In den letzten Tagen kommt man in den sozialen Netzwerken kaum einen Klick weit, ohne über das Cover von Someone New, Laura Kneidls neustem Roman, zu stolpern. Und wer sich jedes Mal ein paar Sekunden Zeit nimmt, um die dazugehörigen Texte zu lesen, wird schnell merken, dass eine Lobeshymne auf die nächste folgt. Während so etwas bei mir die ersten paar Male große Vorfreude auf ein Buch auslöst, kommen mit der Masse leider auch immer die verhassten zu hohen Erwartungen, die mir in verdammt vielen Fällen bereits die buchige Suppe verhagelt haben. Auch dieses Mal? Leider ja.
Erschienen: Januar 2019 im LYX Verlag | Format: brochiert/Ebook | Seiten: 550 | 2,5 von 5 Fläschchen
Meine Meinung als Podcast:
Worum geht es?
Dass Micah sich dazu entschieden hat, ihren Platz in Yale in den Wind zu schießen und dafür am heimischen MFC zu studieren, stößt nicht nur bei ihren Eltern auf Missfallen, sondern auch in deren Bekanntenkreis. Doch Micah hat einen guten Grund für ihre Entscheidung: ihr Zwillingsbruder Adrian ist weg und sie möchte da und nicht Meilen weit entfernt sein, wenn er zurückkehrt. In der Zwischenzeit lebt sie sich in ihrer neuen Wohnung ein und freundet sich mit ihren Nachbarn Cassie und Auri an. Und Julian, der einige Wochen zuvor bei einer Party von Micahs Eltern gekellnert und dank ihr seinen Job verloren hat. Micah würde es gerne wieder gut machen, doch das dürfte schwierig werden, denn Julian begegnet ihr sehr abweisend ..
Liebesgeschichte - wo?
Laura Kneidl gehört zu meinen deutschen Lieblingsautorinnen und das nicht zuletzt wegen ihres Schreibstils. Sie kann mit Worten umgeben, weiß genau, welche sie wie einsetzen muss, um eine bestimmte Stimmung aufzubauen und mir als Leserin sowohl Bilder in den Kopf zu zaubern wie auch an meinen Emotionen zu kitzeln. Eigentlich. Denn bei Someone New war irgendwie der (Bücher-)Wurm drin, der sich einmal durch das komplette Buch gefuttert hat. So zum Bespiel war ich zwar angetan von Protagonistin Micah, deren immense Neugier zwar nervig war, aber die sonst nicht nur das Herz am rechten Fleck hatte, sondern durch ihre offene Art auch sehr erfrischend war. Ebenso toll - wenn nicht sogar einen Ticken toller - fand ich Cassie, Auri, Lilly und Aliza, doch leider waren die Szenen mit ihnen für meinen Geschmack viel zu selten und zu kurz. Aber gut, Someone New sollte ja auch eine Liebesgeschichte sein, weswegen tägliche stundenlange Treffen mit den Freunden wohl auch nicht ganz gepasst hätten. Das Problem ist nur: es gab keine Liebesgeschichte. Jedenfalls nicht in meinen Augen. Micah und Julian haben sich kennengelernt, Julian verlor wegen ihr seinen Job, sie zieht in die Wohnung neben seiner ein, sie versucht ihm näher zu kommen, er ist abweisend, sie verbringen hin und wieder Zeit miteinander, während der man (und damit auch Micah!) eigentlich nichts über Julian erfährt, wodurch Micah misstrauisch wird und dann schweben sie plötzlich auf Wolke 7. Ich bin ja echt nicht pingelig, was Liebesgeschichten angeht, weil Liebe viele Gesichter und Wege haben kann, aber hier weiß ich einfach nicht, wo da die Liebesgeschichte war. Ich habe nicht einen Hach-Moment gehabt, keine Träne verdrückt, kein freudiges Lächeln auf den Lippen und Schmetterlinge im Bauch gehabt. Ich habe nicht mit Micah und Julian mitgefiebert, habe ihnen nicht die Daumen gedrückt. Sie als Paar ließen mich einfach kalt. Viel interessanter fand ich hingegen beide für sich. Und ja, ich bin mir bewusst, dass es in Someone New vorrangig um die Botschaft und nicht um die Beziehung zwischen Micah und Julian geht, doch wurde das Buch nun mal als Liebesgeschichte beworben, weswegen ich in diese Richtung einfach mehr erwartet habe.
