKW's zugeparkt war. So gingen wir mit unserem Gepäck zu Fuß die steile Straße hinauf. Am Ende folgten dann noch steile Treppen...ich hätte danach eine gute Dampflok in Starlight Express abgegeben, so außer Atem war ich.
Im Hostel war bereits alles für uns vorbereitet, wir bezogen in Rekordtempo unsere 2-, 4-, und 6-Bett-Zimmer und bezogen auch unsere Betten. Anschließen aßen wir sofort zu Abend und gegen 19.45 Uhr gings weiter zum Landschaftspark Duisburg. Zuvor jedoch musste uns die Polizei helfen, damit der Halter des PKW's, der die scharfe Kurve blockierte, wegfuhr, damit unser Bus um die Ecke kam.
Der Landschaftspark Duisburg ist ein stillgelegtes Stahlwerk - eine Hütte. Auf ihrem Gelände in ihren imposanten Industriegebäuden haben die findigen Ruhrpottler Kino und Theater eingebaut. Es gibt Veranstaltungshallen dort, im Hauptschalthaus ist ein gehobenes Restaurant untergebracht und im ehemaligen Gasometer entstand ein Sporttauchbecken. Die Taucher müssen sich allerdings 20m weiter in einem anderen Gebäude umziehen und wenn man im Sommer schräg gegenüber im Biergarten sitzt, dann kann es schon mal vorkommen, dass man sich die Augen reibt und an eine Halluzination glaubt, wenn über das Hüttengelände plötzlich ein Taucher in voller Montur über das Hüttengelände zum Gasometer watschelt.
Die Außenwände der Lagerhallen wurden abgetragen und an den dicken, über 20m hohen Stützsäulen aus Steinen gebaut trainieren heute die Kletterer des Ruhrpotts. Selbst Weltmeisterschaften fanden dort schon statt. Auch der Alpenverein Duisburg hat hier seinen Sitz, hat seine Hütte also in einer (Stahl)Hütte, ganze 23m über dem Meeresspiegel.
An den Wochenenden und an Feiertagen werden die Industriebauten dieser Hütte in verschiedenen Farben beleuchtet, in blau, grün und rot. Das sieht einfach gigantisch aus. Diese Hütte, die übrigens eine kleine Hütte ist, denn das Gelände ist "nur" so groß wie ca. 200 Fussballfelder, ist ein El Dorado für Fotografen, für Kulturinteressierte, für Interessierte der Industriegeschichte - und für einen Bus voll Muisk machender Schwaben - kurz: wir waren begeistert. Einen großen Anteil an unserer Begeisterung hatte auch der Hüttenführer der "Senioren"Gruppe, der auch ich angehörte. Dieser Mann mit seinem schlohweißen langen Haar,das er zu einem Pferdeschwanz zusammen gebunden hatte, ist ein Ruhrpott-Original, der in dem typischen Ruhrpott-Deutsch einen Kalauer nach dem anderen brachte und uns damit bestens unterhielt.
Am beeindruckendsten war wohl die Besichtigung des Hochofens. Auch für mich, wenngleich auch aus ganz eigenen Gründen. Dieses riesen Gebäude konnte man mit Hilfe der über 200 Treppen besteigen, ganz hoch hinaus konnte man und hatte dann eine wunderschöne Aussicht.
