Im Juli 2014 geht das Mannheimer Projekt „Stadt.Wand.Kunst“ in die zweite Runde. Nach Herakut im vergangenen Jahr wurde nun der russische Künstler Dmitri Aske aka Sicksystems eingeladen, eine Hausfassade in der Mannheimer Innenstadt zu verschönern. Diesmal war ich am zweiten Entstehungstag vor Ort und konnte dabei zusehen, wie die Hand des „Modern Thinker“ Gestalt annahm.
Work in Progress
„The Modern Thinker“ ist zweifellos eine Adaption der Plastik des „Denkers“ von Auguste Rodin. Aske überträgt dieses klassische Motiv der Kunstgeschichte in seinen ganz eigenen, sehr individuellen Stil und verfremdet es so beziehungsweise gibt er ihm eine eigene Anmutung. Wie viele andere Werke des Künstlers erinnert auch „The Modern Thinker“ an farbige Mosaikfenster, wie man sie im klassischen Kunstkontext aus sakralen Räumen kennt. Jedes Bild ist aus kantigen, mit schwarzen Linien voneinander abgegrenzten Mosaikteilchen zusammengesetzt. Als ich „The Modern Thinker“ im Werden besuchte, konnte ich mir tatsächlich noch nicht vorstellen, wie plastisch und lebendig das Endergebnis wirken würde.
Die Kunst von Aske scheint auch von der sowjetischen Kunst mit ihrer ästhetisch stilisierten und idealisierten Sicht auf den menschlichen Körper beeinflusst zu sein. Zugleich wirken seine Werke sehr „digital“. Und so ist auch das Mannheimer Mural die Übertragung eines „klassischen“ Motivs beziehungsweise Werks in ein „postmodernes“ künstlerisches Verständnis. Interessant finde ich dabei, dass die „Vorlage“ – der „Denker“ von Rodin – im 19. Jahrhundert als paradigmatisch für ein neues dreidimensionales künstlerisches Schaffen gilt. Denn Aske scheint ja mit seinem „Thinker“ wie mit seinem ganzen digital beeinflussten Werk wiederum auf neue künstlerische Dimensionen zu verweisen.
Außerdem handelt es sich im direkten Vergleich um einen Ausschnitt des „Originals“. Ins Zentrum gerückt sind der Kopf und die Hände, während die gesamte Gestalt mit ihren bei Rodin beinahe übertrieben wirkenden Muskeln hier kaum noch eine Rolle spielt. Der Denker wirkt dadurch noch versunkener und konzentrierter, und er scheint – allein schon aufgrund seiner Größe – auf die Stadt mit ihrem Treiben im Positiven wie im Negativen hinabzusehen und darüber nachzusinnen. „Er sitzt versunken und stumm, schwer von Bildern und Gedanken, und alle seine Kraft (die die Kraft eines Handelnden ist) denkt.“ (Rainer Maria Rilke über den „Denker“ von Rodin. Rilke, Auguste Rodin [1903], Quelle: www.textlog.de).
Dmitri Aske hat 2000 als Sprayer angefangen, heute ist er als Grafikdesigner, Illustrator und Herausgeber tätig. Dabei war es ihm wichtig, als Künstler über das Label „Graffiti“ hinauszugehen. Mittlerweile legt er immer mehr Wert auf Ideen und Konzepte, die hinter der sichtbaren Kunst stehen.