Der neue Deutschlandtrend der ARD ist da. Falls Sie sich überhaupt nicht für Politik interessieren: Das ist eine Umfrage, in der Leute erzählen, wen sie wählen würden, wären denn am nächsten Sonntag Bundestagswahlen. Auf der Grundlage der erhobenen Daten ergeht sich die Blüte des deutschen Journalismus dann zwei, drei Tage in wilden Spekulationen.
Natürlich gibt es nicht nur den ARD-Deutschlandtrend, den infratest-dimap bereitstellt. Es gibt regelmäßig auch neue Zahlen von Forsa, von Emid und von der Forschungsgruppe Wahlen, so dass wir mittlerweile gerne auch zwei Mal pro Woche die neuesten Prognosen diskutieren können. Und damit ist die Liste noch lange nicht vollständig, zumal viele deutsche Tageszeitungen ebenso wie die Parteien selbst auf Landes- und Kommunalebene wiederum Umfragen in Auftrag geben, mit denen man dann den Rest der Woche zubringen kann. Und, gesegnet sei die Demoskopie, man kann ja nicht nur zur Politik Umfragen stellen.
Sollte tatsächlich mal keine Umfrage zur Verfügung stehen, macht man dann auf seinem Onlineportal selber eine – gerne zu aktuellen politischen Sachfragen. Mittlerweile wird aber sogar statistisch erhoben, welche Royals-Hochzeit die romantischste und welcher Prinzenkuss der hingebungsvollste war.
Verknüpft werden diese Clickfeste dann mit einem Artikel, der in etwa vorgibt, wie abzustimmen ist. Sollte zwischen beiden ein allzu großer Unterschied entstehen, entdeckt man spätestens einen Tag später einen neuen Artikel gegenteiligen Inhalts, in den die Umfrage dann stattdessen eingebettet ist. Und wie das so ist im Internet, ist es keine Seltenheit, dass die Mehrheit in der Umfrage dann wieder umkippt. Entsprechend gibt es neuerdings auch die Strategie, so lange Artikel zu schreiben, bis die Umfrage stimmt bzw. die Umfrage dann aus dem Artikel zu nehmen. Gefolgt von einem Artikel, der die Umfragehörigkeit der Politiker brandmarkt; die sind zumindest immer ein großer Erfolg.
Was bei Medien ärgerlich ist, stellt in der deutschen Politik mittlerweile ein echtes Problem dar. Es ist dabei fast unerheblich, wie die Partei tatsächlich in den Umfragen abschneidet, denn wie immer sie auch ausfällt, ist der vorhergesagte Stimmenanteil eines nicht: Genug.
Die Union zum Beispiel führt seit gut zwei Jahren konstant in sämtlichen Umfragen, meist mit einem satten Polster, abwechselnd vor SPD und Grünen. Sie liegt außerdem ebenso grundsätzlich über ihrem letzten Bundestags-Wahlergebnis. Das gelingt auch der SPD, trotzdem ist sie seit zwei Jahren konstant unglücklich über die Umfragen, obwohl sie seit über einem Jahr grundsätzlich etwas versprechen, was wiederum in den fünf Jahren zuvor undenkbar war: Eine rotgrüne Mehrheit, und zwar meist auch eine, in der die SPD sie führen würde. Das ist auch das Problem der Grünen: Aus dem Triumph, den sie empfinden müssten angesichts der Verdoppelung ihres Bundestags-Ergebnisses ist mittlerweile nicht nur in Berlin die bange Frage geworden, ob sie denn stärkste Kraft werden. Anstatt zu einem wahren Freudenfest von einer Partei zu werden, verwandelt sie sich zunehmend in eine Arena marodierender potentieller Kanzlerkandidaten.
Alle drei sind kein Stück glücklicher als die FDP, die nun wirklich Grund zum Verzweifeln hätte, aber sich häufiger freut als alle besser platzierten Parteien – über der Fünfprozenthürde
Jede Verschiebung wird ausgiebig von der deutschen Medienlandschaft kommentiert, analysiert und mündet in eigene Prognosen, die ebenso ausgiebig spätestens zwei Wochen später nicht mehr das Papier wert sind, auf dem sie geschrieben würden, wäre nicht stattdessen mittlerweile das Internet geduldig. Und obwohl das so ist, rennen sämtliche Parteien diesen Pamphleten hinterher - Getriebene in Hamsterrädern allesamt.
Auch, wenn die Umfragen, auf die sich das bezieht, im gleichen Zeitraum erhoben wurden und unterschiedliche Ergebnisse haben, aber im Abstand von drei Tagen veröffentlicht werden: Da wird gerne auch im vollen Lauf die Richtung gewechselt. Das hat mittlerweile schon Börsencharakter: Mittlerweile wird Politik hierzulande nicht mal mehr wegen Umfrageergebnissen gemacht, sondern aufgrund der Erwartungen an die nächsten Umfragen.
Damit werden Leute zu Kristallkugeln und gleichzeitig zu Schrittmachern der Politik, die häufig nicht mal in der Lage wären, die Politiker, die sie bewerten, der richtigen Partei zuzuordnen und die ihr Wissen über die Tagespolitik meist nicht mal aus der Bildzeitung, sondern von jemandem, der jemanden kennt, der die Bildzeitung liest, ziehen. Und selbst, wenn die sich alle wirklich mit der Materie auskennen würden, bliebe noch ein ganzes Buch über die Erhebungsmethoden dieser Umfragen zu schreiben, dessen Fazit verkürzt wäre: Man könnte- und man sollte - es einfach bleiben lassen.
Hier also meine sommerlochgerechte Forderung für das Wochenende: Die Veröffentlichung von Wahlumfragen wird ab sofort verboten.
Wir müssen nicht mal Sorge um Arbeitsplätze haben, man kann ja auch stattdessen mehr Untersuchungen zu Royals machen.
Oder wie glücklich die Leute mit dem Wetter sind.
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