Spiel der Ohnmächtigen: Die 2 Klassen Medizin und der Streik im AKH

Von Medicus58

Spiel der Ohnmächtigen: Die 2 Klassen Medizin und der Streik im AKH

Im Zuge des angedrohten Streiks im AKH  http://derstandard.at/1323916700216/Wiener-AKH-Aerzte-trotz-Ueberbrueckungshilfe-skeptisch brandet wieder einmal die Diskussion über die Zwei-Klassen-Medizin hoch.

Laut Wiki http://de.wikipedia.org/wiki/Zwei-Klassen-Medizin benennt der Begriff ein Gesundheitssystem, in dem die Güte der medizinischen Versorgung davon abhängt, ob der Patient gesetzlich ("Kassenpatient") oder privat krankenversichert ist.

Diese Bevorzugung widerspricht für einen Teil der Bevölkerung (zu dem ich mich zähle, obwohl Klassegelder ein wesentlicher Bestandteil meines Einkommens darstellen) dem Gefühl, dass bestimmte Dinge (Gesundheit, Bildung, Soziale Absicherung, ...) jedem Mitglied der Gesellschaft in gleicher Weise zur Verfügung zu stehen haben, ungeachtet seiner/ihrer finanziellen Möglichkeiten, da er/sie ohnehin mit seinen Steuern dieses System finanziert hat. 
Als Schuldige für diesen Zustand sind immer die geldgierigen Ärzte ausgemacht, die die Privatversicherten bevorzugen, um sich ihr Gehalt aufzubessern. Man nimmt auch den AKH-Ärzten nicht ab, dass sie für eine bessere Patientenversorgung streiken wollen. (Ob ein überarbeiteter und frustrierter Arzt eine gute Patientversorgung garantiert mag bezweifelt werden, er scheiter halt nicht so spektakulär wie eine überarbeiteter und frustrierter Linienpilot.) 
Dass die Position der Ärzte international nicht allzu gut sein dürfte, wurde erst kürzlich hier angedeutet (http://sprechstunde.meinblog.at/?blogId=47984 ) so dass wir uns das heute ersparen, weil es mit dem Thema auch gar nicht so viel zu tun hat.

Ich möchte nur ein paar Schlaglichter in die Diskussion stellen, die m.E. viel zu wenig beachtet werden:

  • Die Privatversicherten sind die Reichen
    Dabei handelt es sich um ein Mißverständnis. Die wirklich Reichen können bar zahlen, das Gros der Privatversicherten haben (so lange sie jünger sind) relativ günstige Sammelverträge, die sie über ihre Dienstgeber, über die Gewerkschaft, über Vereine, ...etc. angeboten bekommen haben.
  • Privatversicherte sind die Melkkühe der Ärzte:
    Den wenigsten Versicherten ist bekannt, dass ihre Vertäge sehr eingeschränkt sind d.h. z.B.
    nur für stationäre Therapie, nicht für Diagnostik gelten,
    von der Versicherung rasch gekündigt werden können, wenn es einmal wirklich um teure Leistungen geht und 
    ambulante Leistungen (außer in den Privatkrankenanstlten, die den Privatversicherungen gehören) nicht abgedeckt sind, ...etc.
    Quer durch alle ärztlichen Fächer streichen die PKVs (Privatversicherungen) ca 20% aller erbrachten Leistungen, Tendenz steigend. Ein direkter Rechtsweg ist primär ausgeschlossen, es existieren nur Schlichtungsstellen, deren Urteile Jahre dauern.
  • Ärzte verdienen an Privatpatienten während ihrer Dienstzeit
    Ja, mit vollem Einverständnis der Krankenhausträger, die an diesen Einkünften aus ärztlicher Tätigkeit mit 24-60% mitschneiden, obwohl sie ohnehin für die "Hotelkomponente (Zwei-Bett-Zimmer, freie Zeitung, Mineralwasser ...) direkt von den PKVs kassieren.
  • Nur die Primarärzte verdienen
    Falsch, die Abgaben an die "sonstigen Ärzte" sind in der Ärztkammer auf das Prozent genau geregelt.
    Dass de PKVs Gewinne einfahren, dass die Gelder über Verrchnungsgesellschaften (Steuerberater) abgerechnet werden, die ebenso mitscheiden wird immer vergessen!
  • Ärzte verdienen an Privatpatienten in ihren Ordinationen
    Nein, wie gesagt inkludieren >90% aller österr. PKV-Verträge NICHT ambulante Leistungen; 
    Ja, aber nur durch die Privatrechnungen, die die Patienten aus eigener Tasche zahlen müssen. Dass die Patienten dies tun, um dann von "ihrem Arzt" ineinem Privatspital operiert zu werden, steht dann auf einem anderen Blatt, jedoch findet niemand was, dass der Rechtsanwalt sich die Zeit, die er sich für das Anhören der Probleme nimmt, auch verrechnet. (PS: Ich führe ganz bewußt keine Privatordination!)
  • AKH Ärzte sind selten am Krankenbett
    Zum Teil, weil sie als Angestelte des Wissenschaftsministeriums dienstrechtlich zur Forschung und Lehre verpflichtet sind. Für Habilitierte kann der Anteil an klinischer Arbeit (also Patientenbetreuung) leicht unter 50% fallen. Da aber für eine wissenschaftliche Karriere fast ausschliesslich die Publikationen (und das networking) ausschlaggebend sind, leidet hier das AKH, als größtes Routinespital des Landes an einem inneren Kernkonflikt, für den die Ärzte nichts können.
  • Die Meduni Wien ist pleite
    Ja, weil die Universitäten an sich pleite sind, aber auch weil die zusätzlichen Kosten der Gründung einer eigenen Medizinuni viele Teile der Verwaltung dupliziert hat. (Für alle, die es nicht wissen, früher waren die Universitätskliniken im AKH Teil der medizinischen Fakultät der Universität Wien, nicht zuletzt auf Druck der Blauen nach der 2000er Wende und einer starken Lobby ehemaliger Mittelbaupolitiker musste man sich ja eigenständig erklären...)
    JA, weil das neue Curriculum einen großen Personalbedarf hat, den die Meduni nicht abdecken konnte und deshalb viel Geld an externe Spitäler, Lektoren, Konsulenten, .... fliesst, um die (sich selbst auferlegte) Intensität der studentischen Ausbildung zu ermöglichen.
  • Die AKH Ärzte wollen für mehr Geld streiken?
    Wohl auch, aber 
    Die Dinge so betrachten, hieße sie allzu genau betrachten.
    http://de.wikisource.org/wiki/Hamlet/F%C3%BCnfter_Aufzug 
    Cui bono? Gerade da liegt der Kern dieser Diskussion: Wie für jede (gesellschaftliche) Ungerechtigkeit gilt auch hier die Logik der Spieltheorie und des Dramadreiecks: 
    Ein Teil aller Beteiligten (Ärzte, Patienten, Gesundheitsökonomen, Patientenanwälte, Gewerkschafter, ...) glaubt aus dieser Situation Vorteile ziehen zu können bzw. hat auch welche davon und scheut daher jede Veränderung. Die meisten würden bei einem ordentlichen Grundeinkommen auf alle Nebentätigkeiten verzichten, wissen aber, dass es im schlimmsten Fall so enden wird: 
    Auf das eine haben sie verzichtet und das andere wurde ihnen genommen.

    DESHLAB ändert sich nix. nicht weil die Ärzte so mächtig und die Krankenhausträger so ohnmächtig sind, sondern weil der unbefiredigende ISt-Zustand viele Väter und Nutzniesser hat.