Sommertagsplitter einer Kieler Wochewoche

Von Xeniana

Dem Professor sollte ich helfen einen schwierigen Gast zu betreuen. Der Professor, ein Mann um die achtzig, knittrige, altmodische Hose und wirres, ungekämmtes Haar,  hatte seine Wohnung räumen müssen,  für den Gast aus England.  Ich wollte zu einem Konzert. Der Job kam nicht gelegen. Schwüle Wärme verlangsamt die Bewegungen.  Die Hitze versetzt die Stadtbewohner in einen  Slow Motion Zustand.

Nur der Engländer scheint energiegeladen. Kaugummikauend hält er das Smartphone ans Ohr. Man sieht es ihm an:  Er hat Erfolg, vermutlich auch Haus, Familie, Segelboot. Sympathisch ist er nicht.

Die Wohnung des Professors besieht er spöttisch. Der Professor hat extra noch aufgeräumt.  “ No way „, sagt der  Engländer und zieht die Mundwinkel abfällig nach unten. Er will ins „Lands End“. Ich halte das für eine gute Lösung, dann kann der Professor wieder in seiner Wohnung sein. Der Professor sagt, ich hätte länger gegenhalten sollen. Die Fördermittel würden für das“ Lands End“ nicht ausreichen. Nun müssten wir die Differenz übernehmen.

Ich wache auf, schwüle, drückende Wärme. Merkwürdiger Traum. Die Kaffeemaschine blubbert vor sich hin. Es gibt kein schöneres Geräusch am Morgen.

Der Gatte konzertiert irgendwo. Das Kind muss zur Kieler Woche. Es graut mir vor der Fahrt in die Stadt. Zurecht. Die Straßen sind brechend voll, viele andere gesperrt, die Parkplatzsuche ein Abenteuer. Der Bulli quetscht sich durch enge Gassen. Um meiner Ruhe willen parke ich drei Kilometer entfernt.

Auf der Koppel ist alles voll mit gut gelaunten Vätern, Müttern und Kindern.  Kleine Mädchen lassen sich bunte Bänder ins Haar flechten oder sich Schmetterlinge ins Gesicht malen. Zwei Stunden werde ich in dem Trubel überbrücken dürfen. Knausgard hab ich unterm Arm.

Ich finde einen Platz im Schatten, höre dem Chor beim Einsingen zu, lese Knausgard. Der ist jetzt bei Utoya oder bei Hitler. Ich schlage das Buch zu. Breivik  halte ich jetzt nicht aus, Hitler auch nicht. Die Männerstimmen singen „Heilig“. Was für ein perfekter Klang. Es ist wie ein Gegengewicht zum konsumierenden, feierwütigen Kieler Woche Besucherstrom. Zu Recht wird dieser Chor  beim Konzert viel Beifall bekommen.

Später verschwindet Karlas Gesicht hinter einer riesigen, rosa Zuckerwatte. Die drei Kilometer zum Bulli überwinden wir spielend. Knausgard habe ich noch immer unterm Arm. Noch immer ist drückend warm. Am Bahnhof springt der Sohn mir fast ins Auto. Er freut sich über die Mitfahrgelegenheit. Zuhause angekommen setze ich Erdbeer-Holunderblütenmarmelade an und versuche Knausgard zu lesen. Es gelingt mir nicht.

Es ist einfach zu warm.