Etwas eigenartig fand ich es schon, als ich in letzter Zeit immer wieder einzelne Socken vor unserer Wohnungstür einsammeln musste, aber da unsere Kinder nicht gerade berühmt sind für ihre Ordentlichkeit, dachte ich mir nicht viel dabei. Höchstens vielleicht, dass wohl mal wieder eine kleine Moralpredigt – “Wir sind eine Familie, also trägt gefälligst jeder dazu bei, dass hier Ordnung herrscht!” – fällig wäre.
Ich war noch nicht dazu gekommen, meinen Lieben ins Gewissen zu reden, als die Einzelsocken damit anfingen, in die Wohnung einzudringen, den Eingang in Beschlag zu nehmen und schliesslich auch unter dem Esstisch herumzulungern. “Nun reicht es aber wirklich”, schimpfte ich vor mich hin, während ich die verirrten Socken mit dem Besen unter dem Tisch hervor angelte.
Die Einzelsocken häuften sich, der richtige Zeitpunkt für die Standpauke liess sich irgendwie nie finden und eines Morgens stand des Rätsels Lösung laut miauend vor der Wohnungstür: Katze Henrietta, die im Frühling immer etwas sonderbar ist, seitdem sie keine Kinder mehr bekommen kann, mit einer einzelnen Socke zwischen den Zähnen. Voller Stolz legte sie mir ihre Beute zu Füssen, als ich ihr die Tür öffnete. Da sie mich mit ihren grossen, sanften Augen so treuherzig ansah, konnte ich nicht anders, als sie für ihre aktive Mithilfe im Haushalt zu loben – obschon die Socke mit ziemlicher Sicherheit vom ungewaschenen Wäscheberg stammte.
Das Lob tat ihr offenbar gut. Seither ruft sie mich mehrmals täglich herbei, um mir neue Socken zu Füssen zu legen. Falls ich es mal nicht rechtzeitig zur Tür schaffe, verschafft sie sich selber Einlass, um ihre Beute unter dem Esstisch zu deponieren. Manchmal treffe ich sie auch im Hauseingang an, wo sie verzweifelte Kreise zieht, weil irgend ein unwissendes Familienmitglied die Kellertür zugemacht und ihr den Weg zum Sockennachschub versperrt hat.
Obschon die herumliegenden Socken ganz schön nerven, bin ich Henrietta in mehrfacher Hinsicht dankbar für ihren Dienst. Erstens weiss ich jetzt, dass unsere Kinder nicht alleine verantwortlich sind für die Unordnung im Haus. Zweitens finden auf diese Weise vielleicht ein paar seit Langem getrennte Sockenpaare wieder zusammen. Und drittens lässt sie Nachbars Gartenhandschuhe in Ruhe, solange sie mit den Socken alle Pfoten voll zu tun hat.