Worum geht's?
Sein Pflegevater schickt ihn zur allwissenden Eule. Die zeigt sich hilfsbereit, Birb bei seiner Suche zu unterstützen, hat vorher aber noch eine Aufgabe für das Küken: Es gilt, im Wald verstreute Vögel aufzuspüren und deren Lieblingslied zu lernen. Dann erlernt Birb nämlich, eine Note zu singen, und wenn er sechs beherrscht, kann die Eule ihm ein Artefakt aktivieren, das ihn zu seinen Eltern führt.
Es ist also eine nahezu märchenhafte Geschichte über das Anderssein. Das hässliche Entlein kommt einem da unweigerlich als Vergleich in den Sinn. Das ist vielleicht ein bisschen kitschig, berührt aber dennoch ungemein.
Die Genres gut verrühren
Das Spiel kommt wie eingangs erwähnt als kreative Mischung daher. Zunächst wirkt es auf den Spieler wie ein ganz normales Jump'n'Run mit rudimentären Fähigkeiten der Spielfigur: Birb kann relativ hoch hüpfen und bei gedrücktem Feuerknopf eine Weile schweben - das war es dann auch. Bei der ganzen Plattform-Hüpferei muss jedoch zwischendurch mal überlegt werden, da nach und nach Puzzle-Elemente hinzukommen: So müssen beispielsweise mehrere recht weit voneinander gelegene Schalter gleichzeitig aktiviert sein, um eine Aufzugsplattform in Gang zu setzen. Als Erweiterung der kleinen Knobelei kommt dann schließlich als drittes der Aspekt des Rhythmusspiels zum Tragen. Ist die besagte Plattform nämlich erst einmal aktiviert, gibt sie eine bestimmte Reihenfolge vor, in der verschiedene Feuerknöpfe gedrückt werden müssen - und zwar exakt in dem Rhythmus, in dem die Reihenfolge auch vorgegeben wird. Erst dann setzt sich der Aufzug in Bewegung. Blindes Knöpfchendrücken bringt also rein gar nichts.
Mit jedem besiegten Endgegner lernt Birb eine neue Note, die er verwenden kann. Dadurch wird sein musikalisches Arsenal erweitert und er kann auf neue Bereiche und Levels zugreifen.
Spaß mit Side Quests
Um das Spiel erfolgreich zu beenden, ist es aber nicht nötig, die Noten zu sammeln. Vielmehr sind sie als optionaler Bestandteil zu sehen, wenn es darum geht, einen Level möglichst komplett abzuschließen. Highscore-Jäger werden daher mitunter noch einmal in ein Level zurückkehren, um wirklich alles aufzustöbern.
Nach gleichem Prinzip funktionieren auch die in den Levels verteilten Federn, die, wenn sie gefunden werden, erst einmal „unbekannt" eingestuft sind. Birb muss den Vogel finden, zu dem die Feder gehört. Schafft er das, werden einige Informationen zu diesem Vogel im Tagebuch vermerkt. Federn dienen also im Wesentlichen als Vogelenzyklopädie; ein zusätzliches Element ohne spielerischen Wert oder Nutzen, dafür aber sehr charmant.
Musik ist Trumpf
Es dauert nicht lange, dann wirkt der Titel auf den Spieler wie ein Musical. Tritt man gegen einen der Endgegner-Vögel an, so wird deren Gesang (der zur nachzuspielenden Musik passen soll) als Text eingeblendet, auf dem Karaoke-mäßig ein gelber Punkt herumhüpft. So hört man zwar keinen Gesang, kann ihn sich durch diesen kleinen Kniff aber dazudenken. Ein bisschen erinnert das an die legendäre Opernszene aus Final Fantasy 6. Nicht nur die Bosse haben eine Menge zu singen, auch die kleinen Nebenaufgaben zum Ergattern der Musiknoten sind sehr musikalisch.
Der Soundtrack besteht aus 15 eleganten Songs, die in ihrer Diversität großartig sind. Trotz der Vielzahl der verwendeten Musikstile passen die Stücke auf- und zueinander wie Topf und Deckel. Es ist aber nicht nur der Soundtrack, der harmoniert, sondern auch das visuelle Design. Jede Umgebung ist einzigartig und kombiniert ihre Farbpalette mit kleinen Details, um in der Summe atemberaubend zu wirken. Zudem gab es seit langer Zeit kein Spiel mit so gut gestalteten Charakteren mehr zu sehen. Egal, ob es sich um einen einfachen NPC oder einen Endgegner handelt, alle haben ihre eigene Persönlichkeit und sind ausgefeilt designt. Dazu tragen auch die kindlich-verspielten, in Textboxen erzählten Dialoge bei, die uns beispielsweise unseren ersten Sidekick Egbert unheimlich ans Herz wachsen lassen, obwohl er uns anfangs nur für 30 Minuten Spielzeit begleitet.
Das Geld mag in den AAA-Shootern und jährlichen FIFA-Updates stecken, aber das Herz und die Seele von Videospielen im Allgemeinen stecken in Projekten wie diesem.
Fazit
Es gab 2019 schon soviel AAA-Bombast, es gab so viele gehypte Spiele - doch diese kleine Produktion ist (bisher) mein Spiel des Jahres. Die komplette Produktion wirkt von vorne bis hinten durchdacht, ausgefeilt und nahezu besessen detailverliebt. Zudem beweist Joysteak eindrucksvoll, mit welchen bescheidenden Mitteln selbst ein Jump'n'Run hier eine berührende und warmherzige Geschichte erzählen kann. Unglaublich, welche Immersion dieses kleine Spiel entfaltet, unglaublich, wie schnell man in diese 16 Bit-Welt hereingesogen wird und nicht mehr aussteigen möchte. Obwohl es faktisch nicht möglich ist, zu scheitern, empfindet man nie einen Mangel an Herausforderungen. Ein kleines Märchen für das Kind in uns allen, das wir am Joypad erleben können. Die Vielzahl an verschiedenen Gameplay-Mechaniken wurde hier zu einem großartigen Endergebnis zusammengenäht, flankiert von Technik und Spieldesign auf bestem Niveau. Ein fantastisches Spiel im doppelten Wortsinn - ebenso großartig wie fantasiereich.