Soziale Gerechtigkeit bei der Arbeit: Mein erstes MMORPG

Einer der Gründe dafür, dass ich nicht mehr dazu komme, mich hier auszulassen, ist mein Job. Gleichzeitig mag dem einen oder anderen meine persönlicher Linksruck nicht entgangen sein, eine neue Kompromisslosigkeit, und das liegt ebenfalls an diesem Job. Ich werde den Konzern der sozialen Gerechtigkeit (fortan KdsG) nicht beim Namen nennen, mit dem ich es da zu tun habe, aber ich sollte dringend mal wieder eine Geschichte erzählen.

Ich bin vor etwa drei Jahren in eine Phase meines Lebens eingetreten, in der ich nicht mehr rebelliere. Ich habe beschlossen, all das, was mich ankotzt, auszulachen und den Rest in einer Art Duldungsstarre zu ertragen.

Ich sehe mir selber dabei zu, wie ich ein wenig mit der Logik eines Videospiels an die Sache herangehe; ich habe die Kontrollen gelernt, ich habe die Regeln in einem langatmigen Tutorial inhaliert. Ich habe schon währenddessen die darunter liegenden Mechanismen analysiert, wichtige NPCs ausgemacht und mir dann eine Strategie zurechtgelegt, die entgegen aller Erwartungen idiotensicher ist.


Wäre das Leben dabei tatsächlich ein MMORPG, hätte ich mir so gesehen den unmöglichsten Startpunkt ausgesucht und die schwächste Charakterklasse. Dieser Ausgangspunkt war eigentlich zum Scheitern verurteilt: Bleiben wir in der Sprachregelung von Videospielen, erreichen statistisch gesehen gerade mal 2 Prozent den nächsten Level; in meinem KdsG sogar nur 0,2 Prozent. In der Sprache von Spielstatistiken bin ich auf diesem Server derzeit der einzige Spieler meiner Klasse, dem das gelungen ist. Der „Levelaufstieg“ nennt sich auch „Wiedereingliederung in den ersten Arbeitsmarkt“.

Und wenn es im wahren Leben freischaltbare Boni gäbe, habe ich mir folgende Kombination gezogen:

Soziale Gerechtigkeit bei der Arbeit: Mein erstes MMORPG„Harmlos“ - man glaubt, ich hätte keine eigene Agenda und würde entsprechend für niemanden eine Bedrohung darstellen

Soziale Gerechtigkeit bei der Arbeit: Mein erstes MMORPG„Underdog“ - alle freuen sich für mich, wenn mir etwas gelingtSoziale Gerechtigkeit bei der Arbeit: Mein erstes MMORPG

Soziale Gerechtigkeit bei der Arbeit: Mein erstes MMORPG„Menschenversteher“ - alle denken, ich würde sie verstehen und man könnte mir alles erzählen und dass ich es hören will

….letzteres wäre im Reich der Videospiele eine passive Fähigkeit, die aber gleichzeitig im Kampf hilft, für den ich mir die ultimative Waffe ausgesucht habe, mit der ich, wie man in den virtuellen Welten da draußen sagt, von Erfolg zu Erfolg „grinde“.

Soziale Gerechtigkeit bei der Arbeit: Mein erstes MMORPG Das Grinsen. Soziale Gerechtigkeit bei der Arbeit: Mein erstes MMORPG

Man sollte meinen, dass Menschen misstrauisch werden, wenn man jeden Tag gut drauf ist, allemal, wenn man eine lange Krankheitsgeschichte von Depressionen und einem posttraumatischen Belastungssyndrom in den Akten hat. Man sollte denken, dass den Leuten irgendwann klar wird, dass kein Mensch immer gute Laune hat und immer freundlich ist und immer einen guten Spruch liefert. Es sei denn, er tut es.

