Stampede der Schamlosen

Erstellt am 25. Juli 2011 von Ppq @ppqblog

Da ist sie nun also, die "Debatte über Sicherheitspolitik" (n-tv), mit der noch nach jeder Wahnsinnstat eines Irren der Eindruck erweckt wurde, Amokläufe und Attentate, Terroranschläge und Morde ließen sich mit ein bisschen gesetzgeberischer Mühe verhindern wie fettiges Haar. Wie immer fordern Experten den "Einsatz der Vorratsdatenspeicherung als Mittel im Kampf gegen Terrorbedrohungen". „Wir brauchen die Vorratsdatenspeicherung“, verriet Hans-Peter Uhl, offenbar ein "Innenpolitiker der Unionsfraktion" der „Passauer Neuen Presse“. Wie im Film "Minority Report" träumt der Christdemokrat von einer Rundum-Überwachung, die schon den winzigsten Hinweis auf abseitige Gedanken zum Anlass nehmen kann, präventiv vorzugehen. „Im Vorfeld muss die Überwachung von Internetverkehr und Telefongesprächen möglich sein", wünscht sich Uhl, ohne zu erwähnen, welches "Vorfeld" gemeint ist. Das ist aber auch egal. Wenn Ermittler erst "die Kommunikation bei der Planung von Anschlägen" komplett "verfolgen können", ist der Glaubensbruder des Norweger Attentäter sicher, "können sie solche Taten vereiteln und Menschen schützen.“
Es ist ein Aufmarsch der Attentäter auf den gesunden Menschenverstand, eine Stampede der Schamlosen, die das nicht einmal 48 Stunden nach dem Grauen von Utoya losgebrochen ist. Der frühere "Scholzomat" und jetztige stellvertretende SPD-Bundesvorsitzende Olaf Scholz ruft "zur Stärkung demokratischer Werte" auf, die aus seiner sicher verhindern können, dass Menschen wahnsinnig werden und irrsinnige Taten begehen. „Es geht darum, gemeinsam für die Überzeugungen unserer demokratischen Gesellschaft zu werben“, teilte er dem „Hamburger Abendblatt“ mit. Demokratische Werte seien nicht von alleine da, aber soweit er das üebrschaue seien sie, erstmal herangebildet, "der beste Schutz gegen solche Täter.“
Ist es auch Wahnsinn, so hat es doch Methode. Sigmar Gabriel, früher Pop-Beauftragter der SPD und heute ihr Parteichef, reklamiert die Morde von Oslo als einen "Anschlag auf die Sozialdemokratie". Wolfgang Bosbach geht noch weiter und "schließt Attentate wie in Norwegen in Deutschland nicht aus". Es gebe auch hierzulande "solche hasserfüllten Gruppen und Personen“, offenbart der CDU-Politiker, dass ihm "das rechtsextreme Milieu nach dem gescheiterten NPD-Verbotsverfahren 2003 sogar eher problematischer geworden" zu sein scheine. Dazu braucht keinen Beleg, keine Zahlen, nur ein diffuses Grummeln "Das macht uns Sorgen.“
Auch über die Wortwolken aus Berlin hinaus ist die mediale Widerspiegelung des Falles Anders Breivik ein Lehrbeispiel dafür, wie ähnliche Umstände völlig gegensätzlich interpretiert werden können, wenn nur der Wille da ist. Gipfelt die Nachbereitung eines jeden islamistischen Anschlages darin, die Täter aus der Menge der Gleichgläubigen herauszunehmen und ihren ideologischen Motiven ein Moment des Wahnsinns unter Hinnahme eines Verstoßes gegen die von allen korrekt Gläubigen akzeptierten Werte der eigenen Religion zuzuschreiben, läuft es hier nun andersherum. Breivik, zweifellos ein nicht nur ein wenig Wahnsinniger, wird zur Speerspitze einer weltumspannenden Bewegung fremdenfeindlicher Gewalt geschrieben: Sein Gedankengut enthält, die Wortwahl ist kein Zufall, die "kruden Thesen", die zuletzt Sarrazin zur Last gelegt wurden. Seine Brüder im Geiste sind "Hassblogger", sein Abschied aus der norwegischen Rechtspartei fällt unter den Tisch, mitgeteilt wird viel lieber seine frühere Mitgliedschaft dort.
Ein Bild wie das Negativ des Panoramas, das nach den Anschlägen von London und Madrid, ja selbst nach denen von New York gezeigt wurde. So wie den in Gruppen organisierten Tätern damals, hinter denen Unterstützer und Sympathisanten standen, trotz planmäßigem Handeln Verwirrung über die Grundsätze des grundsätzlich freidlichen Islam zugutegehalten wurde, unter denen keinesfalls alle, ja nicht einmal viele und bestimmt nicht die meisten Muslime litten, wird Breivik offenkundige geistige Verwirrtheit ausgeblendet und er zum rational handelnden Aktivisten einer latent mordlüsternen Angst vor Ausländern gemacht. Ein Bild von ihm, ein Bild von Geert Wilders, ein Blick auf sein "Manifest", ein Zitat von Broder. Virtuell wird der Einzeltäter zum Werkzeug einer Gruppe, die sein Handeln quasi vorab durch verbale Äußerungen gebilligt hat. Der Täter ist schon nach zwei Tagen nicht mehr Christ, nicht mehr Biobauer, nicht mehr Absolvent einer Handelsschule, nicht mehr Bodybuiler, Geisteskranker oder zorniger Sohn. Sondern nur noch ein Mann, der "Kontakte in die rechtsextreme Szene hatte" und damit genau dort steht, wo er für die unweigerlich folgende "Debatte über Sicherheitspolitik" (n-tv) am nützlichsten ist.