SPD, SPÖ und die Urabstimmung

Von Politropolis @sattler59

Während bei der SPD bereits festgelegt ist, wann die Befragung der Parteimitglieder über das gerade verhandelte Koalitionsabkommen stattfindet, wird in der SPÖ gemauert. Aus diesem Grund haben Sektion 8 und Sozialistische Jugend auch Yasmina Banaszczuk aus Deutschland nach Wien eingeladen, um mit ihr Gemeinsamkeiten zwischen SPD und SPÖ, aber auch Unterschiede zu erörtern.

Banaszczuk hat auch ein Mitgliederbegehren gegen die Vorratsdatenspeicherung organisiert, das zwar auf einiges Interesse bei der Basis gestoßen ist, von der Parteispitze aber auf die lange Bank geschoben wird. Immerhin gibt es mittlerweile mehr als 50 Beschlüsse von SPD-Ortsgruppen und Organisationen zum Thema. Durch diese Erfahrung weiss sie auch, dass man Strukturen braucht für Demokratie von unten, sonst müsste man sich praktisch Vollzeit für so eine Initiative engagieren, damit sie unter den Mitgliedern bekannt wird, diese sie unterstützen.


Yasmina Banaszczuk


Sie ist kürzlich aus der SPD ausgetreten, ist aber auf dem Laufenden, was den Entscheid zum Koalitionsabkommen betrifft. Wie in Österreich verhandeln auch in Deutschland die Parteien unter Stillschweigen nach außen, bis auf Details, in denen Unstimmigkeit nach außen dringt. Dadurch wird dann das Zeitfenster relativ klein, in dem sich die Mitglieder ihre Meinung bilden können, ehe sie dann zwischen 6. und 12. Dezember 2013 brieflich an der Abstimmung teilnehmen.

Ähnliche Bedingungen würde es in Österreich geben, würde “die” SPÖ eine Urabstimmung nicht ablehnen. Wobei jedoch die SPD einen Parteitag wenige Wochen nach der Wahl, mitten in den Koalitionsverhandlungen abgehalten hat (von 14. bis 16. November in Leipzig) – was in Österreich undenkbar wäre, so die Anwesenden bei der Diskussion. Die SPD sieht sich als “modernste Partei Europas”, sagt Banaszczuk, denn 2011 verpasste sie sich eine Parteireform. Es gibt Vorwahlen für den Kanzlerkandidaten (wo allerdings nur Männer wirklich Chancen haben), Quoren für Mitgliederbegehren, die Möglichkeit, online mitzustimmen, und den Mitgliederentscheid. “Es gab zum Beispiel einmal ein Mitgliederbegehren gegen Hartz IV”, jene verhängnisvolle Maßnahme einer rotgrünen Regierung.

“Parteien sollten vielfältiger werden, weiblicher, jünger”, meint Banaszczuk, denn in der Realität sind es Männer Ende 50, welche die Entscheidungen treffen, und zwar bis runter auf die kommunale Ebene. Einfach mit Anliegen kommen ist da auch für Mitglieder fast unmöglich, und erst recht fehlt eine Öffnung für Nichtmitglieder. “Manche Menschen haben auch gar keine Zeit für Engagement in traditionellen Strukturen”, etwa AlleinerzieherInnen oder Menschen, die Schicht arbeiten.

“In Deutschland spielte auch das Phänomen der Piratenpartei eine Rolle”, da die PiratInnen zum Teil in die Landtage kamen. Was den letzten Bundestagswahlkampf betrifft, gab es einerseits manch ein Fettnäpfchen, andererseits aber nahm man Spitzenkandidat Peer Steinbrück nicht ab, dass er hinter einem Programm steht, das “inhaltlich linker als seit vielen Jahren ist”. Dies wirkte sich auch auf die Motivation aus, denn “keiner hat mehr geglaubt, dass man Wahlen gewinnen kann”.