Der Vergleich mit einem Videospiel ist deswegen so passend, weil in unser postglobalisierten, sozial vernetzwerkten Welt die Menschen angefangen haben, ihre Welt genau so aufzuteilen, wie es bislang den Spielern von „World of Warcraft“ vorbehalten war. Sie haben ihren „Clan“, auch Freundeskreis und Familie genannt, sie haben ihr „Teamspeak“, auch „Whatsup“ genannt, und sie verwalten das alles außerordentlich hochprofessionell, sie kaufen sich neue „Items“, die sie auf dem Marktplatz vorführen und mit deren Hilfe sie gleichermaßen ihren „Charakter“ definieren und profilieren. Sie selbst, als Menschen, kommen darin immer weniger vor, es ist faszinierend, sich das anzusehen. Sie leben in Gilden, und sie nehmen deswegen 99 Prozent der Welt um sich herum nur noch als Umgebungsgraphik wahr. Und für diese Leute bin ich auch nur ein NPC, ein Platzhalter, etwas, das berechenbar ist und das genau so funktioniert, wie sie es erwarten. Etwas mit einem Ausrufungszeichen über dem Kopf.

Man gibt mir Arbeit, man bekommt sie erledigt zurück; man grüßt mich und bekommt einen Gruß zurück, man wünscht mir ein schönes Wochenende und geht mit dem Gefühl in eben dieses, dass es mir wirklich wichtig ist, dass sie sich erholen und Spaß haben, während ich sie nicht sehe. Und ja, erzählt mir all Eure Sorgen, erzählt mit Eure Probleme, wenn niemand dabei ist, werdet Zeuge des Momo-Syndroms, dass ich bei meinen „Sonderfertigkeiten“ hätte aufführen sollen: Ich höre Euch so lange zu, bis ihr mir alles erzählt.

Und ja, Du bist der einzige, niemand sonst erzählt mir alles, ich bin nur für dich da, weil ich ja sonst mit niemanden hier etwas zu tun habe. Verrat mir all Deine Geheimnisse, wem sollte ich sie schon erzählen? „Oh yeah, Nico Bellics, tell me stuff, oh yes, tell me more, oh god....“

Ich habe mich anfangs gefragt, ob ich nicht doch Privatleben und Arbeit vermischen soll, ob ich mich nicht doch mit den Leuten einlassen soll, mit ihnen weggehen oder mit ihnen Karten spielen muss, um zu überleben, aber das wird nicht nötig sein. Das kann ich alles auf der Arbeit erledigen, sozusagen als Nebenquest. Und irgendwann, wenn ich genug Erfahrungspunkte habe, mache ich mich dann an meinen Endgegner, und dann geht es wieder eine Stufe rauf.

Und sie werden mir alle helfen, schon weil ihnen irgendwann klar wird, dass sie mir ein bisschen zu viel erzählt haben und dass ich vielleicht doch ein bisschen mehr mache, als grinsend dabei stehen und penetrant höflich und zuvorkommend sein und fleißig bis zum Abwinken. Ich werde sie nicht mal bitten müssen. Irgendwann haben sie alle ein so schlechtes Gewissen, dass sie mich – ganz unabhängig voneinander – loswerden wollen, aber sie können mich natürlich nicht entsorgen. Dafür könnte ich zu viel Schaden anrichten.  Und vielleicht, vielleicht.... bin ich gar nicht wirklich nett. Das Problem ist nur: Obwohl ich so "offen" und "ehrlich" bin, könnte es niemand genau sagen.

Und die Geschichte, wie sich all meine Anstrengungen gelohnt haben, und wie ich doch einmal mehr, entgegen aller Erwartungen, einen Aufstieg mache, ist so schön, dass sie erzählt werden will. Allemal in einem KdsG. Das ist dann der "Underdog"-Faktor.

Das letzte Mal war ich im Einzelhandel. Jetzt bin ich schon seit einigen Monaten in der Sektion "Verwaltung" unterwegs, und ich sehe bereits ein Tor in den nächsten Level. Dieser Level wird dann bereits ein "bundesweit" im Titel haben.  Und Gott, was ich schon jetzt für Geschichten erzählen könnte von Verschwendung und Korruption und was für eine Hölle die Arbeitswelt ist und warum ich deshalb in einer echten SPD sein will und nicht vier Jahre weiteren Stillstand unter der Raute will.

Machen mir dann morgen oder das nächste Mal, wenn ich Zeit habe. Bleiben Sie also dran bei meinem ersten LP - „Let's Play“ oder auch „Longplay“, allerdings ohne Youtube-Videos. Von dem coolsten Spiel, das ich jemals gespielt habe.

Schönes Wochenende:)

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