Nichts Halbes und nichts Ganzes
Wo immer man über Someone New stolpert, liest man Lobgesänge, die zu einem nicht geringen Anteil mit den Themen zu tun haben, die hier ihren Platz gefunden haben und ja, auch ich finde, dass Laura Kneidl ohne Frage wichtige Themen aufgegriffen hat, doch das war's auch schon, denn mehr als Ankratzen war hier leider nicht. Es war, als hätte man mir ein Tablett voller Kostproben serviert, durch die ich mich durcharbeiten musste, um am Ende ganz viele verschiedene Köstlichkeiten probiert zu haben, ohne in den Genuss gekommen zu sein, eine davon wirklich genießen zu können. Wie eine Hetzjagd von Hochzeit zu Hochzeit, weil man sich nicht entscheiden konnte, auf welcher man denn nun am ehesten tanzen möchte. Das hatte zur Folge, dass ich mich immer dann, wenn es gerade interessant wurde, schon wieder verabschieden musste, um zum nächsten Problem zu hüpfen, was ich als sehr ermüdend empfand. Ich hätte mir gewünscht, Laura Kneidl hätte sich lediglich auf ein- oder höchstens zwei Themen konzentriert und diese so ausgearbeitet, dass sie ihre roten Fäden durch die gesamte Geschichte ziehen, ich die Figuren immer wieder mit den damit zusammenhängenden Problemen konfrontiert sehe und dadurch alles an Tiefe gewinnt, die mir durch das bloße Ankratzen all dieser wichtigen Themen einfach gefehlt hat.
Und dann war alles vorbei
Wer diesen Blog ein wenig verfolgt, der weiß, dass ich von Laura Kneidls Berühre mich. Nicht sehr angetan war. Ich mochte das Thema und fand es super ausgearbeitet und zählte die Tage bis zum Erscheinen des Folgebands Verliere mich. Nicht. Ich freute mich so sehr darauf, den Abschluss der Geschichte zu lesen, die mir so gut gefiel, dass ich am Ende ziemlich enttäuscht davon war, wie schnell hier alles abgehandelt und zu einem Ende gebracht wurde. Aber gut, sowas kann mal passieren. Dass es aber nun schon wieder so war, finde ich nicht nur enttäuschend, sondern auch traurig. Someone New hat über fünfhundert Seiten, von denen sich gut neunzig Prozent darum drehen, das große Geheimnis um Julian zu lüften und kaum, dass man es weiß, ist es auch schon wieder so gut wie vorbei. Und das vollkommen rund, ohne Konflikte. Die Wahrheit ist raus und alle haben sich lieb. Niemand brauchte Zeit zum Nachdenken, zum Sacken lassen, zum tausend Löcher in den Bauch fragen. So mag man sich die Welt vielleicht wünschen, aber so ist sie leider nicht. Wir sind nicht perfekt und wir reagieren auch nicht immer perfekt. Okay, wenn einer von ihnen so vorbildlich reagiert hätte, hätte ich ihm das noch abgenommen und unter authentisch verbucht, aber nicht, wenn jeder im Freundeskreis so reagiert. Ich hätte mir gewünscht - und das nicht nur für mich, sondern um allgemein mehr Bewusstsein für das Thema zu schaffen - dass sich die Figuren richtig damit auseinandersetzen, Fragen stellen und darüber nachdenken.
Kurzum
All die Lobeshymnen um Someone New haben meine Erwartungen so hoch geschraubt, dass ich mit jeder Seite, die ich gelesen habe, tiefer und tiefer gefallen und am Ende völlig ernüchtert auf den Boden der Tatsachen gelandet bin. Laura Kneidl wollte auf vielen Hochzeiten tanzen, wodurch das Unausweichliche passiert ist: keins der angesprochenen Themen wurde so ausgearbeitet, wie sie es verdient hätten und wie es wichtig gewesen wäre, um mehr Verständnis zu schaffen. Selbst der kleine Lincoln, der einfach zuckersüß war, konnte es nicht mehr rausreißen. Im Gegenteil, dass er mit seinen drei Jahren nicht einen einzigen Fehler in seinen Sätzen hatte, machte ihn schlussendlich zu einem weiteren Punkt auf meiner "Hier war der Bücherwurm zugange" Liste.
Weitere Meinungen zu dem Buch: Its all about books | Lectitare | Schwarzbuntgestreift