Was Banaszczuk nicht dazusagt, sich aber wohl auch gefragt haben wird: ob es wirklich eine geschickte Strategie war, gegen Kanzlerin Angela Merkel mit einem Mann anzutreten, der sich mit dem Programm der eigenen Partei nicht identifiziert? Eine Kandidatin wäre auch dann ein Kontrapunkt gewesen, wenn CDU/CSU nicht auf die erste Kanzlerin Deutschland setzen hätten können, sondern wie früher üblich mit einem Mann angetreten wären.

Dass es laut Wahlversprechen “keine grosse Koalition mit Peer Steinbrück” geben wird, löst die SPD vermeintlich elegant, indem sie nun auf Sigmar Gabriel setzt. Zwar ist der Partei das männlich geprägte Erscheinungsbild bewusst, aber auf die Idee, Frauen gezielt aufzubauen, kommt man(n) anscheinend erst nach der Wahl. In dieser Situation ist aber das Mitgliedervotum “eine Art Notwehr”, sodass sich die Parteiführung dadurch Rückendeckung verschaffen will. Die SPD benötigt ein Quorum von 20% der Mitglieder, was bedeutet, dass sich mindestens 100.000 Personen beteiligen müssen.

Die “spannendste Variante”, die innerparteiliche Regeln vorsehen, wäre ein Sonderparteitag, weil das Quorum nicht erreicht wird, wobei aber unter denen, die sich beteiligt haben, eine Mehrheit gegen den Koalitionsvertrag ist. Dies würde Diskussionen bei diesem Parteitag implizieren, dessen Ausgang offen ist. Freilich nennt Banaszczuk auch Kritikpunkte, etwa, dass der Stichtag für die Adressen und deren Richtigkeit bereits der 13. November war. Es ist zwar für langjährige Mitglieder sicher kein Problem, auf nicht zur Kenntnis genommene Adressänderungen hinzuweisen (bzw. weiss man davon, wenn sie umziehen, weil man sie kennt), aber für neue kann dies schwierig werden.

Zudem sind nur etwa 5% der Mitglieder auch aktiv, was einen Durchschnittswert darstellt; teilweise sind es mehr, oder aber noch weniger. “Wer die Koalition nicht will, wird sich eher an der Befragung beteiligen”, meint Banaszczuk. Aus ihrer Erfahrung weiss sie, dass “die Leute es eigentlich nicht gewöhnt sind, in der Partei mitzubestimmen”.

Die SPD müsste dafür geeignete Strukturen schaffen, auch online. “Ein Großteil der Menschen ist inaktiv”, will nur über das abstimmen, was andere vorgeben, sich also dann auch nicht selbst einbringen. Somit haben in der Partei “Machtnetzwerke” das Sagen, was im Grunde keine Demokratie mehr ist. “Ich hoffe, dass ihr euch nicht einschüchtern lässt”, gibt Banaszczuk den GastgeberInnen mit auf den Weg.

In seiner Rede beim Parteitag betonte Sigmar Gabriel auch, dass die Urabstimmung eine Stärke der Partei darstelle. Tatsächlich ist sie ein Argument für neue Mitgliedschaften, wie Banaszczuk anmerkt. Die SPD kommuniziert diese “Stärke” auch offensiv, wie man auf ihrer Webseite erkennen kann: “Noch vor der Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit der CDU/CSU hatte der SPD-Parteivorstand entschieden, dass zum ersten Mal auf Bundesebene in der eigenen Parteigeschichte und die SPD als erste deutsche Partei überhaupt einen ausgehandelten Koalitionsvertrag allen Mitgliedern zur Abstimmung vorlegen wird. Die Mitglieder sollen darüber entscheiden, ob die SPD in einer Koalition mit der Union genug politischen Fortschritt für die Millionen von Menschen erreichen kann. Denn viele Menschen in Deutschland setzen nicht zuletzt auf die Sozialdemokratie, damit es zu einer Verbesserung ihrer Lebensumstände kommt.


