Seit gestern Abend glühen die blauen Vögelchen auf Twitter. Und auch auf Facebook melden sich immer mehr Zuschauer, aber auch die großen YouTuber zu Wort, nachdem Simon Unge mit seinem gestrigen Video nicht nur die Schließung seiner Kanäle Ungespielt und Ungefilmt ankündigte, sondern auch sehr offene Worte gegenüber seinem Ex-Netzwerk Mediakraft sprach. Lets-Plays.de informierte Euch schon gestern brandaktuell über die Entscheidung Simons, die er als “schwerste seines Lebens” bezeichnete.
Damit mag er nicht unrecht haben, denn sein öffentlicher Auftritt wird mit Sicherheit noch Einiges nach sich ziehen. Der Ruck, der gestern durch das Netz und damit auch durch die YouTube-und Webvideowelt ging, schlägt seine Wellen sogar bis in die großen Tagesblätter – so berichten selbst Bild, Spiegel, FAZ und etwa die Süddeutsche Zeitung vom Statement eines jugendlichen Webstars, den die “Erwachsenenwelt” zum Großteil noch gar nicht kennt.
Nicht nur bei seinen Fans, die seinem neuen Kanal Unge bis gerade eben schon über 450.000 Abonnenten bescherten (zunächst ohne das dort ein einziges Video hochgeladen wurde – seit etwa drei Stunden befindet sich lediglich ein Kanaltrailer auf dem Channel), findet Simon große Solidarität und Unterstützung. Es sind auch die anderen großen Youtuber, die sich mit Anerkennung und Schulterklopfern hinter ihn stellen und zum Abonnieren des neuen Kanals aufrufen.
Facebook Posts von Gronkh und Sgt.Rumpel
Tweeds anderer YouTuber
#Freiheit – doch so einfach ist es nicht
Seine Fans stehen hinter ihm und das ist ein wunderbares Zeichen ihrer Anerkennung und Wertschätzung für Simons Arbeit, welche nach eigener Aussage zu seinem Leben geworden ist. Doch im Video lässt Simon nicht nur seinen Frust über den Umgang des Netzwerks mit seiner Person heraus. Er spricht auch von seiner Existenz. Die sei, so Unge, bereits von Mitarbeitern Mediakrafts in Äußerungen bedroht worden. Man sprach von Privatinsolvenz und habe sogar geäußert “sein Leben zu zerstören”. Dass Simon und sein Netzwerk in argen Zwistigkeiten liegen und der junge Videokünstler auf diese Weise nicht mehr mit Mediakraft zusammenarbeiten konnte, ist durchaus nachvollziehbar. Zahlungen, sowie die Unterstützung kreativer Arbeit seien ausgeblieben; sogar Videos sollen gelöscht worden sein – Mediakraft habe seine Aufgabe als Partnernetzwerk ganz klar nicht erfüllt.
Simons öffentliches Statement war mutig, keine Frage. Und sich gegen etwas zu erheben, von dem man sich unterdrückt fühlt, das vielleicht sogar die eigene Existenz bedroht, wenn man sich nicht unterordnet, ist ebenfalls ein mit Respekt anzuerkennender Schritt – letztlich geht es immer darum, das eigene Leben so zu gestalten, dass man selbst glücklich sein und alle gegeben Möglichkeiten nutzen kann. Besonders junge Künstler schlagen diesen Lebensweg ein und viele Menschen, die sich vielleicht in einem Arbeitszustand befinden, der sie unglücklich macht und sie einschränkt, könnten sich ein Beispiel daran nehmen.
Doch all der Aufregung der #Freiheit-Rufe zum Trotz: Man darf nicht vergessen, dass es hierbei um ernste Dinge geht. Um Existenzen. Und auch um Geld. Nach eigener Aussage brauche Simon kein Geld, er würde zur Not sogar auf der Straße leben. Ein solches Szenario darf natürlich nicht zur Wirklichkeit werden. Unsere Lebenswelt ist nun mal (manchmal leider, manchmal zum Glück) von festen Regeln gestützt, die ein Miteinander ermöglichen. Man darf nicht auf Grund der Aussage eines einzigen Menschen alles über einen Kamm scheren.
