Man wundert sich, dass es solange gedauert hat. Der Korruptionsskandal “Gürtel” treibt zur Zeit auf einem neuen Höhepunkt zu und die Regierungspartei Partido Popular (PP) zeigt hässlich Flecke auf der immer so beteuerten weißen Weste. Der ehemalige Schatzmeister Luis Bárcenas, dessen Prozess wegen Korruptionsvergehen einen kritischen Punkt erreicht hat, ist bereit zu reden, wenn ihn seine Parteifreunde nicht aus dem Schlamassel heraushauen. Bárcenas ist bereits seit 1987 in der Schatzmeisterei der PP tätig und er hat vermutlich viel zu erzählen. Er droht unverhohlen mit “Atombomben”, die er gegebenenfalls zünden will.
Klar ist jetzt schon, dass die PP seit langem ihre Parteispitzen in einer doppelten Buchhaltung bezahlte. Sie verdienten ein reguläres Gehalt und in bar bekamen sie 5.000 bis 15.000 Euro monatlich – natürlich unversteuert – aus eine Kasse “B” bezahlt. Diese B-Kasse wurde aus Bestechungsgeldern, vor allem der Bauindustrie gefüttert und über Scheinfirmen in Panama in der Schweiz versteckt. Der größte “Wohltäter” war dabei der Bauunternehmer Francisco Correa (Correa auf deutsch: Gürtel), von dem der Skandal auch seinen Namen hat. Der derzeitige Ministerpräsident Mariano Rajoy hat, nachdem die Justiz an die Aufdeckung dieses Korruptionsfalls ging, lauthals die Beschuldigungen als eine Kampagne gegen seine Partei abgetan. Jetzt wird er darüber grübeln müssen wie man Bárcenas ruhig stellen kann. Vermutlich spielt dabei das in der spanischen Politiker so beliebte Instrument der “Begnadigung” eine Rolle. Allerdings ist fraglich, ob sich die Öffentlichkeit noch einmal in seiner solchen Sache an der Nase herum führen lässt.
Spanien ist nicht zu beneiden. Die Politikerklasse desavouiert sich selbst. Das Königshaus verwickelt sich immer mehr in eine Reihe von Skandalen und verliert seine Position als eine Institution, die über den Dingen steht. Aber auch in den autonomen Regionen wird immer mehr klar, dass die lokalen Politiker, wo sie konnten, sich schamlos bereichert haben. Dabei war bei Nepotismus und Bestechung nicht einmal ein Unrechtsbewusstsein zu beobachten. In der Bevölkerung wächst ein erheblicher Unwillen gegen ihre korrupten Politiker. Die Zeitung “La Vanguardia” zitiert den Politikwissenschaftler Fernando Vallespín von der autonomen Universität Barcelona mit den Worten: “Das mit Bárcenas ist ein Tropfen, der das Glas zum Überlaufen bringt. Man muss sich bewusst werden, was ethisch zulässig ist.” Er kritisiert die Logik des “Du auch”, die bisher nicht nur in den Parteien, sondern in der Gesellschaft selbst geherrscht hat. Diese Logik hat verhindert, dass man sich ernsthaft mit dem gravierenden Problem von in Verruf geratenen politischen Parteien beschäftigt, die eine Schlüsselstellung im politischen System haben. Vallespin fordert eine “ethische Katharsis” und wirbt für eine Neugründung der Demokratie in Analogie zu Frankreichs Übergang von der IV. zur V. Republik.
Der Professor der Rechtswissenschaft, Nicolás Rodríguez von der Universität Salamanca, beschreibt, warum die Korruption jetzt in der Bevölkerung nicht mehr so hingenommen wird: “In Zusammenhang mit der Krise provozieren alle diese Fälle in der Gesellschaft ein stärkeres Bewusstsein für das Problem der Korruption und seiner Auswirkungen. Endlich fangen wir an zu begreifen, dass es sich nicht nur um ein einfaches Delikt handelt, sondern dass die Auswirkung auch direkte Folgen für die Wirtschaftssituation haben und demzufolge jeden Bürger persönlich betreffen.”
Spanien steuert in der Tat immer mehr auf einen Scheideweg zu: Die auseinanderdriftenden Regionen, der Bestand der Monarchie und die bisherige Parteienlandschaft stehen auf dem Spiel. Ein Neuanfang ist dringend notwendig.
Siehe auch:
Preisträger José Antonio Hernández zum Gürtel-Skandal
Bürgermeisterin von Valencia im Sumpf der Luxusgeschenke
Demoralisierte Spanier misstrauen jedem und allem
Spanische Monarchie: Heiteres Elefanten jagen und betrügerisches Geschäftsgebaren
Informationsquelle
Bárcenas pagó sobresueldos en negro durante años a parte de la cúpula del PP – El Mundo
La corrupción se desborda en España – La Vanguardia