Schon als ich die ersten Stufen sah, wurde mir übel. Ich bockte wie ein kleiner Esel, blieb einfach stehen und sagte:"Da gehe ich nicht mit rauf!" Brigitte sah mich ungläubig an und fragte:"Warum?" Da gestand ich ihr, dass ich Höhenangst hatte. Ich kann keine Treppen besteigen, die aus Stahlgitter gefertigt sind, da kann man durchschauen und dann wird mir schwindelig und dieses schrecklich beklemmende und lähmende Gefühl steigt in mir hoch. Dann kann es durchaus passieren, dass ich mitten auf der Treppe stehen bleibe und mich nicht mehr bewegen kann, weder vorwärts noch rückwärts. Das wollte ich mir und den anderen ersparen und wollte unten bleiben, doch Brigitte sprach beruhigend wie bei einem Kind auf mich ein. "Du gehst jetzt da mit. Du darfst einfach nicht nach unten schauen, immer geradeaus oder nach oben schauen, gaaanz ruhig, ich bin direkt hinter dir!" Na super! Also probierte ich es und die erste Etappe ging eigentlich auch ganz gut, wenngleich ich Schweißperlen auf er Stirn hatte. Die zweite, kleine Etappe machte ich wegen guten Zuredens durch Brigitte und weil sie meine Hand hielt und beruhigend streichelte, auch noch mit, aber bei der dritten, die alleine 207 Stufen hatte, da streikte ich dann doch. Ich hielt mich krampfhaft am Geländer fest und wartete mit einer Handvoll anderer " Schisser", bis die Gruppe wieder zurück kam. Anschließend stand der Abstieg wieder an. An dieser Stelle eine von Herzen kommende Entschuldigung an alle, die nach mir die Treppen hinunter gehen mussten, denn ich ging in Zeitlupe, mich links und rechts krampfhaft am Geländer der schmalen Treppe festhaltend. Ich stöhnte laut und betete leise und dachte:"Warum tust Du Dir das eigentlich an?" Langsam, ganz langsam kam ich dem festen und beruhigenden Untergrund immer näher. Chistine, unsere Keyboarderin, kümmerte ich liebevoll um mich und gegen Ende auch Frank, ein Fanfarenspieler, der sich kugelig über mich lachte, weil ich mich immer noch krampfhaft festhielt, als ich bereits auf der vorletzten Stufe stand. Was für eine Erleichterung, als ich endlich wieder festen Boden unter den Füßen hatte. Für die nächsten Jahre war das für mich sicherlich der letzte Ausflug in die Höhe.
Landschaftspark Duisburg - copyright by Nicola Bryniok
Sören, unser Schlagzeuger,der im Musical mit der Müdigkeit gekämpft hatte, war begeistert von der Hütte. Er sagte mir danach:"Ich befürchtete schon, dieser Auflug in den Landschftspark führt uns in den Wald und wir schauen uns irgendwelche nachtaktive Ameisen an. Aber das hier war echt gigantisch!" Erst verstand ich nicht, was er meinte und war einfach nur froh, dass es ihm gefallen hatte. Später, einen Tag später hatte ich ein ähnliches Gespräch mit Jana, einer Flötistin, und die meinte in ähnlicher Weise, dass sie davon ausgegangen wäre, dass wir in einem Landschaftspark bei Nacht vielleicht eine Blume besichtigen würden, die nur bei Nacht blüht. Erst da verstand ich, dass der Name "Landschaftspark" falsche Assoziationen botanischer Art in so manchem Mitreisenden ausgelöst hatte. Der Besuch im Landschaftspark wurde so unbeabsichtigt zu einem Überraschungsausflug und kam sehr gut bei den meisten an. Viele von uns wollen nochmals dorthin gehen und dieses gelungene Industriemonument, das zu einem Kulturtreff und Touristenmagnet geworden ist, auch bei Tageslicht nochmals anschauen.
Dann ging es zurück zu unserer Unterkunft, nicht ohne uns in Essen mehrmals zu verfahren. So kam ganz automatisch noch ein weiterer Programmpunkt auf unserer Reise dazu: eine Rundfahrt durch Essen bei Nacht. Die meisen nahmens mit Humor und endlich - geben Mitternacht - kamen wir im Hostel an. Dort wartete noch ein Saal und 2 mit Getränken gefüllte Kühlrschränke auf uns.
Es wurde zur letzten Runde eingeladen, dem "Absacker". Auch ich nahm daran teil. Ich unterhielt mich mit unserer Flötistin Anette über die Narkolepsie, der Schlafkrankheit also. Irgendwie war das das falsche Thema. Ich wurde immer müder und müder und konnte kaum mehr mein Augen offen halten. Es kam was kommen musste, ich verabschiedete mich als eine der Ersten und ging gegen 1 Uhr morgens zu Bett.
