Sonntagsstückchen Nr. 1

Von Vera Nentwich @veraswelt

Da einige Leserinnen und Leser danach fragten, habe ich mich entschlossen, von nun an jeden Sonntagmorgen Teile meines aktuellen Projekts mit dem Arbeitstitel "Amanda und die Unmöglichkeit von Liebe" hier zu veröffentlichen. Damit ihr beim gemütlichen Frühstück gleich etwas Schönes zu lesen habt. Natürlich freue ich mich auf euer Feedback zu den jeweiligen Teilen und vielleicht gebt ihr mir ja den einen oder anderen hilfreichen Hinweis. Inspiriert dazu hat mich übrigens Hardy Krüger jr. Er weiß es nur nicht. Nun beiße noch einmal in dein Brötchen und genieße das erste Sonntagsstückchen.

I

Dimitrij spielte mit seinem Messer und grinste mich an. Sein Goldzahn links blinkte so sehr, dass ich erwartete, gleich einen weißen Stern aufleuchten zu sehen, wie man ihn in Comics fand. An seinen Armen und Händen waren Tätowierungen zu erkennen. Entgegen der Rose, die sich meine Freundin Sabrina auf den Arm hatte tätowieren lassen, sahen diese Kreuze und anderen Zeichen eher wie dahingekrakelte Kindermalereien aus. Ich vermutete, dass es sich um Gefängnistatoos handelte. Davon hatte ich mal im Fernsehen gesehen. Dass ich sie mal im echten Leben sehen würde, hatte ich nicht erwartet. Ehrlich gesagt, hätte ich dies auch gerne vermieden. "Das ist Entführung!", protestierte ich und zerrte an dem Klebeband, mit dem meine Arme und Beine an dem Stuhl befestigt waren. Dimitrij unterbrach die Reinigungsarbeiten an seinen Fingernägeln. Seine Augen verengten sich zu Schlitzen und sein Grinsen war verschwunden. "Schnauze halten", zischte er zwischen den Zähnen hervor. Sein eindeutig russischer Zungenschlag machte das Ganze noch bedrohlicher und ich bereute umgehend, dass ich es auch nur gewagt hatte zu atmen. Anscheinend war Dimitrij die Wirkung seiner Worte unangenehm, denn er fügte in einem weitaus weniger bedrohlichen Ton hinzu: "Boss kommt gleich."
Dimitrijs Boss war Boris Kolesnikow. Ein Mann, den man in Medienberichten gerne als russischen Oligarchen beschrieb. Dies wiederum war eine zu harmlos klingende Umschreibung für skrupelloser, geldgieriger Gangsterboss. Und ich hatte es gewagt, diesem kaltblütigem Killer eine Bitte abzuschlagen. Jetzt bekam ich die Quittung.

Begonnen hatte es mit einer E-Mail. Es hatte ausgesehen wie Spam und ich war nur einen Klick davon entfernt, es zu löschen. Liebe gibt es lautete der Titel. Absender war eine Vanessa Kolesnikow. Ich erwartete darin den Hinweis auf eine günstige Bezugsquelle von Viagra oder das geheime Rezept, binnen Wochen Millionärin zu werden. E-Mails mit osteuropäisch klingenden Absendern verhießen selten Gutes. Es war ein Versehen, dass ich es dennoch öffnete. Ich hatte mich einfach beim Aufräumen meines Posteingangs verklickt.

Der Inhalt des E-Mails erschien vor mir und ich las ihn. Liebe Abigail stand dort. Damit keine Missverständnisse aufkommen, ich heiße nicht Abigail. Mein Name ist Amanda Schneider, aber das wussten meine Leser nicht. Eigentlich muss ich Leserinnen sagen, denn mein Publikum war fast ausschließlich weiblich. Für diese Menschen war ich Abigail Madison, die Autorin so bahnbrechender Werke, wieRote Rosen für den Lord oder Ein Schloss für Violetta. Zu Tausenden wurden diese Romane als E-Book von einer stetig wachsenden und mittlerweile schwindelerregende Zahlen erreichenden Leserschaft in den Online-Shops heruntergeladen. Mit den 99ct., die sie dabei entrichteten, bereiteten sie mir ein gutes Auskommen und so saß ich Tag für Tag an meinem Computer, um ihnen einen ständigen Strom neuen Lesematerials darzubieten.

