Seit zwei Jahren unterstützt eine Kooperation von mehreren Mannheimer Institutionen mit dem Projekt „Stadt.Wand.Kunst“ die Verschönerung der Innenstadt mit Streetart internationaler Künstler. Insgesamt acht ganz unterschiedliche Murals prangen schon über das Stadtgebiet verteilt, vor allem aber in der Innenstadt, an vormals öden grauen Häuserwänden. Die Werke variieren zwischen zart-poetisch, abstrakt oder comicartig und knallig-bunt. Über die ersten Werke von Herakut und Aske habe ich damals schon gebloggt. In den letzten Wochen wurden die „Freiheitstesterin“ vom Mannheimer Grafiker Mehrdad Zaeri und „Europe“ von BEZT fertiggestellt. Es macht Spaß, die Kunst am Bau im Stadtbild zu entdecken. Wem die Tour zu aufwändig ist, der kann sich im August leicht einen Überblick verschaffen, denn die am Projekt beteiligte Alte Feuerwache zeigt in einer Ausstellung Fotos aller Murals und ihrer Entstehungsprozesse.
Über die fantasievolle, märchenhafte und nachdenkliche Kunst von Herakut habe ich mich ja schon mehrmals ausgelassen. Ein Märchenerzähler ganz eigener Art ist der Mannheimer Grafiker und Illustrator Mehrdad Zaeri. Er ist vor allem als Buchillustrator tätig und schafft auf zauberhafte Weise mit klarem Strich seine Fantasiewelten, die nicht von ungefähr an die Erzählungen aus tausendundeiner Nacht erinnern. Der gebürtige Iraner kam mit seinen Eltern nach Deutschland und beschreibt auf seiner Webseite die schwierigen Anfänge in der Fremde und im bewusst gewählten Künstlerberuf. Mehrdad Zaeri ist auch ein Improvisationskünstler. Zusammen mit anderen Künstlern wie dem Texter Enno Kalisch entwirft er etwa die spontanen, skizzenhaften Geschichten des Monats oder das Knopfkino. Mit seinen Illustrationen ist er mittlerweile so erfolgreich, dass sie von großen Verlagen nachgefragt werden. Ängste und Melancholie spielen eine wichtige Rolle in seinen Kreationen, aber auch das Staunen und die Lebensfreude, vor allem beim Wahrnehmen der kleinen, zarten Dinge. So hat er auf die Wand des ehemaligen Polizeigebäudes in den Mannheimer Quadraten eine Heerschar kleiner, aber großäugiger Vogelwesen verteilt. Sie drängeln sich in einem engen Gewimmel – nicht in der Luft, sondern am Boden –, und schauen auf zu einer liebenswert plumpen Frau, die mit ausgebreiteten Armen auf einer Art Bühne steht. Verneigt sie sich? Oder will sie fliegen? Wird es ihr gelingen? Über all diese Fragen kann man wunderbar fantasieren und dabei immer neue Details in dem Bild entdecken.
Am anderen Ende der Mannheimer Innenstadt kann man das Mural von Stohead aka Christoph Hässler entdecken. In enger Nähe zum ursprünglichen Graffiti mit seinen wiederholten Tags ist Stoheads zentrales Thema die Schrift – der Schriftzug und die Kalligrafie. Auf das hohe Wohngebäude in Mannheim hat er so auch sich wiederholende schwarz-weiße kalligrafische Muster gebracht. Man kann versuchen, darin zu lesen und etwas zu erkennen, oder sich einfach vom Rhythmus bewegen lassen. Doch im unteren Teil des Bildes scheinen schwarzer Rauch und rote Flammen oder rotes Blut zu wehen. Sie überdecken einen Rest blauen Himmels und lassen darüber nachdenken, was hier geschehen sein kann, was zuerst da war. Entsteht die Schrift aus der Asche, ist sie ein Mahnmal? Oder wird sie mit ihrem Untergrund von etwas anderem verbrannt und verzehrt? Das Verwehen und Verwischen seiner Schriftzeichen ist ein Markenzeichen von Stohead. Schrift ist, wie Streetart auch, eben immer vergänglich.
Verlust und Trauer spielen ebenfalls eine Rolle im neuesten Werk im Rahmen von „Stadt.Wand.Kunst“. Dabei nimmt der Künstler BEZT ganz aktuelle Bezüge, wenn er sein in diesen Wochen entstandenes Mural „Europe“ nennt. In realistischer Malerei zeigt es drei trauernde Frauen, die sich in einer Prozession vor der Kulisse einer schemenhaften Stadt mit spitzen Türmen zu bewegen scheinen. Ihre Blicke haben sie gesenkt beziehungsweise abgewandt, die Köpfe sind verschleiert. Allerdings gibt es noch eine dritte Person, die gerade von links ins Bild läuft und den Betrachter direkt ansieht. Ihr Blick wirkt etwas offener und neugieriger und sie scheint ihre Hände über einen leicht gewölbten Bauch zu legen – ein Anflug von Hoffnung in dem düsteren Szenario? Der Künstler BEZT ist Teil des Duos ETAM CRU und ein bekannter Protagonist der internationalen Graffitiszene. Seine teils realistischen, teils fiktionalen Werke sind geprägt von der Bilderwelt seiner polnischen Herkunft, die er mit aktuellen Themen verbindet, düstere Symbolik immer inklusive.
Alle Werke, die im Rahmen von „Stadt.Wand.Kunst“ in Mannheim entstanden sind, kann man sich im Überblick in einer Ausstellung ansehen, die die Alte Feuerwache im August präsentiert. Geöffnet ist die Ausstellung noch am 13., 14., 20. und 21. August jeweils von 17 bis 21 Uhr. Andere Besichtigungstermine können in Absprache vereinbart werden. Dennoch sollte man es sich nicht entgehen lassen, die Streetart in ihrem eigentlichen Kontext zu bewundern. Eine Übersichtskarte auf der Webseite des Projekts erleichtert das Auffinden.