Son House, Jimi Hendrix und die mongolische Schamanin

Von Wasser-Prawda @WasserPrawda

DIE PSYCHEDELISCHEN BLUESWELTEN VON YOURI BLOW.

Der Anfang wirkt traditionell, aber davon sollte man sich nicht täuschen lassen. Fast sanft perlen die Fingerpickings dahin auf der Gitarre. Doch irgendwann knallt der Rhythmus stampfend dazwischen und treibt die Musik an. Und dann die Stimme: Vom normalen Gesang wechselt Youri Blow nahtlos zum mongolischen Kehlkopfgesang und verbreitet damit eine Gewalt, ja fast Brutalität, die für manche regelrecht schockierend anmutet.

Rauh, bellend, fast nie zärtlich - aber immer faszinierend und voller persönlicher Offenheit singt hier einer Lieder, die den Blues konsequent als Weltsprache verstehen und mit Dialekten aus Sibirien und der Mongolei ebenso anreichern wie aus Afrika oder Lateinamerika. Die Gitarre oder die Dobro wechseln sich ab mit der mongolischen Pferdekopfgeige oder (auf Platte) auch mit Cello, Stratocaster, peruanischen Fllöten oder anderen Instrumenten, die er auf seinen vielen Reisen kennengelernt hat. Wenn er Lieder von Son House oder auch „Hear My Train A-Coming“ interpretiert, dann sind die Vorlagen selbst bei genauem Hinhören schwer auszumachen: Geboren aus dem Moment entstehen im Konzert ganz eigene Stücke daraus. Sie werden zum Medium der Selbstoffenbarung eines Musikers im 21. Jahrhundert und sind damit lebendiger und wichtiger als notengetreue Covreversionen.

„Ich hab einen Teufel in mir“, sagt der Pariser Musiker, „aber ich kann ihn mit meiner Musik unter Kontrolle halten. Der erste Blues, den er als Jugendlicher gehört hat, war ein Song von Leadbelly. Und schnell entdeckte er für sich die Schönheit und Ehrlichkeit der Lieder von Son House, Robert Johnson oder Skip James. Doch wichtig sind für ihn auch die psychedelischen Gitarrenexkursionen, mit denen Jimi Hendrix seinen Blues gespielt hat. Und dann war da immer noch eine Sehnsucht nach mehr, nach einer spirituelleren Ebene für die Musik ebenso wie im Leben. In der Zeit hatte Youri einen Traum. Und der führte dazu, dass er in die Mongolei fuhr und dort für einige Monate mit einem der Stämme lebte. Als weißer Musiker hatte er dort einen Exotenbonus und wurde nicht als einer der Touristen betrachtet, die aus purer Romantiksehnsucht das Leben der Tierzüchter für eine Weile miterleben. Die Schamanin des Stammes nahm ihn unter seine Fittiche. „Sie gab mir meine jetzige Stimme“, erzählt er. Sie brachte ihn dazu, den Kehlkopfgesang der sibirischen Urvölker zu übernehmen und ihn in seine Songs zu integrieren. Lieder wie „Ulan Taiga“ auf seinem aktuellen Album „The Corridor“ erzählen nicht nur vom Leben da in der mongolischen Steppe, wirken einerseits vertraut, andererseits so exotisch, dass die Bluespolizisten sich zum sofortigen Einschreiten veranlasst sehen könnten.

Wer sich aber darauf, wie Blow in seinen Liedern seine Seele fast schmerzhaft allen offenlegt, wie er seinen Dämonen freien Lauf lässt, mit den Rhythmen vom Fuß die traditionellen Bluesklänge anzutreiben oder zu kontrastieren, der entdeckt in all dem eine Schönheit, die sich mit konventionellen Musikbegriffen schwer fassen lässt. Hier ist ein Musiker zu hören, der sich in keinen Rahmen wirklich einpassen lässt, der aber gerade dadurch der Debatte, was heute Blues sein sollte, völlig neue Anregungen gibt.

Auf Platte kann man dann noch eine ganz andere Facette von Youri Blow erleben als im Konzert. Hier mäandern seine Lieder dahin in langen Spannungsbögen, die Stimme erzählt zurückhaltender, die rohe Energie ist gezähmt und entwickelt langsam einen Sog, der einen auch an die Frühzeiten von Pink Floyd erinnert, die ja ursprünglich auch ab und zu in Bluesgefilden unterwegs waren. „Moon Rock My Soul“ etwa, Titelsong eines älteren Albums, ist hier ein Beispiel. Oder auch „Muddy Streams“ von „The Corridor“, was in seinem Text von einem Mississippi erzählt, der ganz allein in der persönlichen Geographie des Parisers zum Geburtsort werden kann.

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dobro