Sprachkunst und grausige Prophetie

Mit „dosenfleisch“ von Ferdinand Schmalz wird im Kasino am Schwarzenbergplatz ein Stück präsentiert, das maßgeblich durch die exzellente Regie von Carina Riedl getragen wird.

Eine „Tanke“, wie unsere bundesdeutschen Nachbarn gern flapsig eine Tankstelle nennen, steht im Mittelpunkt von „dosenfleisch“. Einem Stück von Ferdinand Schmalz, von dem man allein vom Text ausgehend, nicht unbedingt annehmen müsste, dass es für die Bühne geschrieben wurde. Warum der österreichische Autor dieses hierzulande nicht wirklich populäre Wort „Tanke“ verwendet, mag mit der Uraufführung des Stückes bei den Autorentheatertagen im Juni diesen Jahres in Berlin zusammenhängen.

Im Kasino am Schwarzenbergplatz, der Burgtheater-Dependance, gelangte es im September zu seiner österreichischen Erstaufführung. Am Auffälligsten dabei ist wohl die Kunstsprache, die der Autor dafür verwendet. Sätze in Versmaßform, wie man sie aus antiken Tragödien kennt, fügen sich nahtlos aneinander. Clean, kalt, so als ob die Sprache eine unheimliche Wahrheit und tiefe Emotionen verbergen müsste, rollt das Gesprochene von der Bühne in die Zuschauerreihen. Das Ensemble ist meist dem Publikum zugewandt, spricht selten zueinander. Man weiß, man ist nicht unter sich. Und tatsächlich wird sich bald herausstellen, dass die Geschichte rund um eine Autobahnraststätte mehr ist als nur eine Episode, die im Nirgendwo an einer Autobahn eine kleine Gruppe von Menschen betrifft. Schmalz wagt einen kritischen Blick auf ein die Umwelt zerstörendes Phänomen. Ein Phänomen, von dem alle Menschen betroffen sind, auch die im Publikum. Autos brauchen Straßen, Straßen, die gebaut werden müssen ohne Rücksicht auf Verluste. Der Autor blickt, wie auch schon in seinem enthusiastisch aufgenommenem Stück „am beispiel der butter“, hinter den mittlerweile ohnehin schon holprig laufenden Betrieb unserer westlichen Zivilisation und deckt Wunden auf, die sich tief in das Fleisch des Menschseins gebohrt haben. „dosenfleisch“ kullert ganz zu Beginn zumindest verbal über die Bühne, ausgespuckt von einem verunfallten LKW. Als „dosenfleisch“ bezeichnet der Autor aber auch all jene Menschen, die in ihren Autos zu Schaden kommen, von ihnen eingequetscht werden, Blessuren erleiden und dabei sterben.

Das Spiel um eine Schauspielerin (Frida-Lovisa Hamann), die einen Unfall überlebt, von einer Tankstellenbesitzerin (Dorothee Hartinger) gesund gepflegt wird und fortan bei ihr im Untergrund lebt, ist ein kunstvoll inszeniertes. Die junge österreichische Regisseurin Carina Riedl, trotz ihrer Jugend schon an mehreren wichtigen deutschsprachigen Spielstätten in Erscheinung getreten, macht etwas sehr, sehr Kluges. Sie untermalt den Sprachrhythmus mit Percussionsklängen, genauer mit Schlägen auf Trommeln und Becken, die Katharina Ernst mit strenger Hochsteckfigur live auf der Bühne performt. Die Beziehung der Figuren untereinander bleibt lange Zeit verworren und wird, wie in einem Fernsehkrimi, erst am Ende verständlich. Das kalte Bühnenbild (Fatima Sonntag) aus Aluschienen und Podesten in unterschiedlichen Höhen angebracht, spiegelt die Heimat- und Rastlosigkeit der mobilen Gesellschaft.

Den männlichen Part verkörpern Daniel Jesch als Fernfahrer sowie Tino Hillebrand als Versicherungsangestellter. Der eine muss mit seinem LKW einen unfreiwilligen Stopp an der Station einlegen und lässt dabei in die Seele eines Menschen blicken, der ständig unterwegs ist auf dem Weg zu seinen Kindern und seiner Frau. Die von ihm so rasant vorgetragene „Ode an den Mittelstreifen“ könnte sich durch den ins Ohr gehenden Rhythmus sogar zum Youtube-Hit entwickeln (Musik: Arthur Fussy). In ihr hat Schmalz jenes Gefühl eingefangen, von dem man bei langen Autofahrten befallen wird, wenn einem die Geschwindigkeit und die Monotonie des Fahrens völlig in Besitz genommen hat. Es lebe der Intellektuellen-Rap!

Tino Hillebrand fungiert als Störelement, welches das Lebens- und Verschwörungskonstrukt der beiden Frauen an der Tanke ins Wanken bringt. Ein von den Fotos der Unfallopfer Besessener, der sich einmal am Ort des Geschehens einen Überblick verschaffen möchte, der ihm von Haus aus aber schon verwehrt bleiben muss. Die Macht des Abstoßenden kulminiert in seiner Obsession für verwundetes Fleisch. Das, was tausende Kilometer alljährlich an Staus produziert, die Gier, Verletzte und Tote zu sehen, versucht er unter dem Deckmäntelchen von versicherungsbedingen Erhebungen zu befriedigen. Es werden schließlich nicht jene menschlichen Gräueltaten sein, die er zufällig aufdeckt, welche den Kulminationspunkt des Abends bilden. Vielmehr lässt Ferdinand Schmalz einen Blick in eine vielleicht nicht einmal mehr so ferne Zukunft zu, die Gänsehaut verursacht. Autobahnen, die kein Mensch mehr benützt, Raststationen, die gesprengt wurden. Von Umweltaktivistinnen, die am eigenen Leib erfahren mussten, was es heißt, Dosenfleisch zu werden oder sein Haus an die Autobahn zu verlieren.

Das letzte, eindringliche Bild, in dem die Gesichtsbemalung der Schauspielerinnen und Schauspieler im UV-Licht bedrohlich zu leuchten beginnt, ist ein prophetisch-apokalyptisches. Carina Riedl kommt das große Verdienst zu, die Bilder, die Schmalz in einer abstrahierten Sprache mehr anreißt als veranschaulicht, zum Leben zu erwecken. Das Tempo, das sie auch mit dem Einsatz des Schlagzeuges vorgibt, ist eine wunderbare Metapher für jene motorisierte Raserei, die sekündlich rund um den Globus Tonnen von CO2 in die Luft abgibt. Faszination und Abscheu halten sich in der Aussage des Stückes die Waage. Dem Müssen und gar-nicht-anders-Können als die Infrastruktur der Straße zu nützen stehen Ohnmachts- und Rachegefühle gegenüber. Bedenkt man, dass sich derzeit rund um das Thema Straße in den großen Metropolen so etwas wie Glaubenskämpfe abspielen – als Beispiel seien hier die Unverträglichkeiten zwischen Rad- und Autofahrern genannt und die Forderung, mehr Raum für den nicht motorisierten Verkehr zur Verfügung zu stellen, spürt man die Zeitgeistigkeit dieses Themas.

Fazit: Ein künstlich verkomplizierter Text, der auf einer intelligenten Idee basiert. Eine fulminante Regie, die wesentlich zum Gelingen des Abends beiträgt und ein Ensemble, das in jeder Minute Präsenz zeigt und dabei keinerlei Spannung verliert.


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