Spiegel und Fenster (3): Die Flucht und Rückkehr

Erstellt am 14. August 2010 von Qohelet17

Inzwischen ist es Ramadan. Die Streitkräfte garantieren Sicherheit.

Was ist eigentlich aus der Wohung geworden, die mir so gut gefallen hat?

In Israel wird man was solche Dinge betrifft prinzipiell nicht zurückgerufen und auf meine Anfrage durfte ich feststellen, dass es dem weiblichen Mitglied der WG lieber wäre, wenn sich ein anderes femenines Exemplar der Gattung Mensch in der Wohung einquartieren würde.

Wieder stehe ich bei 0.

Kaum ein Tag ist inzwischen vergangen, an dem ich nicht sämtliche neue Adressen im Internet der Reihe nach angerufen habe.

Von 10 Wohungen die infrage kämen fallen etwa

  • 3-5 weg, weil man nur Mädchen akzeptiert
  • 1-2 weg, da sie entweder religiöse Juden wollen
  • oder wiederum eine, weil sie eine religiöse Jüdin wollen
  • bei 3 Nummern hebt niemand ab, oder ich werde auch nach mehreren Versuchen nicht zurückgerufen.
  • Die Wohung die manchmal übrig bleibt stellt sich oftmals als zu teuer heraus oder man entschließt sich jemanden anderen zu nehmen.

Die Lage ist nicht einfach.

Auf die Dauer würde diese Situation vielleicht für viele Menschen nicht sonderlich erträglich sein und auch mir fällt es laufend schwieriger standhaft zu bleiben.

Womöglich hat sich der Eine oder Andere geneigte Leser schon gefragt, was es mit der Überschrift zu tun hat. Dem Spiegel.

Ich gehe davon aus, dass fast alle Menschen denen man im Laufe des Lebens begegnet eine Art Spiegel der eigenen Person darstellen.

Verhaltensweisen, die nicht böswillig sind, aber einem sehr auf den Wecker gehen, um es salopp zu sagen ärgern uns meistens deshalb weil wir unsere eigenen Fehler sehen, weil sie uns an die Fehler von Menschen erinnern, die wir nicht mögen oder wir ärgern uns einfach darüber, dass wir nicht den Mut oder das Können haben so zu leben, wie der Andere es tut.

Seine eigenen Fehler sagt man Mitmenschen doch am liebsten nach, oder?

Manchmal wird einem durch das Leben anderer bewusst, in welche Sackgasse oder Schlucht man selbst zusteuert.

So ist es auch mir gegangen. Mit Sicherheit nehme ich das Wohnungsproblem schwerer als es ist. Ich hatte immer ein Dach über dem Kopf und werde es auch in Zukunft haben. Das ändert nichts an der Situation, das es mich fertig macht, mich wertvolle Lebensenergie kostet und ich aus unerfindlichen Gründen in der Nacht wach bleibe und Schlafenszeit vertrödle.

Letzte Woche ist ein Mitarbeiter, mit dem ich sehr gut zurechtgekommen bin zusammengebrochen, da er sich selbst übernommen hat. Ich stehe glücklicherweise noch weit entfernt von der Kippe – durch diesen Vorfall wurde mir aber bewusst, dass ich mich darauf hinbewege.

Solche Meinungen kann man diskutieren, es schadet aber nicht, sich ab und zu Gedanken darüber zu machen, was man erlebt.

Figuren beim Straßenfest

Glücklicherweise habe ich hier auch Freunde gefunden, die mir helfen, den Weg, der vor mir liegt zu bestreiten.

Hin und wieder braucht man vom Alltag Distanz – eine davon gewährte mir Rifka. Am Ben Yehuda Markt in Jerusalem fand ein Festerl statt. Ob ein Grund dahinter lag ist mir nicht bekannt, aber es waren Erlebnisse, die ich gerne wieder hätte.

Pappmachefiguren, die durch die Menschenmenge getragen kommen, Anschluss haben sich am Markt neue Ständchen aufgetan, an denen kleinere Künstlergruppen zeigten, wie man Müll verwertet, andere haben für umgerechnet 10 Euro Gedichte geschrieben und einer hat mir den „Tipp für die Zukunft“ gegeben.