Doch es genügte nicht, nur alle paar Monate einen neuen Roman auf die Internetplattformen zu setzen. Ich musste mit den Fans kommunizieren. Abigail konnte das richtig gut. Sie war der Inbegriff einer Macherin. Erfolgreich als Unternehmensberaterin hatte sie begonnen, nach einem langen Arbeitstag zur Entspannung Geschichten über Liebe zu schreiben. Weil sie alles, was sie tat, richtig machte, hatte sie begonnen, sie im Self-Publishing zu veröffentlichen, und ihre Werke fanden binnen kürzester Zeit reißenden Absatz. Als Resultat konnte sie ihren Job aufgeben und sich ganz dem Schreiben widmen. Sie lebte glücklich mit ihrem Mann Martin, den zwei Kindern Jonas und Anna und dem Golden Retriever Balko in einem Landhaus an der Mosel mit Blick auf Weinberge und Natur. Dies ist das, was die Leserinnen glaubten. Es kam nicht von ungefähr, denn ich hatte es ihnen so erzählt. Auf der Webseite von Abigail konnte man es nachlesen. Dort gab es auch ein Foto von Abigail. Sie war schlank, sportlich und die Dynamik strahlte aus allen Poren. Sie war so, wie ich nie sein würde.
Amanda Schneider ist alles andere als schlank und sportlich. Ich gelte gemeinhin auch nicht als dynamisch. Eher als etwas verträumt und abwesend. Würde ich mein wahres Ich als Autorin all dieser Romane zeigen, würden die Verkäufe schlagartig einbrechen. Meine Lebensgeschichte liest sich wie eine Aneinanderreihung von Niederlagen. 35 Jahre und kein nennenswerter Erfolg konnte verbucht werden. Man könnte einwenden, dass ich immerhin unzähligen Leserinnen schöne Stunden bereitete und es geschafft hatte, vom Schreiben zu leben, was nicht vielen gelang. Aber das ging nur mit Abigail. Amanda hätte dies nie geschafft.

Schon in der Schule war ich das Pummelchen, das in allem hinterherhinkte. Meine Noten genügten gerade, um nicht sitzenzubleiben. Frau Jansen, unsere Lehrerin in der Grundschule, hatte immer wieder Gespräche mit meinen Eltern, nach denen mein Vater stets zu mir kam und auf mich einredete. "Amanda, deine Lehrerin hat gesagt, dass du es nicht auf das Gymnasium schaffen wirst, wenn du dich nicht mehr anstrengst." Sein Gesicht zu diesen Worten machte deutlich, dass es keine größere Katastrophe gäbe. Wenn ich nicht auf das Gymnasium käme, wäre mein Leben vorbei. Ich schluckte und konnte nur ein leises "Ja, Papa" herausbringen. Fortan strengte ich mich an, so gut ich konnte, aber es genügte nicht. Mein Vater musste seine Kontakte zum Direktor des Gymnasiums intensivieren, um mir den Weg dorthin zu ebnen.
Überhaupt mein Vater. Schneider Elektronik war der größte Arbeitgeber an meinem Heimatort. Als Tochter von Herrn Dr. Schneider, den Doktor hatte er von einer kleinen Universität in Polen verliehen bekommen, weil er dort eine Produktion für Lichtschalter aufgebaut hatte, hatte ich gefälligst unschlagbar und erfolgreich zu sein. Nur war ich das nie. Sehr zum Leidwesen meiner Eltern.

Nicht dass sie es nicht versucht hätten, mich auf Erfolg zu trimmen. Ich bekam die reinsten Koryphäen als Nachhilfelehrer, wurde zum Ballettuntericht gekarrt und zum Klavierspielen verdammt. Aber nach kürzester Zeit scheiterte alles. Als dickes Mädchen im Ballett sah ich nicht nur dämlich aus. Ich verzweifelte bereits an den grundlegenden Figuren, denn ich war einfach nicht gelenkig. Irgendwann intervenierte die russischstämmige Ballettlehrerin Frau Scherznakowa bei meiner Mutter, sie möge aufhören, mich und vor allem sie mit meiner Anwesenheit im Ballett zu quälen. "Dieses Kind ist gänzlich ungeeignet", hatte sie meiner Mutter entgegengeschleudert, als sie mich nach einer besonders katastrophalen Übungseinheit abholte. Frau Scherznakowas russische Seele schäumte. Die Konsonanten sprach sie noch härter aus, als sie es sonst tat, und ihr Blick schien geradezu nach einem Wodka zu schreien, um ihr kochendes Innere zu beruhigen. Schon damals hatte ich ein gespaltenes Verhältnis zu allem Russischem. Ähnlich äußerte sich mein Klavierlehrer und sprach mir jedes musikalische Talent ab. Als ob ich das nicht schon gewusst hätte. Meine Eltern schien diese Erkenntnis dennoch unerwartet zu treffen. So sehr sie eine angemessene Tochter für die führende Unternehmerfamilie des Ortes aus mir machen wollten, es scheiterte stets.

Fortsetzung folgt nächsten Sonntag...

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