Spitze Instrumente

Warum hatte ich dieses Gefühl so lange ignoriert ? War es die Kindheitserinnerung an diese Sadistin, die vor meinen Augen ein anderes Kind quälte, während ich daneben saß und wartete, selbst an die Reihe zu kommen ? Waren es diese spitzen Instrumente, die da immer auf dem Tisch liegen und direkt auf das eigene Fleisch zeigen, Vorankündigung künftiger Schmerzen ? Oder ein dumpfes Vorurteil gegen ausländische Vertreter dieses Berufes ? Am Dienstagmorgen um 4 jedenfalls ließ es sich nicht mehr ignorieren, und ein paar Stunden später rief ich einen befreundeten Arzt an. Der war zwar gerade nicht da, aber Jacques traf ihn kurz darauf zufällig auf der Straße. Um 10 hielt ich eine Empfehlung für den Zahnarzt in einer Poliklinik in der Hand („Robert ist ein Freund von mir.“). Dieser Zahnarzt würde aber erst Donnerstag wieder arbeiten – zwei Tage warten ! Darauf erst einmal eine Schmerztablette !
Als ich am Donnerstag, ziemlich früh, in die Poliklinik komme, ist der Zahnarzt erst einmal in einer Besprechung. Ich kenne das schon aus Erzählungen von Kubanern – wenn man sie braucht, sind die Ärzte meistens mit irgendwelchen Besprechungen beschäftigt. Ich merke bald darauf, dass das System auch Vorteile hat – er schaut nämlich gemeinsam mit seiner Kollegin in meinen Mund. Die beiden sind sich schnell einig, was zu tun ist – wenn zwei Ärzte übereinstimmen, flößt das zumindest schon einmal Vertrauen ein. Auf dem Tisch liegen zum Glück keine spitzen Instrumente, allerdings sieht der abgenutze und fleckige Tisch auch nicht unbedingt einladend aus. Der Arzt bringt seine eigenen Instrumente mit, schön steril eingewickelt in ein braunes Stück Packpapier. Der Bohrer wird noch einmal extra mit irgendeiner Flüssigkeit sterilisiert, dann geht es ans Bohren und Füllen. Der Stromausfall an diesem Morgen ist praktischerweise auf die Straße beschränkt, in der wir wohnen, die Poliklinik ist nicht betroffen, so dass das Bohren und Füllen genauso verläuft, wie aus Deutschland gewohnt. Er gibt mir dauernd Erklärungen, von denen ich aber kaum etwas verstehe, weil er halt gerade bohrt, und weil ich nicht so leicht unterscheiden kann, ob die Worte mir gelten oder dem Krankenpfleger hinter seinem Rücken, der anscheinend nichts zu tun hat und deshalb mit den Ärzten über Gott und Welt quatscht. Ich gehe mit dem Gefühl nach Hause, dass Schmerzen doch sehr schön sind – sobald man sie überstanden hat. Am Freitag noch die Nachbehandlung, und am Sonntag kann ich schon wieder ganz normal essen.



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