Soziale Gerechtigkeit bei der Arbeit: Kleine Brötchen backen

Streng genommen handelt dieser Eintrag diesmal nicht von der Arbeit, sondern von meinem Weg dahin. Und zwar einem Zwischenstopp, den ich einlege, beim Bäcker. Deswegen wird das heute keine Geschichte über 50 Cent, sondern sogar nur eine über 10 Cent, und ein Schokocroissant.

Für einige Monate habe ich mir ziemlich regelmäßig dort mein Frühstück besorgt. Und ja, ein Schokocroissant ist kein Frühstück. Es geht aber eigentlich darum, dass die Teile jetzt 10 Cent mehr kosten sollen. Das entspricht einer Preissteigerung von mehr als sieben Prozent. Da es lange her ist, dass mein Gehalt um mehr als sieben Prozent angestiegen ist, muss man hier und da mal konsequent sein. Also kein Schokocroissant mehr zum Frühstück, gesünder leben und sparen auf einmal. Und das wäre dann eigentlich auch schon die Geschichte.

Da ich aber regelmäßig dort vorbeikomme, erheitert es mich sehr, dass ich offensichtlich nicht der Einzige bin, der die Erhöhung sämtlicher Preise um ein paar Cent boykottiert: Dort ist jetzt ein Schild angebracht worden. Und darauf lässt mich die Firma wissen, dass der neueste Tarifabschluss im Bäckereihandwerk eine deutliche Einkommenssteigerung bei den Verkäuferinnen mit sich gebracht hat. Daher möge man doch angesichts ihrer hervorragenden Arbeit Verständnis haben, wenn ab sofort sämtliche Produkte „einige Cent mehr“ kosten.

Ein Teil von mir war erst einmal verwirrt darüber, dass es überhaupt eine „deutliche Lohnsteigerung“ geben könnte in Deutschland 2012. Deswegen habe ich also mal nachgehakt. Und es gibt sie wirklich: Die Einkommen der beiden Damen, die mich dort allmorgendlich freundlich begrüßen, steigt in diesem Jahr um 5,9 Prozent, um im nächsten Jahr nochmals um 4,0 Prozent. Das klingt nach einer Menge. Ein Teil von mir war augenblicklich bereit, dort wieder mein Brötchen zu kaufen. Aber ich mache mich ja hier auch regelmäßig über den losen Umgang von interessierten Parteien mit Prozentzahlen lustig, also zum Beispiel, dass ich prozentual jedes Jahr weniger altere, oder dass es deutlich schwierige ist, die deutsche Wirtschaftsleistung um 3 Prozent zu steigern als die nigerianische um 6 Prozent. Es lohnt sich also, kurz darauf zu blicken, wer da innerhalb von 2 Jahren 10 Prozent mehr Lohn erhält.

Bäckereifachverkäuferinnen erhalten, je nachdem, wo man nachguckt, zwischen 6,15 und 6,33 Euro pro Stunde. Sie haben übrigens 1999, nur so zum Vergleich, noch mühelos 15 DM pro Stunde erhalten, und ja, das ist nicht nur mehr als heutzutage, weil da ein Haufen Inflation und ein Haufen Abgabenerhöhungen draufkam. Das heißt übrigens, dass sich meine Verkäuferin von ihrem Stundenlohn vorher 4,22 Schokocroissants kaufen konnte, 1999 waren das noch – nach Bäckerei schwankend – 10,00. Sie ahnen, worauf ich hinaus will: Die reizenden Damen, die es auch um 7 Uhr morgens schon schaffen, so zu lächeln, als wäre es ihnen ein Bedürfnis und die sich genau merken, welcher Kunde was am liebsten mitnimmt, verdienen in Zukunft zwar 30 Cent mehr pro Stunde. Aber sie können sich davon nur 4,13 Schokocroissants kaufen.

Wenn Ihnen also Springer oder wer auch immer von „satten“ oder gar „unverschämten“ Lohnsteigerungen zu erzählen, denken Sie noch mal nach. Und dann können wir über meine Ernährungsgewohnheiten sprechen Oder das Wetter.

Ceterum censeo Ehegattensplitting esse delandam.

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