Sozialgericht Berlin: Toilettenfrauen sind Reinigungskräfte und haben Anspruch auf Tariflohn

In der Branche der Gebäudereiniger gilt der allgemeinverbindliche Tarifvertrag für die gewerblichen Beschäftigten in der Gebäudereinigung (Rahmentarifvertrag). Danach ist auch ein Mindestlohn an die Arbeitnehmer zu zahlen. Mit dem 1.01.2012 wurden neue Mindestlöhne für Arbeitnehmer in der Gebäudereinigung vereinbart.

Umgehung der Mindestlöhne

Immer dort, wo es Mindestlöhne und einen starken Konkurrenzkampf gibt, wird versucht solche Vorschriften zu umgehen. Häufig kommt – vor allem auch vor den Arbeitsgerichten – das Argument, dass der Arbeitnehmer ja gar kein Gebäudereiniger ist, sondern eine “Toilettenfrau”. Dies ist  zweifach falsch, denn es kommt für die Anwendbarkeit des Tarifvertrages nicht auf den einzelnen Arbeitnehmer, sondern auf die tatsächlich ausgeübte Tätigkeit des Betriebes des Arbeitgebers an (also z.B. überwiegend Gebäudereinigung ist ausreichend) und zum anderen spricht viel dafür, dass auch eine “Toilettenfrau” eine solche Reinigungstätigkeit ausübt.

Entscheidung des Sozialgerichts Berlin

Das Sozialgericht Berlin (Entscheidung vom 29.08.2012 - S 73 KR 1505/10) hatte sich mit der Frage zu beschäftigen, ob für einen Betrieb, der sich überwiegend mit der “Betreuung von Toiletten” in Kaufhäusern und die dortigen Toilettenfrauen beschäftigt die Mindestlöhne und damit auch die entsprechenden Sozialversicherungsabgaben entsprechend des Tarifvertrages für das Gebäudereinigerhandwerk zu zahlen hat. Die Firma zahlte nämlich deutlich unter dem Tarif. Die deutsche Rentenversicherung verlangte nach einer Betriebsprüfung eine Nachzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen in Höhe von € 118.218,87. Die Firma wandte ein, dass die Toilettenfrauen – dies waren darüber hinaus auch noch überwiegend Rentnerinnen – hauptsächlich als Arbeitsleistung die “Bewachung der Trinkgelder” erbringen und nicht Reinigungsarbeiten und legte gegen den Bescheid der DRV auf Nachzahlung der Sozialversicherungsabgaben Widerspruch ein.

Das Sozialgericht Berlin wies die Klage mit folgender Begründung ab:

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Aufhebung des angefochtenen Bescheides vom 1. März 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Juli 2010, weil die Klägerin Beiträge zur Sozialversicherung auf der Grundlage der tariflichen Mindestlöhne für die Tarifverträge für das Gebäudereinigerhandwerk schuldete. Der angefochtene Bescheid ist daher vollumfänglich rechtmäßig und verletzt keine Rechte der Klägerin.

Zutreffend hat die Beklagte im Prüfzeitraum die nach dem Lohntarifvertrag für die gewerblich Beschäftigten in der Gebäudereinigung vom 4. Oktober 2003, gültig seit 2004 bis 29. Februar 2008, und nach dem Tarifvertrag Mindestlohn vom 9. Oktober 2007, gültig ab 1. März 2008, vorgesehenen Mindestentgelte jeweils für die Lohngruppe 1 als maßgebliches und arbeitsvertraglich jeweils aktuell geschuldetes Arbeitsentgelt und damit als maßgebliche Bemessungsgrundlage für die Beiträge zur Sozialversicherung zu Grunde gelegt. Die genannten Tarifverträge waren in den bezeichneten Gültigkeitszeiträumen im gesamten Prüfzeitraum bundesweit allgemein verbindlich erklärt und auch für den Betrieb der Klägerin bindend, weil der Betrieb der Klägerin in den Geltungsbereich dieser Tarifverträge fiel.

Die Bekanntmachung über die Allgemeinverbindlicherklärung des Tarifvertrages für das Gebäudereinigerhandwerk vom 21. April 2004 auf Grund des § 5 des Tarifvertragsgesetzes erfolgte im Bundesanzeiger Nr. 80 vom 28. April 2004 auf Seite 9370. Damit war der Lohntarifvertrag vom 4. Oktober 2003 mit Wirkung vom 1. April 2004 für allgemein verbindlich erklärt. Er galt damit auch in den Jahre 2005 bis 2007 bis zu seiner Ablösung 2008. Er wurde abgelöst zum 1. März 2008 (Bundesanzeiger Nr. 90 vom 19.6.08 S. 2142) durch den allgemein verbindlichen Tarifvertrag Mindestlohn vom 9. Oktober 2007 (Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen im Gebäudereinigerhandwerk vom 27. Februar 2008, Bundesanzeiger Nr. 34 vom 29. Februar 2008, Seite 762). Dieser galt über das Jahr 2008 hinaus.

Der Betrieb der Klägerin ist zur Überzeugung der Kammer dem Geltungsbereich beider Tarifverträge zuzuordnen. Für den Lohntarifvertrag vom 4. Oktober 2003 (LTV 2003) wird der Geltungsbereich durch dessen § 1 geregelt. Der räumliche Geltungsbereich, das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland – Absatz 1 der Regelung, ist zweifelsfrei maßgeblich. Aber auch die Voraussetzungen des betrieblichen Geltungsbereiches sind erfüllt.

