Wie schlägt sich Jean-Luc Picard im Jahr 2020 in seiner eigenen Serie? Erfreutlich gut. Sowohl buchstäblich im Hau-Drauf gegen romulanische Geheimdienstler. Aber auch im Serienvergleich. Eine erste Zwischenbilanz nach drei Folgen.
- Das Grundkonzept: Nach drei Folgen wird deutlich sichtbar, was die Autoren der Serie im Sinn hatten, als sie „Picard“ konzipierten. Zwar spielt die Serie in einer noch ferneren Zukunft als die „Next Generation“ Ende der 1980-er-Jahre. Eigentlich wurde Jean-Luc Picard aber in das Jahr 2020, in unsere Gegenwart, gebeamt. Wir haben es mit einst über jeden Zweifel erhabenen Strukturen (Sternenflotte) zu tun, die sich nur noch um sich selbst kümmern und wenig verlässlich sind. Und wir erleben Geheimbünde und Gruppierungen, die die Gesellschaft unterwandern und in der Ablehnung von Fortschritt und Andersartigem (Androiden) vereint sind. Und die moderaten, wertebeständigen Kräfte (Picard) wurden ausgemustert und verbannt. Kurzum: Was würde Jean-Luc Picard in unserer Gegenwart tun? Eine wunderbare Idee.Seine Motivation: Ging es in der ersten Folge noch primär um Dahj, die geheimnisvolle Androidin und Tochter von Data, wandelt sich Picards Motivation immer mehr in eine persönliche Motivation. Er möchte zurück in den Weltraum, vor allem aber wieder etwas bewegen (Ein Schelm, wer an James T. Kirk in Generations denkt.). Und seine Motivation ist die unsrige: Wie lange haben wir ihn vermisst. Und wie gerne sehen wir ihn nun endlich wieder in Aktion.
- Borg und Romulaner: Was für ein intelligenter Schachzug, nicht die Borg als Übergegner wieder einzuführen (zumindest bis jetzt), sondern den Bezug zu Hugh (Jonathan Del Arco) herzustellen, den wir mit seinen Borg-Abtrünnigen zuletzt im TNG-Zweiteiler „Descent“ das letzte Mal gesehen haben. Die wunderbare Optik dieses Borg-Kubus versöhnt mit der scheinbar völligen Entmystifizierung der Borg durch die TNG-Ableger-Serie Voyager. Hier gibt es noch viel Geheimnisvolles. Und apropos geheimnisvoll: Die Romulaner, genauer gesagt der Geheimbund im Tal Shiar, sind natürlich auch eine gute Wahl als Gegenspieler. Nach all den Serien und Filmen sind sie noch recht unverbraucht. Und was haben sie überhaupt mit den Borg zu tun? Spannende Fragen.
- Die Erzählweise: Fortschrittlich. Der Spannungsbogen ist kaum auszuhalten. Geradezu ein Graus, jedes Mal eine Woche warten zu müssen. Und ich habe mir jede Folge bislang zweimal angesehen, ohne beim zweiten Mal die Lust daran zu verlieren. „Picard“ erschöpft sich nicht in einem einmaligen Spannungs-/Überraschungseffekt, sondern weiß auch durch Dialoge und das Spiel der Schauspieler zu überzeugen.
- Der weitere Cast: Am Ende der dritten Folge haben wir unseren Cast endlich größtenteils zusammen. Picards Ausflucht, nicht die TNG-Crew zu aktivieren (sind zu loyal) ist etwas hanebüchen. Aber es natürlich nachvollziehbar, dass die Autoren keinen Seniorenclub auf Reisen schicken wollten. Zudem sind die neuen Charaktere wie Raffi deutlich extravaganter gezeichnet als es die TNG-Crew je war. Das fühlt sich im Zusammenspiel mit Picard noch etwas fremdartig an, aber es sind halt – auch aus Seriensicht – andere Zeiten. Für ein Urteil ist es noch zu früh.
- Das Intro & die Titelmusik: Nach drei Folgen schwindet meine Hoffnung, dass ich ein Freund dieses Intros werde. Ich überspringe selten den Vorspann von Serien, aber ich mag den Stil einfach nicht. Auch die Titelmusik enthält zwar interessante Ansätze, überzeugt aber im Ergebnis nicht. Sie löst bei mir nichts aus.
- Die Musik der Serie: Die musikalische Untermalung der Folgen überzeugt hingegen deutlich mehr. Die Mischung aus Neuem, dem Picard-Thema (Flöte) und Star Trek-Elementen empfinde ich als gelungen. Mit Gänsehaut sollte man sparsam umgehen, aber ein TNG-Moment, wie der, in dem Picard „Engage“ („Energie“) sagt, entfaltet mit seiner musikalischenUmmalung schon eine Wirkung.
- Der Vergleich zu Discovery: Nach drei Folgen zeichnen sich erhebliche Unterschiede zwischen den beiden Serien ab. Während Discovery recht schnell zu einer völligen Unberechenbarkeit der Charaktere überging, so dass Gut und Böse kaum noch zu unterscheiden waren, sind die Figuren bei „Picard“ deutlicher zuzuordnen. Die Actionszenen wirken wohldosiert und das ganze Universum wirkt bei weitem nicht so überzeichnet.
- Meine Zwischenbilanz: „Picard“ vermischt in den ersten drei Folgen den Charme von TNG mit dem siebten Kinofilm „Generations“, einer kleinen Prise der weiteren TNG-Filme und paart dieses mit einer modernen Serienerzählweise. Ohne zu wissen, wo die Reise genau hingeht, ist das auf jeden Fall eine Grundkonstellation, die erstmal stimmig wirkt und Lust auf mehr macht. Die Autoren verknüpfen den Bezug zu unserer Gegenwart gelungen mit einem Fortdreh der Lebenslinie von Picard. Man darf guter Hoffnung sein, dass leichtfertig platzierte Wegmarken der letzten TNG-Filme rückblickend noch einen tieferen Sinn bekommen oder zumindest in dieser Serie gut fortgeschrieben werden.