Mediakraft hat sich nun gestern in einer Stellungnahme zu Wort geäußert. Und bedauert den Rechtsstreit und den eigenschlagenen gerichtlichen Weg – den laut ihrer Aussage Simon selbst gewählt haben soll – sehr. Man wolle sich “schnell” und auf “gütliche” Weise einigen. Natürlich wird hier in positiven Sinne für Mediakraft formuliert – das ist normal. Wer viel mit Anwälten zu hat, wird Ähnliches häufig in seinem Briefkasten finden und man kann nachvollziehen, warum Mediakraft solche Aussagen wählt – in einem Jahr, denn es wird wahrscheinlich ein längerer Weg vor Simon liegen, wenn er Pech hat, kann das schon wieder ganz anders aussehen.
Vorsicht mit vorschnellen Reaktionen – Wenn unterstützen, dann richtig
Doch mit der Stellungnahme Mediakrafts gestaltet es sich ebenso schwierig, wie mit Simons Äußerungen: Wir, die bloßen Zuschauer, die Unwissenden über den tatsächlichen Sachverhalt (wir waren ja nicht dabei), haben keinerlei Recht, Urteile über irgendeine der beiden Parteien zu fällen. Bei der Stellungnahme Mediakrafts handelt es sich um einen nach gewissen Standards formulierten Text; soetwas liest man häufig auch von Juristen – es gilt, nicht alles auf die goldene Waage zu legen. Sowohl bei Simon, der persönlich betroffen ist und alles ganz anders und wesentlich extremer wahrnimmt, als wir Zuschauer, als auch bei Mediakraft, die versuchen, den Ruf ihres Unternehmes zu erhalten und ebenfalls eine eigene Perspektive der Dinge haben.
Wer Simon also wirklich unterstützen will, sollte sich nicht in Hasstiraden über Mediakraft hineinsteigern oder zu solchen aufrufen. Man sollte stets bemüht sein, sich durch intensive Recherche auf beiden Seiten ein Bild der Gesamtsituation zu machen und nicht sofort alles Gesagte und Geschriebene für bahre Münze zu nehmen. Letztlich sollte es Eure Meinung sein, die ihr vertretet und nicht die eines Anderen.
Man sollte auch immer daran denken, dass es Simon Unge auch schaden könnte, wenn seine sämtlichen Fans auf Mediakraft losgehen (etwa auf den Facebookseiten) und dort Hetzkampagnen, die sich in argen Beleidigungen und Schlimmeren zeigen, starten. Eine solche Rufschädigung, die Mediakraft dann als “Hetze” oder gar Verleumdung auffassen könnte, könnte ebenso gegen Simon verwendet werden. Es geht nicht darum, in aufgebrachtem Eifer eine Firma zu stürzen und gar, wie auf Twitter gelesen, sogar Vergleiche zum Mauerfall von 1989 zu ziehen.
Schlimmer noch: Es wird nicht nur zur Hetze gegen Mediakraft aufgerufen, sondern es werden gar Drohungen gegen Mitarbeiter ausgesprochen. Man kann nicht davon ausgehen, dass Simon so etwas wollte.
Kommentare wie: “Fuck you Mediakraft ich töte euch alle”, “Erstickt an der Weihnachtsgans”, “Kann man irgendwo Islamisten kaufen und die auf euer Gelände schicken?”, “Geht sterben, Mediakraftmitarbeiter”, “Wenn die den verklagen, gehe ich zu denen nach Hause” können nicht das Ziel des Ganzen gewesen sein – denn Simon hat niemals jemanden dazu aufgerufen. Und man kann nur hoffen, dass ihm das später nicht so ausgelegt wird – denkt auch mal an diese Möglichkeit.
Für die Fans sollte es darum gehen, weiterhin hinter der Arbeit und der Person Simons zu stehen und ihn dort zu unterstützen. Es ist an Simon, nun den rechtlichen Weg zu gehen. Ob das Ganze nun unbedingt öffentlich vor der Kamera ausgetragen werden sollte und auf ebenso emotionaler Basis, die wieder die Gemüter seiner Fans, die es nur gut meinen, aufheizt, ist natürlich ihm überlassen. Man kann nicht einfach so durch ein paar Videos und Einzelaussagen beurteilen, inwieweit Mediakraft Mist gebaut hat.
Öffentlichkeitswirksam – Ein Schritt in die allgemeine Anerkennung?
Es geht hierbei nicht darum, dass Simon mit seinen Aussagen nicht recht hat. Auch nicht darum, dass Mediakraft sich letztendlich vielleicht wirklich als “die böse” Firma herausstellen könnte. Sondern darum, wie das Ganze in der Öffentlichkeit seinen Platz und letztlich seine Umsetzung findet.