Justin und die anderen Jungs waren erst gar nicht mit zum "Absacker" gekommen. Die Jungs, die dabei waren, hatten ein gemensames Zimmer und machten ihre eigene Party.
Gegen 7.15 Uhr wachte ich auf und meine 3 Zimmergenossinnen und ich machten uns abreisefertig und gingen zum Frühstück.
Danach starteten wir gegen 9.45 Uhr Richtung Aachen, um dort eine Altstadtbesichtigung zu machen. Wir schafften es nicht bis zum vereinbarten Termin um 11.30 Uhr und verspäteten uns um ca. eine halbe Stunde, doch unsere gebuchten Stadtführer warteten auf uns und mussten ihre gewohnte Tour extra für uns gleich am Anfang um eine Attraktion weiter ausweiten: der Toilette! So viele von uns mussten erst mal dringend auf Toilette, bevor die Führungen los gehen konnten. Unsere Führer nahmens mit Humor. Eine kleine Gemeinheit konnte sich die Stadtführerin der "Seniorengruppe" jedoch nicht verkneifen und führte uns zuerst zum Elisenbrunnen, ans fließende Wasser, damit der Druck auf der Blase erst noch ein bisschen mehr wurde, bevor sie uns endlich zu einer Toilette führte. Danach gabs nur noch strahlende Gesichter!
Aachen hat mich beeindruckt. Diese Stadt hat Charme und Leben. Und sie ist sehr schön. Die Altstadt alleine ist eine Reise wert. Unsere Stadtführerin war ebenfalls sehr charmant und machte ihre Sache richtig gut.
eine der interessanten Fassaden des Aachener Münster - copyright by Nicola Bryniok
unsere müden Jungs an einem der zahlreichen Brunnen in Aachen - copyright by Nicola Bryniok
Am meisten beeindruckt hat mich die Geschichte mit dem Teufel, der der Sage nach Geld zum Bau des Münsters gegeben haben soll. Natürlich nicht ohne eine Gegenleistung: die erste Seele, die die neu gebaute Kirche betreten würde, sollte seine sein, das war der Deal. Doch die Leute waren damals nicht dumm und gingen in den Wald und fingen einen Wolf. Der arme Kerl betra also als erstes Wesen mit Seele die neu erbaute Kirche und so musste keine Menschenseele dafür geopfert werden. Der Teufel jedoch wurde wütend, warf den Wolf rechts am Eingang weg und seine Seele links. Heute noch kann am Eingang der Wolf und seine Seele in Form einer Statue bestaunt werden.
Erstaunt war ich über die Darstellung der Seele. Sie war etwas stachelig und glich etwas einem Tannenzapfen. Sylvia, eine Mitreisende fragte anschließend im Bus:"Warum sieht die Seele nur so stachelig aus?" Daraufhin meinte Karl, unser Ehrenmitglied, ganz trocken:"Das muss eine weibliche Seele gewesen sein!"
Auf der Heimfahrt von Aachen nach Stuttgart war noch ein Abendessen in Abstatt in einer riesigen Blockhütte geplant. Und wenn ich riesig sage, dann meine ich auch riesig. Hunderte von Menschen finden da einen Platz zum Essen. Alles ist aus Holz gemacht und sieht aus wie eine überdimensionale kanadische Holzfällerhütte. Ein tolles Ambiente für einen gelungenen Abschluss. Das Essen war super lecker und frisch gestärkt machten wir uns auf, die letzten 50 km hinter uns zu bringen. Gegen 23.30 Uhr waren wir wieder an unserem Abfahrtspunkt angelangt.
Ich persönlich habe dieses Wochenende sehr genossen und Justin ebenfalls. Für uns war dieser Ausflug dieses Jahr die einzige Möglichkeit, wegzufahren und rauszukommen. Umso mehr sind wir dankbar, dass wir das im Kreise unserer Freunde des Spielmannszuges erleben durften.
So schnell werden wir dieses Wochenende nicht vergessen und werden uns immer wieder sehr gerne daran erinnern.