Yasmina Banaszczuk

Das ist das Ziel der SPD in den derzeit laufenden Gesprächen mit der Union. Das Mitgliedervotum über die Ergebnisse dieser Verhandlungen wird für alle in der SPD politisch verbindlich sein. Die SPD-Mitglieder werden in den kommenden Wochen kontinuierlich auf dem Laufenden darüber halten (z.B. auf den Sonderseiten zum Mitgliedervotum auf spd-mitgliedervotum.de oder per E-Mail), was gerade in den Koalitionsverhandlungen ansteht und selbstverständlich auch darüber, welche Neuigkeiten es bei den Vorbereitungen des Mitgliedervotums gibt. Es geht darum, konkrete Verbesserungen für viele Millionen Menschen durchzusetzen. Zugleich hat die SPD die Chance, neue Standards für innerparteiliche Demokratie zu setzen.”

Sieht man sich Medienberichte an, für die JournalistInnen vor Ort nachgefragt haben, so ist es keineswegs ausgemachte Sache, dass die Parteispitze Zustimmung zur Koalition bekommen wird. Denn viele sind dagegen, überhaupt mit CDU/CSU zu regieren, und finden es gar nicht notwendig, sich via Urabstimmung den Sanktus der Partei zu holen. Die SPD informiert laufend über die Verhandlungen, natürlich nicht im Detail, weil dazu erst der Vertrag vorliegen muss. Wenn er ausverhandelt ist, wird er aber ins Internet gestellt und an alle Mitglieder verschickt. Bei den FAQs zur Urabstimmung steht auch: “Jeder Landesverband oder Bezirk führt mindestens eine Regionalkonferenz durch, zu der du eingeladen wirst und über den Koalitionsvertrag mitdiskutieren kannst. Die Termine findest du auch auf spd-mitgliedervotum.de. Auch die Unterbezirke und Ortsvereine sind gebeten worden, vom 6. bis 8. Dezember zu Diskussionsveranstaltungen vor Ort einzuladen.”

Die SPD betont, dass das Ergebnis “wirklich bindend” ist, wenn sich 20% der Mitglieder beteiligen: “Der Koalitionsvertrag ist entsprechend dem Ergebnis angenommen oder abgelehnt.” Infos zu den Verhandlungsgruppen stellen die grundsätzliche Position der Partei dar und geben bekannt, wer für sie verhandelt. Hier bestätigt sich auch, was Banaszczuk zum innerparteilichen Ungleichgewicht zwischen Frauen und Männern gesagt hat. Die Partei hat fast nur Frauen für den in einer Gruppe behandelten Bereich Frauen, Familie und Gleichstellung nominiert, während sich typischerweise lauter Männer und nur eine Frau mit Äußeres und Verteidigung befassen. Wie in der SPÖ können sich offenbar die meisten GenossInnen nicht vorstellen, dass Frauen nicht auf Familie und Co. festgelegt werden und sich für Außenpolitik und Verteidigung interessieren können.

Was Mitreden betrifft, wirkt die SPÖ im Vergleich jedenfalls sehr zaghaft und verschlossen, da sie beharrlich darauf verweist, dass ja eh, nämlich am 27.November, der Parteivorstand über die Verhandlungen informiert wird. Mittlerweile fordern zwei Landesparteiorganisationen, Salzburg und Oberösterreich, Mitbestimmung beim Koalitionsvertrag. Die Initiative für eine Urabstimmung hat sich 500 Basisorganisationen als UnterstützerInnen als Ziel gesetzt; bislang sind es 93 Sektionen und Ortsgruppen und 68 weitere Organisationen. Wenn es darum geht, jene 15% Mitglieder zu repräsentieren, die eine Urabstimmung verlangen können, zählen die Sektionen und Ortsgruppen.