Der Aufschrei, der durch die Community und durch die Tageszeitungen geht, kann Einiges für und in der Webvideoszene bewegen; sie als ernstzunehmender darstellen oder als großer Warnhinweis an alle YouTuber gegenüber leichtfertigem Ausfüllen von Verträgen stehen.”#Freiheit” – ein dramatischer Auftritt, der in der aktuellen Zeit besonders in der jugendlichen Altersgruppe von Simons Zuschauern große Aufname und Resonanz findet.
Öffentlichkeitswirksam dort – aber wie kommt es “draußen” an? Nicht-Kenner der YouTube-Welt fragen sich vielleicht: “Freiheit? Saß der im Gefängnis?” – oder denken kritisch (wie ich es aus Unterhaltungen mit “Erwachsenen” zu diesem Thema entnahm): “Freiheit? Der Junge ist halt gerade mal 24 und hat einen Vertrag unterschrieben, der auf normaler Firmenpolitik beruht. Da hätte er sich vorher mal besser informieren sollen. Warum jetzt so ein Aufhebens gemacht wird, wie bei Edward Snowden, kann ich nicht verstehen. Er rührt unbewusst eine Hetzkampagne auf. Ist doch alles ganz normal.”
Ob normale Firmenpolitik oder Knebelvertrag – es wird sich zeigen, wie sich das Ganze entwickelt. Und es bleibt abzuwarten und beobachten, ob Simon den rechtlichen Weg alleine gehen muss, weil es letztlich doch nur ein normaler Vertrag war, der einfach nicht mit seinen persönlichen Ansichten übereinstimmte oder aber, ob sich etwas Größeres in der Webvideo-Szene tun wird. Letzteres könnte zur Folge haben, dass sowohl YouTuber, als auch ihre Netzwerke einen neuen Stellenwert in der beruflichen Welt erhalten könnten. Ernstzunehmender werden. Bewusster wahrgenommen werden und endlich die Grauzone des “der spielt doch nur“, “der macht doch nur Videos” verlassen.
Aber ob die speziellen Reaktionen, die sich direkt von Unbeteiligten an Mediakraft richten, wirklich einer der ersten größeren Schritte der YouTube-Szene in die Öffentlichkeit sein sollten, ist eine Sache, die jeder für sich selbst beurteilen muss; besonders die Autoren solcher Posts.
Ganz ohne Netzwerk? – eine mögliche Zukunft
Es ist ebenso fraglich, ob Netzwerke noch der Garant für den Erfolg eines YouTubers sind. Unter den Vorteilen finden sich natürlich der einfachere Zugang zu Lizenzen, (normalerweise) rechtliche Unterstützung, sowie Dienste zur Zusammenarbeit bei kreativen Projekten und der Organisation. Dennoch geht man mit einem Vertrag auch immer ein Verhältnis zum Partner ein, welches beiderseitig gestaltet ist – das Netzwerk möchte auch immer etwas von seinem Schützling haben und hält dies normalerweise auch in seinen Verträgen fest. Hier gilt es, sich über die Konsequenzen bewusst zu sein und darüber, dass als erfolgreicher YouTuber auch die eigene Existenz an diesem Vertrag hängen kann – bereits hier einen eigenen Rechtsbeistand, wie einen Anwalt, zu konsultieren, ist wirklich ratsam.
Zukünftig könnte sich die YouTube-Medienwelt jedoch anders gestalten: Mehr Anerkennung und ein größeres Bewusstsein für diese neue Ebene des Entertainments schaffen auch die Bedingungen für größere Selbstständigkeit; fordern aber ebenso mehr von den für sich selbst verantwortlichen Videokünstlern. Eigene Anwälte und Steuerberater von vorneherein sind hierbei ein erster Schritt.
“#Freiheit” wäre hiermit gewährleistet. Doch besonders nachrückende YouTuber, die vielleicht noch gerade am Anfang ihrer Karriere stehen, sollten sich dann bewusst darüber sein, dass mehr von ihnen verlangt wird, als die bloße kreative Arbeit.
Dies sind nur gesammelte Gedanken und keine explizite unveränderliche persönliche Meinung. Lest alles, was ihr finden könnt, wenn Ihr Euch mit dem Thema auseinander setzt und auf einer gegeben Plattform dann Eure eigene Meinung anbringen wollt. Wenn Ihr Simon unterstützen wollt, achtet darauf, wie Ihr es tut und dass es ihm am Ende nicht doch schaden könnte. Denn das ist sicherlich das Letzte, das seine treue Community möchte.