Von Stefan Sasse
Als Reaktion auf die Ausschreitungen hat Premier Cameron dem Mob effektiv den Krieg erklärt. 16.000 Polizisten werden nach London geschickt, mit umfangreichen neuen Befugnissen ausgestattet (etwa das "Entfernen von Gesichtsvermummung", was letztlich auf ein ziemlich aggressives Herunterreißen und wahrscheinliches Verletzen des anderen hinausläuft), Wasserwerfer - bisher noch nie gegen Briten auf der Hauptinsel eingesetzt - sollen stationiert werden, und in bester Law&Order-Tradition wird über den Einsatz des Militärs im Inneren "nachgedacht". Darüber hinaus ist die britische Justiz gewissermaßen in 24-Stunden-Schichten dabei, in Eilverfahren ("Turbo-Verfahren" in Camerons Wortlaut) hunderte von Festgenommenen abzuurteilen, darunter teilweise sogar Kinder. Und in seinem letzten Streich hat Cameron die Kommunen dazu aufgefordert, alle "Kriminellen" (der Sammelbegriff, den er für die Festgenommenen benutzt) gegebenenfalls aus Sozialwohnungen hinauszuwerfen. Zuletzt will er Blackberry- und Twitter-Zugriff für alle Verdächtigen pauschal sperren.
Die Chancen, dass die Proteste mit diesen Maßnahmen erstickt werden, stehen gut. Tausende von Briten begrüßten diese Schritte bereits. Gegen die Mehrheitsmeinung, die durch sie vertreten wird, und die massive Einwirkung der Staatsgewalt hat der Mob der Armenviertel keine Chance. Die Reaktionen der Mittelschicht zeigen, dass sie vor allem angewidert und verängstigt sind; ein Überschlagen der Proteste hat die Regierung nicht zu befürchten. Sie kann deswegen problemlos mit voller Gewalt zuschlagen, denn der Beifall der für sie relevanten Zielgruppe ist ihr gewiss. Die Autos anzündenden und Geschäfte plündernden Randalierer wählen wenn überhaupt ohnehin nicht die Tories.
Woher die Randalierer eigentlich kommen und was sie motiviert ist weiterhin unklar. Man sollte sie weder vorschnell als reine Kriminelle brandmarken, wie Cameron das tut, noch sollte man sie übereifrig als kapitalismuskritische Avantgarde einordnen und hoffen, dass nun der Zusammenbruch des kapitalistischen Systems bevorsteht und eine grassroots-Bewegung alles besser machen wird. Dass solche Proteste in Deutschland ausbrechen ist, da muss man Friedrichs ausnahmsweise Recht geben, sehr unwahrscheinlich. Tatsächlich sind die Integrationsleistungen Deutschlands wesentlich besser als die Großbritanniens.
Der massive Einsatz von Polizei und die Bewilligung des Einsatzes von Gewalt, die mit Sicherheit für Verletzte sorgen wird, lässt allerdings darauf schließen, dass zwar die Wunde in London und anderen Großstädten rasch geschlossen werden wird. Heilen aber wird sie sicher nicht. Wer solcherarts niedergeprügelt wird, duckt sich vielleicht unter dem Schlag und wird in seiner Bewegung verharren. Er wird aber letztlich nur darauf waren, bei geeigneter Gelegenheit neu zuzuschlagen. Cameron spaltet das Land weiter, er schlägt jede Möglichkeit einer Versöhnung oder eines Dialogs von vornherein aus; mit seiner Brandmarkung der Randalierer als Kriminelle und der Forderung, sie aus ihren Wohnungen zu werfen und einzusperren stellt er sie letztlich außerhalb der britischen Gesellschaft. Eine so große Minderheit einfach zu Nicht-Mitgliedern der Gemeinschaft zu erklären aber kann nicht gutgehen.