Man gehe da “ganz praktisch” vor, sagt Eva Maltschnig von der Sektion 8, denn es ist organisatorisch kaum möglich, Unterschriften von 15% der Mitglieder zu sammeln. Die Partei hat gerade “eines der miserabelsten Wahlergebnisse ihrer Geschichte” eingefahren, macht aber wie bisher weiter. “Keine Sekunde wurde auf eine andere Option als eine Fortsetzung der Koalition verwendet”, was viele an das Verhandlungsergebnis erinnert, das vor ein paar Jahren Parteivorsitzender Alfred Gusenbauer erzielte. “Wir befürchten wieder den Verkauf von Kerninhalten”, gerade weil aus dem bisher Bekannten abzuleiten ist, dass auf Kosten von Einschnitten im Sozialbereich gespart werden wird, es weder Vermögenssteuern noch andere Versprechen der Partei vor der Wahl geben wird.

Kaum wurde der Wunsch nach Mitbestimmung artikuliert, “kam das Njet seitens der Bundesgeschäftsführung und der Parteispitze”, denn: “Wir entscheiden in Gremien.” Nun wird versucht, die Sektionen zu mobilisieren, damit im Namen von 15% der Mitglieder die Forderung nach Urabstimmung erhoben wird. Viele ziehen ihre Unterstützung wieder zurück, sagt Maltschnig, “denn es wird extremer Druck über den Parteiapparat ausgeübt, von der Bundesgeschäftsführung über die Landesgeschäftsführer und so weiter”. Freilich bestehen da nicht einmal direkte Abhängigkeiten, sodass sich die Länder keineswegs fügen “müssen” (von der fragwürdigen politischen Kultur ganz abgesehen). Doch man kennt auch die Ängste von aktiven Mitgliedern, die selbst keinen Job via Partei haben, sich aber dennoch vor Eigenständigkeit fürchten.


Eva Maltschnig

“Dass Organisationen ihre Unterstützung rückgängig gemacht haben, weil die da oben sagen, es geht nicht, zeigt, dass ihnen mit ziemlicher Härte über den Apparat zugesetzt wird.” Die InitiatorInnen sehen ihre Aktion hingegen als positiven Beitrag zu mehr Einbeziehung der Basis, zu mehr Demokratie, eben so, wie die SPD ihre Urabstimmung bewirbt, als Zeichen von Stärke. “Viele halten sehr viel von unserer Initiative, aber es gibt kaum Organisationen in der Partei, die keinen Anruf von oben bekommen haben, die nicht kontaktiert wurden”, um sie im Zaum zu halten. Die Frage für die Sektion 8 und andere ist unter diesen Bedingungen, “was wollen wir mit dieser Partei?”. Dabei braucht “die Partei” die Menschen vor Ort ja, damit andere andocken können. Früher, bis in die 1980er Jahre, war die Sektion der Platz, wo laufend über die Politik der Partei diskutiert wurde, wo informiert wurde.

Während Maltschnig meint, dass die Parteispitze ohnehin seitens der Mitglieder die Zustimmung zum Koalitionsvertrag bekommen würde, ist es für SJ-Vorsitzenden Wolfgang Moitzi keineswegs eine ausgemachte Sache. Er ortet ähnliche Unzufriedenheit wie teilweise in Deutschland darüber, dass überhaupt, ohne andere Optionen auch nur anzudenken, mit den Konservativen verhandelt wird. Positiv ist aber, dass ein Demokratiepapier der SJ am letzten Bundesparteitag beschlossen wurde. Zugleich merkt Moitzi auch an, dass er sich einen SPÖ-Parteitag mitten in Koalitionsverhandlungen nicht vorstellen kann und die SPD da mehr Mut zeigt. Kritisch sieht er die Programmdebatte, die dem roten Seniorenchef Charly Blecha und Ex-Klubobmann Josef Cap überlassen wird, für den extra ein Versorgungsposten im Renner-Institut geschaffen wurde.