An Kreativität schien kein Mangel

Wahrsager: „Wenn du kein Pferd bekommst, nimm den Esel“
Ich: „Und wenn der Esel mir teurer kommt als das Pferd?“
Wahrsager: „Dann nimm das Pferd“
War eine Anspielung auf die „eseligen“ Wohungen, deren Preis zu hoch war. Also warte ich doch auf das Pferd…

Erstaunt haben mich einige Künstler, die ein Instrument aus dem mittleren Orient gespielt haben, dessen Name „Tar“ lautet (für alle, die es interessiert: Eines meiner Lieblingsbücher heißt „Huhn mit Pflaumen“ von Marjane Satrapi, darin geht es um einen Tar-Spieler im Iran der 50er Jahre) – und sogar überraschend gut. Für mitteleuropäische Ohren klingt es fremd – bis man irgendwann die ungewohnte Schönheit dieser für uns exotischen Musik erkennen kann.

Ein Tar-Spieler, dessen Lieder mir besonders gefallen haben

Jedoch schienen manche Orthodoxe von der indischen Kunst nicht seh beeindruckt

Den Abschluss meines Abends hätte ich mir kaum vorstellen können: Israelische Kurden.

Mit Kurdistan beschäftige ich mich seit Jahren und habe auch einige Freunde in den kurdischen Verbänden in Europa. Plötzlich spielt man auf den Straßen Israels die Lieder, die ich seit Jahren höre.

Ebenfalls ein Phänomen Israels: Die ganze Welt kommt in dem schmalen Landstreifen zwischen Libanon und rotem Meer zusammen.

Alla und ich

Wo wir gerade dabei sind, dass sich die Welt trifft: Ein paar Tage später sollte ich mit meiner derzeitigen „Gönnerin“ Alla, die mir Unterkunft gewährt zum internationalen Kunst und Handwerksmesse gehen.

Für die musikaische Begleitung sorgten Bands und Artisten aus allen Teilen der Welt. U.a. aus Thailand, die sich hier in Israel mit Sicherheit sehr wohl gefühlt haben – die Thailänder sind eine sympathische Minderheit, über die ich schon seit drei Monaten schreiben will…

Schausteller und Künstler bieten ihre Waren feil. Teilweise nützlicher, teilweise nutzlos, sehenswert aber definitv. Kaufen konnte (sollte!) man am Besten auch was.

Am polnischen Stand kam man sich zuweilen etwas vereinsamt vor

Einer der besseren Künstler, der sich leider in einem besonders hohen Preissegment angesiedelt hat

Am Ende sah ich so aus wie eine Mischung aus dem libyschen Revolutionsführer Ghadaffi, einem Juden undefinierbarer Strömung und einem Mitteleuropäer, der so aussieht wie eine Mischung aus beiden.
Kurzum: Mein neues Kleidungsstück gefällt mir

Meine neue "Kippa"

Es gibt einen Spruch, der Israel beschreiben sollte:
In Haifa arbeitet man, in Jerusalem betet man und in Tel Aviv feiert man

Dieses Zitat ist aber nur teilweise richtig. In Israel feiert jeder gerne – in Jerusalem ist es aber vielleicht etwas näher an der Realität als in Tel Aviv und das ist etwas, das ich auch sehr an der Stadt schätze.

Meine Wohnungssuche hat mir inzwischen noch eine weitere Episode in meinem Leben beschert, die ich in Comicform wiedergeben möchte.
Ein Teil meines Denkens jüdisch beeinflusst, am stärksten von den Chassidim, da ich viele ihrer Geschichten kenne und auch noch heute gerne lese. Auch wenn sie es sind, die auf der Straße tanzen und sie es waren, die dem früheren orthodoxen Judentum als offenere, frischere und vor allem fröhlichere Bewegung gegenübergestanden haben, so kann nichts die Tatsache ändern, dass man ein Charedim werden könnte.

Was ist ein Charedi?

Als Charedim werden die orthodoxeren Gruppierungen des Judentums bezeichnet, deren Leben vom Studium der Tora, von Beten und Religiösität geprägt wird.
Meinen früheren Farmer Golan habe ich einmal nach der Bedeutung des Wortes gefragt, worauf er kurz nachdachte und antwortete:“Irgendetwas mit sehr viel Furcht“.
Bei den Braslewern bin ich davon ausgegangen, dass sie sehr offen sein müssten und einen, der nicht gerade herumgetanzt hat habe ich angesprochen, ob ich vielleicht in der Jeschiwa unterkommen könne.
Dass es mir schaden würde die Tora und deren Auslegung zu lernen wage ich zu bezweifeln und glücklich sein ist auch immer gut, dachte ich.
Was ich gelernt habe:

- Auch bei den Braslewern gibt es Charedim
- Wenn ich welche treffe, dann prallen Welten aufeinander



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