Nach Absatz 2 des § 1 des LTV 2003 gehören zum betrieblichen Geltungsbereich alle Betriebe, die der Gebäudereinigung zuzurechnenden Tätigkeiten u.a. der Reinigung, pflegenden und schützenden Behandlung von Innenbauteilen an Bauwerken, Gebäudeeinrichtungen, haustechnischen Anlagen sowie von Raumausstattungen und Verglasungen (Nr. 2) und der Arbeiten der Raumhygiene (Nr. 7) ausüben. Nach Satz 2 der Vorschrift fallen alle Betriebe, soweit von ihnen Gebäudereinigungsleistungen überwiegend erbracht werden, als Ganzes unter den Tarifvertrag. Die Regelung des betrieblichen Geltungsbereichs des TV Mindestlohn ist weitgehend identisch, denn § 1 Abs 2 des Tarifvertrages verweis auf die Regelungen des Rahmentarifvertrages (RTV), der den betrieblichen Geltungsbereich in § 1 Abs 2 wortgleich zu § 1 Abs 2 LTV 2003 regelte. Ein Unterschied ergibt sich lediglich daraus, dass nach § 1 Abs 2 Satz 2 des TV Mindestlohn galt: “Betriebe im Sinne dieses Tarifvertrages sind auch selbstständige Betriebsabteilungen.”

Unstreitig gehörten zu den vom Betrieb der Klägerin ausgeübten Tätigkeiten solche der Gebäudereinigung im Sinne von § 1 Abs 2 Satz 1 Nummern 2 und 7 LTV 2003 bzw RTV. Zur Überzeugung der Kammer wurden diese Gebäudereinigungsleistungen vom Betrieb der Klägerin auch im Sinne des Satzes 2 der jeweiligen Regelungen überwiegend erbracht.

Dass es sich um einen Reinigungsbetrieb handelte und nicht um einen solchen der Trinkgeldaufsicht, ergibt sich schon aus dem Namen des Betriebes. Andere Reinigungsleistungen als solche der Gebäudereinigung sind vom Betrieb nicht erbracht worden. Insofern gibt bereits die Firma des Unternehmens der Klägerin Aufschluss über den Schwerpunkt des Tätigkeitsfeldes des Betriebes. Aber auch die vertraglich geschuldeten und tatsächlich ausgeübten Leistungen des Betriebes der Klägerin und deren Mitarbeiterinnen sind überwiegend Gebäudereinigungsleistungen zuzuordnen.

Dafür sprechen zunächst die Inhalte und Aufgabenzuweisungen der Verträge mit den Auftraggebern der Klägerin. Von den Verträgen besitzen sechs den klaren Schwerpunkt in der Reinigungsaufgabe Dies folgt aus Ziff 1 Satz 1 Vertrag Hallen am B (hygienisch einwandfreier, sauberer Zustand und zu diesem Zweck durchgängig personell zu besetzen) und Ziff 3 desselben Vertrages (tägliche Unterhaltsreinigung und Beseitigung von Neuverschmutzungen), § 5 Ziff 1 Pachtvertrag Flughafen (Verpflichtung, die Toilettenanlagen und weitere Räume in einem sauberen Zustand zu halten, § 1 Vertragsgegenstand des Vertrages K M straße B (laufende Reinigung der Kunden und der Mitarbeitertoiletten), bereits der Name und Ziff 1 des Dienstleistungs-vertrages über die Reinigung von Kunden WC-Anlagen Fachmarktzentrum B straße (laufende Reinigung), § 1 Vertragsgegenstand des Vertrages K Filiale C (laufende Reinigung), Auftrag K W Straße (Grundreinigung des Fußbodens). Auch in den anderen Verträgen ist die Reinigung wesentliche Aufgabe, auch wenn sie nach Vertragsgestaltung nicht im Vordergrund zu stehen scheint (H , C ).

Dass die Klägerin für die Grundreinigung andere Mitarbeiter oder Subunternehmen einsetzt, unterstreicht zudem den Charakter als Reinigungsbetrieb.

Auch das Geschäftsmodell der Klägerin selbst spricht schließlich für den Charakter als Reinigungsbetrieb. Die Klägerin finanziert den Betrieb ganz vorrangig über die Einnahme freiwilliger Trinkgelder (siehe Ziff 2.5 des Vertrages H ). Sie verwahrt sich gegen den Vorwurf, organisierte Bettelei zu betreiben. Die Kammer ist der Überzeugung, dass die Nutzer der Toiletten Trinkgeld deswegen geben, weil vom Toilettenpersonal mühevolle Reinigungsleistungen erbracht und erwartet werden. So folgt aus einigen Verträgen ausdrücklich die Befugnis für die Klägerin, durch Schilder mit Hinweis auf die Mühen der Reinigungskräfte zur Trinkgeldgabe zu animieren (vgl die Verträge Flughafen , H , Fachmarktzentrum B straße). Ist Grund der Trinkgeldgabe die Erfahrung und Erwartung der Trinkgeldgeber auf Reinigungsleistungen der Toilettenmitarbeiter, dann muss diese Tätigkeit den Schwerpunkt des Betriebes darstellen.

Aus der Zusammenschau der genannten Umstände, insbesondere der Vertragsgegenstände, ergibt sich für die Kammer zweifelsfrei, dass von der Klägerin ganz überwiegend Gebäudereinigungsleistungen geschuldet sind. Dies prägt die Tätigkeit des Betriebes entschiedend und führt zu dessen Einbeziehung in den Geltungsbereich der genannten Tarifverträge.

Die Begründung ist überzeugend. Das Argument der Erbringung von Bewachungsleistungen ist kaum nachvollziehbar, denn die Reinigung der Toiletten ist zumindest für die Arbeit wesentlich.

A. Martin



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