Zu Cap, dessen Job etwa die SJ Steiermark kritisiert hat, meint Moitzi, dass es “viele ähnlich gelagerte Fälle” gäbe und stets ohne innerparteiliche Diskussion vorgegangen wird. Gegenüber der Parteibasis ist aber eine strukturelle Neuaufstellung erforderlich, weil bei denen, die gleicher sind als andere, eben nicht mehr gilt, dass sie dank SPÖ leichter an Jobs und Wohnungen kommen. Beim Programm spricht schon allein dessen Alter dafür, dass es reformbedürftig ist. (Hier verspricht Cap zwar die Einbindung aller, es fragt sich aber wohl, wie ernst Worte gerade von ihm gemeint sind…) “Bis zum Wahlsonntag um 17 Uhr sollen die Leute laufen, dafür sorgt der Parteiapparat”, klagt Moitzi, und “Zehntausende” tun das auch brav. “Ab 17:01 Uhr sind dann die Parteimitglieder nicht mehr gefragt, und wer mitbestimmen will, welche Regierungspolitik in den nächsten fünf Jahren gemacht wird, der wird niedergebügelt.”

Moitzi stellt, etwa in Gremien, die angeblich Entscheidungen treffen fest, dass auch “sehr stark auf der persönlichen Ebene Gegnerschaft” zu denen besteht, die mitreden möchten. Von da ist der Weg natürlich nicht weit zu Verleumdungen, Diffamierungen, Desinformationen, um das Ansehen kritischer und integrer Menschen zu beschädigen, Zwietracht zu säen. Wird dieses Repertoire auch Moitzi gegenüber eingesetzt, dann würde er sich in der (guten) Gesellschaft einiger anderer befinden.

“Es gibt auch schon Diskussionen über eine Urabstimmung über die Urabstimmung”, sagt er zur Stimmung vor Ort. Also, dass die Partei an der Basis erst darüber befindet, ob sie sich überhaupt zutraut, nach den eigenen Statuten mitentscheiden zu wollen (es sich zu trauen?!). Bedauerlicherweise werden Beschlüsse vor Ort nicht ernstgenommen und vertreten, ohne dass dies Konsequenzen hat. Ein Beispiel dafür sind die Delegierten Salzburgs in die Bundesgremien, die wenige Tage nach ihrem Landesparteitag nichts mehr davon wissen wolltn, dass sie für Mitbestimmung eintreten müssten. “Dabei gibt es inhaltlich kaum Argumente gegen eine Urabstimmung”, auch nicht, dass ein bestimmter Prozentsatz an Parteimitgliedern ja nicht repräsentativ sein könne für die etwas grössere Menge an SPÖ-WählerInnen.


Wolfgang Moitzi, Yasmina Banaszczuk, Marina Hanke, Eva Maltschnig

Yasmina Banaszczuk spricht von “verkrusteten Netzwerken”, die nicht nur auf Machtpositionen sitzen, sondern auch kaum Bezug zur Alltagsrealität vieler Menschen haben, sodass die von ihnen vertretenen Inhalte vieles nicht berücksichtigen. Gemeint ist etwa traditionelles Denken roter Gewerkschafter, die das Prekariat kaum berücksichtigen oder die noch nicht verstanden haben, dass körperliche Schwerstarbeit neu definiert werden muss angesichts des zunehmenden Bedarfs an Pflege. “Es geht natürlich um Macht und Machtverzicht”, was auch in der SPD selten klar auf den Punkt gebracht wird. “Wenn die Partei in ihrem Erscheinungsbild weiblicher werden soll, bedeutet dies, dass Männer auf Funktionen verzichten müssen, die sie derzeit haben.”

Und da geht es eben auch um “die Anschlussverwendung” nach politischer Tätigkeit, die nicht von vornherein gegeben ist bei Berufspolitikern. “Da handelt es sich um Leute, die mit dem Job an der Politik dranhängen” und schon von daher kaum einsehen werden, dass sie aufgrund von hehren Zielen wie “vielfältiger, jünger, weiblicher” werden verzichten sollen. Banaszczuk verlangt von der SPD, “den Leuten mehr zuzutrauen, ihnen mehr zu vertrauen”, sie eben nicht darauf zu reduzieren, im Wahlkampf zu laufen (mit vorgefertigtem Material). “Es bricht nicht gleich Chaos und Anarchie aus, wenn die Menschen mitbestimmen”, sagt sie.

