Eine langweilige Pressekonferenz und ein legendärer Versprecher des DDR-Politikers Günter Schabowski: Heute vor 25 Jahren ist die Berliner Mauer gefallen
„Wann tritt das in Kraft?“ Die Frage des Journalisten ist simpel, aber sie bringt Günter Schabowski völlig aus dem Tritt. Der DDR-Funktionär runzelt unschlüssig die Stirn, kratzt sich verlegen am Kopf und sucht raschelnd in seinen Papieren. Gerade hat er der Weltpresse in umständlichem Gestotter angedeutet, dass die marode DDR unter dem Druck der friedlichen Revolution die Grenzen zur Bundesrepublik öffnen wird. Das wollen die Journalisten jetzt genau wissen: „Ab sofort?“ Schabowski zieht die Brille auf und wirft und noch einmal einen verunsicherten Blick auf seine Notizen. „Das tritt nach meiner Kenntnis“ – Pause – „ist das sofort, unverzüglich.“
Eigentlich ist der 1929 in Vorpommern geborene Schabowski ein absoluter Routinier in Sachen Politik und Presse. Er hat in Leipzig Journalismus studiert und Parteiführung in Moskau. Schabowski hat die regimenahe Zeitung „Neues Deutschland“ geleitet und ist im Apparat der Staatspartei SED immer einflussreicher geworden. Wenn einer den real existierenden Sozialismus retten kann, dann Schabowski: Er stellt sich den unzufriedenen Menschen, er lehnt Reformen nicht rundweg ab. Selbst als Honecker-Nachfolger wird er gehandelt. Nach der schicksalsträchtigen Pressekonferenz heute vor 25 Jahren kommt aber alles anders.
In Windeseile verbreitet sich Schabowskis Sensationsmeldung. Zehntausende Berliner aus Ost und Westen versammeln sich auf beiden Seiten der Mauer. Die uniformierten Grenzsoldaten an den noch unpassierbaren Übergängen sind heillos überfordert. Unter „sofort, unverzüglich“ hatte die DDR-Führung offenbar doch etwas anders verstanden. Aber jetzt ist der Fall der Berliner Mauer nicht mehr aufzuhalten. Die friedliche Revolution hat gesiegt. In der Nacht gehen die Schlagbäume hoch, Sektkorken knallen, Feuerwerksraketen steigen auf, Freudentränen fließen, wildfremde Menschen fallen sich in die Arme und feiern gemeinsam ein Fest der Freiheit.
Für Schabowski selbst mündet dieser Abend in der Unfreiheit: Wie der letzte DDR-Staatschef Egon Krenz wird er Jahre später in der gerichtlichen Aufarbeitung des DDR-Unrechts (vor allem der Todesschüsse an der Berliner Mauer) zu einer Haftstrafe verurteilt. Anders als Krenz zeigt Schabowski allerdings Reue und entschuldigt sich bei Opfern und Hinterbliebenen – mit den ehemaligen SED-Genossen kommt es allerdings zum offenen Bruch, weil sich Schabowski kritisch mit der DDR-Vergangenheit – und seiner eigenen – auseinandersetzt. Dieser Prozess hat bei manch anderen selbst ein Vierteljahrhundert nach dem Mauerfall noch nicht eingesetzt…