Fotografie ist stets eine höchst persönliche Angelegenheit. Zwar ist es übertrieben zu behaupten, dass jedes Bild die seelische Situation des Fotografen widerspiegelt. Sicher ist aber, dass die umgebende Welt und die damit verbundenen Empfindungen in den Bildern des Fotografen wiedergegeben werden. Seit einem Jahr lebe ich erstmals nach über 20 Jahren fest in einer Stadt. Zwar habe ich in den Jahren vorher immer eine Zweitwohnung in irgend einer Stadt gehabt, aber Rückzugspunkt war stets auf dem Land. Dorf und Dörflichkeit haben mir einen Ruhepool gegeben und die mich umgebende Natur, mit ihrem natürlichen Zyklus, für den notwendigen Ausgleich gesorgt. Nun bin ich vor fast zwölf Monaten in einer neuen Stadt angekommen und neugierig beginne ich jetzt hinter die Kulissen zu schauen. Vieles für mich Neues fällt mir dabei auf.
In den letzten Monaten war alles neu und spannend für mich. Ich hatte gar nicht die Gelegenheit, all diese Eindrücke in Bildern festzuhalten und wollte es auch nicht. Zuerst einmal einrichten, dachte ich mir, und die wenigen Bilder meiner Umgebung, die trotzdem entstanden sind, zeigen nicht mehr als einen minimalen Ausschnitt des Neuen. Jetzt beginne ich mit einer bewussten Aufnahme dessen, was ich vorher nur gestreift habe. Der Fotograf beginnt mit der Aufnahme. Januar, nicht der schönste Monat des Jahres. Jetzt fallen mir einige Perspektiven auf, die weder schön noch sensationell sind. Das Licht des Januar ist gnadenlos, zeigt Falten und Risse, lässt jede Lieblichkeit vermissen, ist hart und enthüllend. Wie seltsam, gerade jetzt bemerke ich, dass die Stadt endlos erscheint. Im Sommer ist es mir das nicht aufgefallen.
Ich entdecke die Schienen der Straßenbahn. Ist es nicht ein Anachronismus in der Moderne, dass in einer Stadt noch eine Straßenbahn verkehrt? Schienen sind ein Synonym dafür, dass nur vorgegebene Wege genutzt werden können. Ein Widerspruch zum individuellen Denken und Handeln. Ich lebe jetzt in einer Stadt, in der die Straßenbahn ein beliebtes Fortbewegungsmittel ist. Schmunzelnd muss ich daran denken, dass die Entführung einer Straßenbahn keinen Sinn macht, weil sie nicht aus den vorgegebene Schienenwegen ausbrechen kann. Gewöhnungsbedürftig sind für mich auch die langen, geraden Straßen, die Häuserfronten und die Baustellen. Ja, Baustellen sind sogar fester Bestandteil des Straßenbildes. Es entsteht der Eindruck, dass sie das öffentlich gemachte Zeichen des permanenten Wandels der Stadt darstellen.
Im Januar begegnet man auf den Straßen der Stadt Menschen, die eigentlich nicht da sind. Erst wenn die Sonne kommt, werden Menschen wahrnehmbar. Vielleicht hat diese Erscheinung mit den Temperaturen zu tun oder einfach nur mit dem Monat. Auf jeden Fall fehlen die Menschen und dies macht die Stadt größer. Wenn der Frost klirrt, erscheinen die Straßen der Stadt leer, aber nicht fremd. Die Häuser sind bekannt, die Stadt aber fremd. Die Stadt lebt und verändert sich in einem eigene Rhythmus. Der Fotograf nimmt auf und dokumentiert, verändert nicht, sondern gestaltet. Ein sehr persönlicher Prozess.
Ach ja, beim Sammeln der Stadteindrücke hat mich ein Knipsdings von Holga begleitet
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