“Stundenlang redende ältere Herren”, die ganz auf ihrer eigenen, eingefahrenen Schiene sind, hat Eva Maltschnig in der SPÖ erlebt. Hier hat es egal wer schwer, sich einzubringen, wobei die Frage, wer denn nun wirklich Entscheidungen trifft, auch von Johanna Dohnal beschrieben wurde. Wolfgang Moitzi sagt, sie hat in einem Buch geschildert, wie sie zunächst als “Neue” in Wien-Penzing mitreden wollte, aber merkte, dass dort nicht entschieden wird; dann machte sie ähnliche Erfahrungen in diversen Gremien auf Landes- und schliesslich Bundesebene. Aus seiner eigenen Erfahrung meint er, dass in den (eigentlich wirklich zuständigen) Bundesgremien “manches” enschieden wird, aber “wesentliches eben nicht”, das dort bloss abgesegnet werden soll.

Er kann sich vorstellen, dass dem Koalitionsabkommen, wie auch immer es konkret aussehen wird, von einigen auch “aus Frust” Ablehnung entgegengebracht wird. Alles in allem, meint er, würde aber doch eine Mehrheit dafür stimmen. Eva Maltschnig hingegen rechnet damit, dass die Partei das Abkommen ohnehin mittragen würde, wenn sie mitreden dürfte. Wie winzig der Spielraum für kritische Basis ist, merken SJ und Sektion 8 bei Themen wie Fiskalpakt, Verbot des Kleinen Glücksspiels, Vermögenssteuern oder Wohnen als nicht gelöstem Problem (besonders, wenn es um junge Menschen geht). Zwar ist es manchmal möglich, jene zu überzeugen, die sofort mit Abwehrhaltung reagieren – aber man sieht etwa am Parlamentsklub auch, dass die kaum Chancen auf ein Mandat haben, die sich nicht fügen wollen.

Eigentlich müsste den engagierten SozialdemokratInnen selbst auffallen, wie drastisch sie die Reaktionen der eigenen Partei erleben, sodass sie sich fragen sollten, was hier vor sich geht. Intern werden sie Vergleichsmöglichkeiten haben und andere fragen können, wie es noch vor wenigen Jahren war, wie damals “die Löwelstrasse” agiert hat. Auch, wie sich Norbert Darabos als Bundesgeschäftsführer von 2003 bis Anfang 2007 verhalten hat, wie er mit der Parteibasis umgegangen ist, wie der Kontakt mit ihm verlaufen ist. Was mir geschildert wurde, unterscheidet sich radikal davon, wie er wahrgenommen wird, seitdem er Anfang 2007 Verteidigungsminister wurde. Als er im März 2013 in die Parteizentrale zurückkehrte, bedeutete dies auch dort einen anderen Stil – anders auch, als er vor dem Wechsel ins BMLV agierte.

Nun kann man zu Verallgemeinerungen greifen und “denen da unten” einfach “die da oben” undifferenziert gegenüberstellen, auch Darabos unter jene einreihen, denen es ja bloss um Machterhalt und Berufspolitikertum geht. Das eine oder andere Mal findet man aber selbst unter denen, die schon lange beruflich Politik machen, integre Personen, die nicht in erster Linie selbst im Vordergrund stehen, sondern das tun wollen, was sie am besten können. Aus der Zeit “vorher” hat Darabos jedenfalls den Ruf, ein exzellenter Strategie zu sein, und auch als Minister wurde er von einigen als “Blitzgneisser” eingeschätzt. Strategisches Denken ist eine militärische Eigenschaft, und Menschen, die Situationen und Sachverhalte sofort erfassen, können sich rasch in jede Materie einarbeiten.

