von Simon Argus
Es heißt die Rebellionen in Tunesien und Ägypten hatten ihren Anfang im Internet. Zumindest wurde das Internet genutzt, um zu mobilisieren und unangenehme Wahrheiten an den meist zensierten etablierten Medien vorbei zu schleusen. Auch abseits der großen Politik machen sich in Entwicklungsländern und auch in autoritären Staaten immer mehr Menschen das Internet und die "sozialen Medien" zunutze. Ein paar Beispiele...
Seit ein paar Tagen sitze ich vor meinem Facebook wie bei einer Live-Berichterstattung. Kollegen und Freunde, die ich vor wenigen Monaten in Kairo kennen lernte, posten unentwegt Fotos, Gerüchte und Erfahrungen von den Demonstrationen in Ägypten. Auch wenn das Internet zeitweise unterbrochen wurde oder gewisse Seiten nicht mehr erreichbar scheinen - der Strom an Informationen reißt nicht ab. Dieses neue Netzwerk - entstanden in den letzten Jahren seit der Gründung von Facebook, Twitter und ähnlichen Portalen - scheint der staatlichen Kontrolle immer wieder zu entkommen.
Soziale Netzwerke der Welt. Quelle: http://many-eyes.com
Auch "Angus" hat Facebook. "Angus" ist Chinese und studiert in Damaskus. Beide Staaten verbieten Facebook, die Seite ist auf normalem Wege nicht aufzurufen. Aber Angus benutzt einen sogenannten Proxy-Server, der als Vermittler zwischen ihm und der gesuchten Facebook-Seite fungiert und die Daten bei Übertragung so verschlüsselt, dass sie vielen Zensoren und Firewalls entgehen. Über diesen Umweg kann Facebook weltweit genutzt werden - auch in China. Allerdings ist die Technik nicht sehr bekannt, "normale" Internetuser werden in diesen Staaten auf andere, zum Teil staatlich kontrollierte soziale Netzwerke ausweichen. Aber selbst dort ist die Zensur nicht immer vollständig möglich. Generell ist die Vielfalt sozialer Netzwerke trotz der Dominanz von Facebook nicht zu unterschätzen. In Brasilien zum Beispiel dominiert das social-Media-Portal von Google, "Orkut", das in Europa kaum jemand kennt. Und so hat auch die Weltkarte der Facebook-Bekanntschaften noch einige dunkelblau-blinde Flecken.
Graphische Darstellung von Freundschaften auf Facebook. Quelle: FB/Paul Butler
Politischer Aktivismus ist auf Facebook dennoch eher die Ausnahme. In den Industriestaaten wird Facebook ganz klassisch zur Pflege von virtuellen Freundschaften genutzt, um Bilder auszutauschen, selten um eine Karriere zu starten. Ganz anders sieht die Nutzung in anderen Teilen der Welt aus. Claude lebt in Südafrika und hat über 1700 Facebook-Freunde. Claude ist Migrant aus Burundi und lebte lange ohne offiziellen Status in Kapstadt. Für ihn ist Facebook ein enorm wichtiges Werkzeug zum täglichen Überleben geworden. Er hat Frau und Tochter und über die letzten Jahre hat er sich einen relativen Wohlstand erarbeitet. Dennoch lebt er riskant: Es gibt keine sozialen Sicherungssysteme, die ihm helfen, wenn er seine Arbeit verliert oder krank wird. Deshalb ist er auf seine Community angewiesen. Da Claude in den letzten zehn Jahren in einem halben Dutzend verschiedener Länder lebte, verteilt sich diese Community entsprechend über den ganzen afrikanischen Kontinent und darüber hinaus. Über dieses Netzwerk von Freunden werden Informationen über neue berufliche Chancen, gegenseitige Hilfe oder Tipps zum Umgang mit Behörden ausgetauscht. Geld verdient Claude häufig, weil er jemanden kennt, der jemanden kennt... und zwar über Facebook.
So gilt der Zugang zum Internet heute als eine wichtige Voraussetzung um den Menschen in Entwicklungsländern wirtschaftliche Prosperität, Bildung oder eben eine freie Meinungsäußerung zu ermöglichen. Projekte wie "One Laptop per Child", die besonders billige und robuste Rechner für Schulkinder in ärmeren Staaten herstellen, reagieren auf diese Erkenntnis. Aber auch ohne diese Projekte ist es erstaunlich, wie viele vor allem junge Menschen aus ärmlichsten Verhältnissen sich bereits Zugang zum Internet verschaffen und es für sich nutzen.
Auch in Ägypten sind es die jungen, gebildeten Schichten, die den gegenwärtigen Aufstand im Netz begonnen haben. Inzwischen werden sie von Menschen aus allen Schichten unterstützt. Denen geht es zwar nicht immer um Demokratie, doch die Entdeckung, dass es trotz allem möglich ist, die eigene Meinung kund zu tun, hat sich in den Staaten des Nahen und Mittleren Ostens offenbar bestens verbreitet. Und in Europa sitzen wir an unseren Rechnern und warten gespannt auf die nächsten Twitter-Meldungen zum Fortgang der Geschehnisse.