Sprachlos über den Röttgen-Rauswurf

Von Oeffingerfreidenker
Von Stefan Sasse
Angela Merkel hat Norbert Röttgen entlassen. Das lässt mich zugegebenermaßen sprachlos zurück. Bevor der NRW-Wahlkampf begonnen hatte, war Röttgen "Muttis Klügster" gewesen, einer der profilierteren Unionsköpfe im Kabinett. Seine Person stand für die Offenheit der CDU gegenüber den Grünen. Obwohl ihm immer wieder vorgeworfen wurde, die Atomwende zu langsam zu vollziehen, kann ich mich an keine echten Patzer als Minister erinnern. Aber dann kam der NRW-Wahlkampf, Röttgens Versuch, sich nicht auf die Landespolitik festzulegen und die katastrophale Niederlage. Jetzt ist das Kapitel "Röttgen" in der CDU wohl endgültig geschlossen. Altmaier - der ihn als Umweltminister beerbt - wünschte ihm "für seine berufliche Zukunft alles Gute". Es scheint, als hätte Röttgen bereits einen neuen Job. Was hier geschehen hat, ist trotzdem mehr als merkwürdig, oder doch zumindest neuartig. Rekapitulieren wir noch einmal Stück für Stück, was ablief. 
Erstens: Norbert Röttgen wurde lange als "Kronprinz" Merkels gehandelt. Ich habe nie ganz verstanden, warum der Posten so interessant sein soll - schließlich wird er nur beim Tod des aktuellen Monarchen, also einer Abwahl Merkels, frei -, aber zumindest nach Meinung der Medien scheint das ein großes Ding zu sein. Da Röttgen nie zur Riege des Andenpakt gehört hatte - also der offen ambitionierten CDU-Männer - war er auch eher ihr Rechter-Hand-Mann als ein potentieller Politmeuchler. In der Atomwende selbst scheint er wenig aktiv gewesen zu sein, das war eher ein Alleingang Merkels. Ob er die Umsetzung tatsächlich im Alleingang gegen die Unionsfraktion verschleppte, kann ich nicht beurteilen. Ich sehe aber keinen echten Grund dafür, Röttgen war nie ein eingefleischter Atomfan. Ausgeschlossen ist es natürlich trotzdem nicht, aber das Motiv erschließt sich mir zumindest nicht. 
Zweitens: der NRW-Wahlkampf. Nachdem Jürgen Rüttgers die Chose 2010 in den Sand gesetzt hatte, brauchte es jemanden, der die NRW-CDU - die wohl nicht gerade einer der disziplinierteren Landesverbände ist - in den nächsten Wahlkampf führt. Da die Flügelkämpfe in NRW selbst offensichtlich bis Ende 2011 keinen Gewinner kannten, schien eine Mission Röttgens als "Weißer Ritter" keine allzu schlechte Idee. Er war ein bekanntes Gesicht, und eine (voraussehbare) Niederlage mit Anstand wäre sicherlich nicht schlecht für ihn gewesen. Gut möglich, dass er denselben Plan hatte wie Christian Lindner und NRW als Durchlauferhitzer für die eigene Karriere nutzen wollte. Ab hier allerdings liefen die Dinge schief. Lindner setzte, ganz der Spieler, alles auf eine Karte und gab seine Bundesämter auf. Für diese Entscheidung wurde er zum Shootingstar der Medien. Röttgen dagegen wollte sich nicht NRW als Klotz ans Bein binden, was ihm die Medien aus irgendeinem Grund nie verziehen. 
Dieser Punkt ist mir auch bis heute nicht klar. Warum gibt es einen Zwang Röttgens, sich für die Bundes- oder Landespolitik zu entscheiden, besonders wenn er ohnehin offensichtlich nur wegen des Wahlkampfs nach NRW ausrückte? Röttgen hat keine eigene Basis in der NRW-CDU, wo einige Königsmörder bereits mit dem Messer in der Hand warteten (Laschet etwa). Dass er unter diesen Umständen nicht Fraktionsvorsitzender werden wollte, einer Fraktion zudem, die er sich nach Lage der Dinge hätte effektiv mit Laschet teilen müssen, ist nachvollziehbar. Trotzdem zog er mit dieser Entscheidung einen eigentümlichen Hass auf sich, der zu einer regelrechten Hetzkampagne durch alle Blätter hinweg gegen ihn führte, wie sie Oskar Lafontaine in seinen besten Tagen auch erlebt hatte. Dass Röttgen dazu reichlich Munition lieferte und von Wahlkampfpatzer zu Wahlkampfpatzer rannte, machte die Sache kaum besser. 
Und nun haben wir den dritten und finalen Akt des Dramas. Röttgen kehrte nach Berlin zurück, wo ihn eine dankbare Kanzlerin...feuerte. Und genau hier bleibe ich sprachlos zurück. Röttgen wurde, zumindest nach aktueller Informationslage und dem Wortlaut von Merkels kurzem Statement, nicht zurückgetreten oder trat selbst zurück. Nein, sie feuerte ihn. Warum? Das erschließt sich mir nicht. Befürchtete sie einen Fallout von Röttgen, als ob er abfärben würde? Wen interessiert denn in 16 Monaten noch die NRW-Wahl? Nachdem Röttgen bereits alles Erdenkliche getan hatte, um sein NRW-Debakel von seinem Amt als Minister zu trennen und von Anfang an eine scharfe Trennlinie zwischen Bund und Land gezogen hatte - was hielt Merkel davon ab zu erklären, sie habe "einen Bundesminister und keinen Wahlkämpfer" eingestellt, und der erstere mache seinen Job gut? Es ist ja nicht so, dass mit einer solchen Argumentation nicht schon Leute durchgekommen wären.
Ich empfinde das nicht gerade als positive Entwicklung. Soll die Politik zum Alles-oder-Nichts werden, ein ständiger All-in im Pokerspiel um die Macht, bei dem jede Niederlage die ultimative Strafe nach sich zieht? Selbst Guttenberg durfte selbst zurücktreten und wurde nicht mit einem Merkel'schen Fußtritt gefeuert. Wollte Merkel hier selbst den Schlusspunkt zu einem medial aufgepeitschten Drama setzen? Ich weiß es nicht. Ich weine Röttgen sicherlich keine Träne nach; wer ihn einmal in einer Talkshow erlebt hat, wird ihn sicherlich nicht missen. Aber der Umgang, der sich hier gerade einzuschleichen scheint, ist der Politik sicherlich nicht zuträglich. Vielleicht hat Merkel vor, es als konsequent zu verkaufen und opfert Röttgen auf dem Altar öffentlicher Empörung. Das aber wäre die totale Kapitulation der Politik vor einem sich immer schneller drehenden Rad konstruierten Politaintments.