Von dieser nüchternen Betrachtungsweise war in der Medienberichterstattung, die sich massiv auf Einschätzungen auch in der Partei auswirkte, aber wenig zu bemerken – man legte Darabos sofort fest auf den “Ex-Zivi, dem alles Militärische fremd ist”. Auf diese Weise wurde davon abgelenkt, dass Darabos gezielt über Kabinettschef Stefan Kammerhofer, einem “Mitbringsel” aus dem roten Parlamentsklub, abgeschottet wurde. Personen sowohl aus dem Bereich Bundesheer, als auch aus der Partei etc. berichteten, dass Kammerhofer vollkommen abblockte und denen zusetzt, die sich nicht fügen wollen, sondern mit dem Minister reden mussten, wollten, sollten. Auch mit Darabos selbst vereinbarte Termine wurden gecancelt, davon abgesehen, dass er im Vergleich zu den anderen Regierungsmitgliedern selten öffentlich auftrat, manchmal wochenlang überhaupt nicht öffentlich präsent war.

Die Vorstellung, dass ein hochintelligenter Stratege, der oberstes Organ in einem Ressort wird, der nach der Bundesverfassung die Befehls- und Verfügungsgewalt über das Bundesheer hat, sich freiwillig von den Personen fernhält, mit denen er als Minister, als Sozialdemokrat, als Mensch in Kontakt sein soll / will, ist wahrlich absurd. Es ist allerdings ein Medienmärchen, das gerade angesichts von Darabos’ Nachfolger Gerald Klug (“hat gedient, Militärisches ist ihm nicht fremd”) wieder eifrig gepflegt wird. Dabei braucht man sich nur ansehen, wie Klug mit internationaler Sicherheitspolitik umgeht, um den entscheidenden Unterschied zu erkennen. Während sich Klug dem Diktat der USA unterwirft (unsere UN-Truppen vom Golan abzieht, US-Geheimdienste schützt, den USA heimlich Soldaten für Syrien anbietet usw.), war und ist Darabos denen ein Dorn im Auge, die von österreichischen Spitzenpolitikern Vasallentum erwarten. Dabei geht es auch darum, dass besonders den Menschen massiv zugesetzt wird, die imstande sind, die Einflussnahme amerikanischer Geheimdienste zu erkennen und die dagegen vorgehen wollen, um das eigene Land zu schützen.

Es wundert niemanden, der die Zustände im Verteidigungsministerium kennt, der weiss, dass Darabos’ Abschottung mit umfassender Überwachung und Druck einhergeht, dass in der Löwelstrasse nach “bewährter” BMLV-Methode vorgegangen wird. Schliesslich wurde Kammerhofers Handlanger Pressesprecher Stefan Hirsch “Kommunikationschef” der SPÖ, auch um dazu beizutragen, dass Darabos weiter abgeschottet wird. Wie damals im BMLV wird Darabos via Medien als Sündenbock für Aktionen ganz anderer Kräfte angeboten. Denn ebenso wenig wie Darabos eine Orientierung der Sicherheitspolitik an den USA wollte (er ist Gegner des Raketenschildes und von Militärinterventionen), ist es er, der keine Mitsprache der Basis und Sanktionen für Aufmüpfige will.

“Die Bundesgeschäftsführung” ist also ein verschleiernder Begriff, der von den wahren Verantwortlichen ablenkt, und der auch Unterschiede zwischen Opfer, Tätern und Handlangern verwischt. Denen, die ein übles Spiel mit der Instrumentalisierung der SPÖ treiben, kommt es sehr gelegen, dass sich manche der KritikerInnen an der Person Darabos hochziehen, statt zu durchschauen, dass sie auf diese Weise genau die Zustände einzementieren, gegen die sie auftreten. Eines müsste auch klar sein: das Konzept einer offenen Diskussion inklusive Urabstimmung, wie es die SPD vertritt, ist unvereinbar mit der mauernden, geheimniskrämerischen, abblockenden, Diskussionen verweigernden, die eigenen Leute einschüchternden “politischen Kultur” der derzeitigen SPÖ mit dem (auch nur formalen, aber nicht faktischen) “Steuermann” Werner Faymann….

Text und Bilder: Alexandra Bader, http://www.ceiberweiber.at
zugleich erschienen unter:
www.ceiberweiber.at/index.php?type=review&area=1&p=articles&id=2837

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