Klingt merkwürdig, wie die Fassade eines Hauses zu einem Teil der Haustechnik werden kann. Aber das funktioniert und macht Sinn, wie bei der Funktionsfassade der Ottensmeier Ingenieure aus Paderborn. Bei Sanierungen von Gebäuden mit Nachtspeicherheizung kommen alle Heizungsleitungen und andere neuen, notwendigen Leitungen auf die Außenseite der Fassade. Somit kann die Sanierung im bewohnten Zustand erfolgen und die Fassade wird zur außen liegenden Wandheizung. Das System lässt sich im Sommer auch zur Kühlung nutzen. Nach der Sanierung fungiert die vorhandene Bausubstanz als Pufferspeicher und im Haus bleibt im Sommer und Winter eine angenehme Grundtemperatur. Mehr zu dieser innovativen Sanierungsidee im folgenden Artikel.
Ausgangssituation einer Sanierung mit der Fassade als Teil der Haustechnik
Wir wissen alle, dass wir mehr intelligente und attraktive Sanierungen von Gebäuden benötigen. Der Gebäudesektor muss einen deutlich größeren Beitrag zur Energiewende und zum Klimaschutz leisten. Aber die bisherigen Maßnahmen bringen die Sanierungen nicht voran. Wir wissen welche Barrieren es gibt und, dass einige Akteure bereits nach intelligenten Lösungen suchen. Aber diese Lösungen reichen nicht aus und der Wettbewerb um intelligente Lösungen muss weiter gehen.
Was ist mit den noch immer 1,6 Millionen Nachtspeicheröfen, die in Deutschland in Betrieb sind? Der Aufwand zur Sanierung des Wohngebäudes und zum Einbau einer neuen Heizungsanlage ist enorm - verbunden mit viel Dreck und möglicherweise einem zeitweisem Auszug der Bewohner. Es müssen in jeden Raum neue Heizungsrohre verlegt werden. Damit verbunden ist viel Lärm und Schmutz, Eigentümer müssen für diese Zeit umziehen und Mieter brauchen vom Eigentümer eine neue Wohnung.
Der gleiche Fall tritt ein bei dem Einbau einer zentralen Wohnungslüftung mit Wärmerückgewinnung bei besonders energieeffizienten Sanierungen. Auch hier ist die Verlegung von Rohren für Zu- und Abluft in jeden Raum notwendig - wieder in Verbindung mit viel Lärm und Schmutz.
Doch dafür gibt es eine intelligente Lösung, entwickelt von der Ottensmeier Ingenieure GmbH aus Paderborn. Sie haben die Haustechnik, also Heizungsleitungen und Lüftungsrohre, nach außen verlegt und in die Wärmedämmung eingebunden. Hinzu kommt noch, dass sie die Wand als Flächenheizung nutzen durch die thermische Aktivierung der Wand.
Konstruktion der Out of the House Sanierung
Für das Problem des teuren und aufwändigen Einbaus von neuen Leitungen der Haustechnik hat die Ottensmeier Ingenieure GmbH eine praktische „minimalinvasive" Lösung entwickelt. Damit kann die Sanierung auch im bewohnten Zustand erfolgen. Diese Lösung nutzt die hohe Wärmespeicherkapazität der massiven Außenwände für eine angenehme Temperierung des Hauses, im Winter und im Sommer.
In einem ersten Objekt aus dem Jahr 1974 in Kirchlengern haben sie außen eine 30 cm starke Holzrahmenkonstruktion auf der Wand angebracht. Darin kommen alle neuen Leitungen für die Haustechnik. Neben den Heizungsrohren, können das auch die Rohre für die Zu- und Abluft der Wohnungslüftung sein, neue Stromleitungen, Antenenkabel oder Datenkabel. Der Hohlraum wird nach der Verlegung der Leitungen mit einem faserförmigen Einblasdämmstoff aufgefüllt. Mit der Dämmung von 26 cm auf der Außenseite und einem Material mit der Wärmeleitfähigkeitsgruppe 035 reduzierte sich der U-Wert der Außenwand von 1,12 W/(m²K) auf 0,12 W/(m²K).
Heizungsrohre auf der Fassade machen Wand zum Wärmespeicher
Die außen auf der Fassade liegenden Heizungsrohre dienen bei dieser Konstruktion auch als Wandheizung, weitere Heizflächen sind im Haus damit nicht notwendig. Denn die gesamte Wand dient nun als eine große Flächenheizung, die durch die Heizungsrohre erwärmt wird. Es erfolgt praktisch eine thermische Aktivierung der Wände, die durch ihre große Speicherkapazität als Übertragungs- und Speichermasse dienen. Die Wärme geht dabei den Weg des geringsten Widerstandes, der nach außen durch die Wärmedämmung höher ist als nach innen. Durch die große Übertragungsfläche reichen für die Heizung geringe Systemtemperaturdifferenzen aus, wie z.B. 35/28 °C. Dadurch kann man mit Niedrigtemperaturquellen für die Heizung arbeiten, wie mit der Erdwärme und einer Wärmepumpe. Dies hat den Vorteil, dass man das Gebäude in einem heißen Sommer auch kühlen kann.
