Spielen, bis das Leben kommt

„Selbstbezichtigung“ von Peter Handke im Volx Margareten.
Besucht am Tag nach der Nestroy-Preisverleihung.

Für Stefanie Reinsperger.

Das Erwachen, das sich Bewusstwerden, das Tun und das Unterlassen. Das Fehlen und Lamentieren, das Verlöschen und alles dazwischen. Spielen, bis das Leben kommt und Spielen, bis das Leben geht. All das werdet ihr sehen. An all das werdet ihr euch einmal erinnern.

Das Tablett mit den Äpfeln. Hinein ins Publikum, freundlich darbieten, was später Gewicht bekommt.
Der Bademantel.
Euer Strahlen verrät Wissen. Wissen um die Auszeichnung von gestern. Wegwischen, nicht daran denken.
Der Kopf, die Brust, die Arme, Beine. Der Bauch, die Hände, die Füße.

Das Kind.

Der Mund, die Gedanken. Dranbleiben, ohne zu fehlen. Spielen.
Die Unterhose und die Nacktheit.
Langsam, bedächtig zu Beginn. Am Boden kauernd, ein Fötus war ich einst. Die Gedanken kamen später.
Aufstehen und sich umsehen, die Welt erkennen, benennen und benannt werden.
Das Gehen, Sprechen, Laufen.
Die Bilder meines Kindergesichts. Meine großen Augen, und mein unbändiges Sein-Wollen. Immer schon.
Das Gute-Nacht-Lied des Gegenstandes. Sanft, protestierend bis zur furiosen Arie, gesungen ohne Hemmungen.
Das Plichtig-Sein, das Büßen-Müssen.
Das weiße Hemd, das meinen Oberkörper bedeckt, die Glitzergoldschuhe an meinen Füßen. Höhenbestöckelt.

Die Frau.

Geschunden darüber die Schienbeine und Knie. Spielen.
Der Text ist Musik, der Rhythmus taktet das Geschehen.
Das Ausgesetzt-Sein im gleißenden Rampenlicht. Ein kurzer Augenschmerz.
Das Nach-vorne-Treten und Apfel-Essen. Spielen.
Der volle Mund, das Safteln des Apfels zwischen den Zähnen.
Erinnert ihr euch, wie er sich anfühlte, kurz vor der Vorstellung? Habt ihr dabei gesprochen? Das Sakko.

Die Mann-Frau, der Frauen-Mann.

Der Text. Handke, Handke, Ibsen, Lotz. Handke, Handke. Die Ideen. Pařízek.
Das Tun. Ja, das Sich Äußern, äußern, äußern. Sich ver-äußern. Mich ver-äußern.
Das Sich-zu-Wort-melden, auf der Bühne.
In so vielen unterschiedlichen Rollen und Sprachen.
Jener des Establishments und jener der Proleten, die gar nicht wissen, was Proleten eigentlich sind.
Alles im Kopf, auf Video, auf der Bühne, verdoppelt, intensiviert.
Abrufbar zu jeder Zeit.
Im Rhythmus, der sich steigert. Der beginnt, den ganzen Körper zu erfassen, ihn zu bewegen, zu beuteln, die Stimme zu verstärken, die Wörter zu verknappen.
Die Ekstase des Spiels, ein bissl geht noch, oder? Wie viel wollt ihr noch?
Spielen, bis das Leben kommt.
Reicht es euch jetzt, mich am Boden wälzend zu sehen?
Das Verstummen. Das Wissen, den Höhepunkt überschritten zu haben. Ausatmen zu können. Zur Ruhe zu kommen.
Die Hose, der Anzug.

Der Mann.

Dranbleiben, ohne zu fehlen. Spielen.
Die Gröfaz-Stimme und jene der Burgtheaterdamen, alles hab ich drauf.
Die Verzweiflung in der Lebensmitte, kenne ich noch nicht und kann sie euch doch spüren lassen.
Meine Kinderbilder, mehr davon, mich umrahmend, mich einhüllend. Gedanken, die sich hinwenden zu dem, was war, was gefühlt wurde, wer ich war.
Wer ihr wart. Was ihr gefühlt habt.
Sitzen und das Spiel umkehren. Der Kegel des Taschenlampenlichtes in euren Gesichtern.
Ihr seid gemeint, aber das wisst ihr nicht erst seit jetzt.
Akzeptieren und verneinen, mit dem Strom schwimmen und sich wehren.               Abgeklärtheit und Intellektualität, Souveränität. Die Emotionen vergangen.            Das Wissen um das Nicht-Getane, das Falsch-Gelebte, die Fehleinschätzungen und Verfehlungen. Zum Weinen.
Die drei Personen der Grammatik als unumstößliches Glaubensbekenntnis.
Die Frage nach dem Theater. Dem doppelten Boden des Lebens. Der Wahrheit.
Ich bin ins Theater gegangen. Ich hab dieses Stück gesprochen. Und ihr?
Das Löschen meiner Gesichter. Das Verdunkeln des Raumes.
Spielen, bis das Leben geht.


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