An ganz unscheinbaren und unpolitischen Beispielen, erkennt man zuweilen die Umdeutung von Worten und Definitionen. So auch kürzlich, seitdem Bertelsmann-Verlautbarungsorgan RTL Mietnomaden aufspürt. Was dem Zuschauer dort gezeigt wird, ist an Ekelhaftigkeit kaum zu überbieten: Maden, Tierscheiße, animalische Kadaver, Schimmel und sich türmender Unrat. Nur keine Mieter mehr, denn die sind getürmt, nachderm sie vormals getürmt haben: nämlich Mietschulden und Dreck. Die Moderatorin der ganzen Chose, Bertelsmanns Faktotum für jede noch so geschmacklose Geschmacklosigkeit, Vera Int-Veen, ist mit ihrer Schlussfolgerung dann stets schnell zur Hand: hier handelt es sich wohl eindeutig um Mietnomaden!
Die Sendung jagt laut Titel eigentlich Mietpreller - das sind per definitionem Leute, die Mietschulden hinterlassen, also die Miete prellen. Aber wenn sie die gemietete Wohnung als Saustall bei Nacht und Nebel verlassen, dann handelt es sich nach Lesart der Produzenten nicht mehr um Preller, dann sind es Nomaden. Das sind gemeinhin Menschen oder Gesellschaften, die aus etwaigen Gründen nicht sesshaft leben, die von Ort zu Ort ziehen, keine feste Anschrift aufweisen. Dreckschweine, die in versifften Verhältnissen leben, sind Nomaden aber nicht. Nicht sesshaft zu sein, bedeutet nicht, man habe an Sauberkeit kein Interesse. Dennoch wird der Nomadismus in den Schmutz gezogen, denn der Mietnomade an sich, wird mittlerweile mit Lebensverhältnissen assoziiert, in denen sich kein lebend Wesen wohlfühlen würde. Die althergebrachte Verächtlichkeit sesshafter Gesellschaften gegenüber dem Nomadentum: hier schlägt begrifflich durch!
Wie geschrieben, das Beispiel ist banal und eigentlich kaum der Rede wert. Aber doch läßt sich daran messen, wie nicht die Sprache das Denken beeinflusst, sondern das Denken die Sprache neu modelliert. Es ist durchaus nicht immer so, dass uns Sprachmanipulateure unter ihre Fittiche nehmen - in meinem Essay "Worte" umriss ich diesen Umstand bereits ausführlich. Sicher entwirft die politische und wirtschaftliche Agenda Schlagworte, die sie in den Diskurs wirft und die wir als Sprechende dann viel zu oft unwidersprochen übernehmen. Als man vor einigen Jahren landauf landab von Reformen sprach, da führte scheinbar die gesamte Gesellschaft dieses Wort im Munde - alles musste reformiert werden, jeder glaubte an die Macht der Reformen. Dass die politische und wirtschaftliche Deutung von Reform aber lautete, den Staat zu verschlanken, das heißt, das Sozial- und Gesundheitswesen stark abzutragen, war überhaupt kein Gegenstand öffentlicher Diskussionen mehr. Diese "sprachliche Reformitis" war nicht nur ein von oben eingeleiteter Prozess: die Bürger waren dankbare Nachplapperer und taten das Ihre, um den Begriff einer neuen Bedeutung zu überführen.
Das Beispiel mit den Nomaden ist besonders einleuchtend, weil hierbei die Diskrepanz zwischen Sein und Sollen immens ist. Die ursprüngliche Bedeutung des Wortes schwindet und damit geht auch das, was man darunter versteht, die Wirklichkeit, die das Wort abbilden soll, peu a peu flöten. Nicht ausgeschlossen, dass mancher irgendwann davon überzeugt ist, nomadische Völker wie die Tuareg, Alanen oder Kawesqar, seien ausgesprochen schlampige, unreinliche und verwahrloste Schmarotzer. Dass der Mietnomade eine unzutreffende Komposition ist, auf die Idee kommt man dann schon gar nicht mehr. Die Bedeutungsverschiebung geschieht im gesprochenen Alltag. Sprechend wandelt sich der (Hinter-)Sinn und die Bedeutung. Die Verschiebung ist meist kein bewusster Akt, kein von langer Hand geplantes Unterfangen - sie schleicht sich ein, wird oftmals gar nicht wahrgenommen. Das ist nicht die Schuld einiger Sprachpanscher, es ist die Schuld aller, die die Sprache unbeseelt sprechen, die nicht hinterfragen, sondern auf ein vorgefertigtes Vokabular zurückgreifen.
Nun ist freilich das Nomadentum nicht der erklärte Feind der Familie Mohn, die die (Miss-)Geschicke von RTL leitet. Dieses Hausierengehen mit dem Begriff Mietnomade unterstreicht einfach nur, dass man mit der Zielgruppe, die man erreichen will, auf einem gemeinsamen Niveau ruht. Es ist keine gezielte Implantierung in den Sprachschatz. Anders ist es da schon beim "Hartz IV-Empfänger" - er empfängt, er bekommt. Damit verschwindet die Gewissheit, dass ein solcher Mensch, der auf Arbeitslosengeld II angewiesen ist, kein Empfänger ist, der wie ein Bittsteller in eine Behörde marschiert, sondern ein Leistungsberechtigter. Nämlich jemand, dem es rechtlich zusteht, Lohnersatzleistung zu erhalten - der berechtigt ist, Hartz IV zu beantragen und zu erhalten. Empfänger klingt wie jemand, der entgegennimmt, klingt stark nach Bettler. Dieser Begriff ist kein Zufall und ganz bestimmt gezielt im Wortschatz verankert worden. Gleichwohl sind beide sprachlichen Verirrungen, die eine gezielt, die andere nicht, das Produkt einer Sprachgemeinde, die unwidersprochen papageit.