Fehlt nur noch der äußere Abschluss der Konstruktion. Die Holzkonstruktion mit Dämmung erhält außen Putzträgerplatten, die verputzt werden. Ein anderer Abschluss, wie eine vorgehängte Fassade ist aber auch möglich.
Funktionsfassade für die Sektorenkopplung im Projekt SynErgie OWL
Diese Konstruktion mit der Funktionsfassade ist Bestandteil des Projektes „SynEnergie OWL". Zusammen mit acht mittelständischen Projektpartnern und dem Verein Energie Impuls OWL haben die Ottensmeier Ingenieure GmbH von der Leitmarktagentur.NRW im Rahmen des Klimaschutzwettbewerbs Energiesektorenkopplung.NRW den Projektzuschlag erhalten.
In diesem Projekt sollen innovative Lösungen gefunden werden, wie man sonst abgeregelten Strom aus erneuerbaren Energien mit einem börsennotierten und kostengünstigen Steuerungsverfahren sinnvoll nutzen kann. Mögliche Anwendungen für dieses Steuerungsverfahren sind flexible Wärmeanwendungen und in der Elektromobilität. Die Nutzung des Stroms für Anwendungen in der Wärme und Mobilität soll helfen den Strom aus erneuerbaren Energien wirtschaftlicher zu machen.
Die Projektpartner wollen anhand von mindestens 25 Modellhaushalten praktisch demonstrieren und erproben, wie sie den zunehmend abzuregelnden Solar- und Windstrom CO2-reduzierend und wirtschaftlich gezielt nutzen können. Mit der Funktionsfassade der Out-of-the-House Sanierung beteiligt sich die Ottensmeier Ingenieure GmbH an dem Projekt. Die außen liegende Wandheizung der Funktionsfassade nutzt die massive Wand als Wärmespeicher. Damit benötigen sie keinen zusätzlichen Pufferspeicher und die Wärmepumpe kann flexibel entsprechend des Angebotes im Stromnetz arbeiten.
Funktionsfassade mit Energieversorgung aus einem bidirektionalen kalten Nahwärmenetz
In einem mittlerweile sehr häufig gelesenen Artikel habe ich bereits das Prinzip der kalten Nahwärme beschrieben. Ein anderer Artikel beschreibt die Funktion eines Eisspeichers für die Heizung und Kühlung eines Bürogebäudes. Ein bidirektionales kaltes Nahwärmenetz (bKWN) kombiniert das Prinzip der kalten Nahwärme mit einem Eisspeicher. Dies bedeutet, dass alle angeschlossenen Häuser mit der Energie aus dem Eisspeicher und aus dem Erdreich versorgt werden.
Wie dieses Prinzip genau funktioniert erfahrt Ihr bei der Bürger Energie Fischbach. Dort ist ein bidirektionales kaltes Nahwärmenetz seit Oktober 2013 in Betrieb.
Prinzipiell funktioniert dieses System mit jedem Haus, in dem eine Flächenheizung eingebaut ist. Das könnte zum Beispiel ein saniertes Haus mit der Funktionsfassade nach dem Prinzip der Ottensmeier Ingenieure GmbH sein. Es nutzt die Wand als Speicher und als Heizfläche
Innovative Lösung für die Sanierung
Die Fassade mit den außen liegenden Heizungsrohren bekommt bei dieser Art der Sanierung ganz andere Funktionen als üblich. Sie ist jetzt als Heizfläche ein Teil der Haustechnik und dient als Wärmespeicher. Für die Bewohner bringt diese Fassade über das gesamte Jahr ein angenehmes Raumklima und die Belästigung in der Zeit der Sanierung bleibt überschaubar. Hinzu kommt der mögliche Nutzen dieser Sanierung für die Sektorenkopplung, da das Haus als Speicher genutzt werden kann.
Damit diese Art der Sanierung sich am Markt durchsetzen kann, muss sie als Geschäftsmodell betrachtet werden. So kann das Haus mit dieser Fassade einen Beitrag zur Stabilisierung des Stromnetzes leisten und die Wände bei entsprechendem Angebot an Strom aktivieren. Oder mit einer eigenen Photovoltaik-Anlage lässt sich auch in der Wärmeversorgung ein hoher Autarkiegrad erreichen.
Daher würde ich es begrüßen nicht nur die Technologie in den Vordergrund zu stellen, sondern den Nutzen für die beteiligten Akteure, wie Eigentümer, Mieter und Bauunternehmen. Wenn das sanierte Haus, wie bei den vernetzten energieautarken Häuser von Timo Leukefeld, ein Geschäftsmodell ist, dann erst wird es richtig attraktiv.