Auf La Palma machen Gaby und Peter zum ersten Mal seit langem Ferien ohne die Kinder. Gaby hatte sich auf gemeinsame Unternehmungen gefreut, Peter dagegen ...
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Gaby trat zu ihrem Mann Peter, der an der offenen Glastür ihres Bungalows stand: Palmen, leuchtend rote Bougainvilleen, Riesenkakteen, ein azurblauer Swimmingpool und gleich daneben das im Inselstil gebaute Restaurant. Die Ferienanlage auf der Kanareninsel La Palma war paradiesisch schön. Sie dachte an ihre Kinder, die Sprachferien in England machten. Sie fehlten ihr ein wenig, andererseits bedeutete dieser Umstand, dass Peter und sie endlich wieder an sich denken konnten. Sie seufzte glücklich, dann überlegte sie laut: “Wir hätten doch gleich am Flughafen einen Wagen mieten sollen.”
Peter streckte sich träge: “Wozu denn?”
“Um uns die Insel anzuschauen. Sie soll wunderschön sein!”
“Wozu in die Ferne schweifen, wenn das Gute liegt so nah?” zitierte er. “Hier gibt’s doch alles, wovon man nur träumen kann.”
Gaby beschloss, die Diskussion darüber auf später zu verschieben: “Komm, wir ziehen uns für’s Abendessen um.”
Im Schlafzimmer nahm sie voll Vorfreude das knöchellange lindgrüne Kleid mit den Spaghettiträgern vom Bügel, das sie sich extra für romantische Abende zu zweit von ihrem selbstverdienten Geld spendiert hatte. Seit drei Jahren erledigte sie zu Hause Schreibarbeiten für die kleine Firma einer Freundin. Passend zu ihrem schicken Outfit hatte sie Peters hellen Sommeranzug bereitgelegt. Jetzt sah sie befremdet, wie er sich seine Shorts aus dem Fach griff.
“Du willst doch nicht etwa in Shorts zum Essen?”
“Aber klar doch.”
“Peter, ich ziehe dieses Kleid an!”
“Tu’s. Es ist wunderschön.” Er streifte ein T-Shirt über den Kopf und angelte seine Espadrillos unter dem Stuhl hervor: “Fertig”, grinste er.
Sie atmete tief ein und stemmte ihre Hände in die Hüften: “Peter, so geh’ ich nicht mit dir ins Restaurant!”
“Wer redet denn vom Restaurant? Wir essen ganz ungezwungen am Swimmingpool. Dort gibt’s ein kaltes Buffet.”
Vor Enttäuschung stiegen ihr die Tränen in die Augen. “Wenigstens unseren ersten Abend hatte ich mir etwas festlicher vorgestellt”, sagte sie leise.
“Aber Schatz, ich laufe schon das ganze Jahr im Anzug herum!”
Dachte er daran, dass sie das ganze Jahr in Hausklamotten herumlief? Schlagartig kamen Gaby alle seine Unarten in den Sinn. Wie er abends seine Schuhe dort, wo er sie auszog, stehen liess, so dass sie erst einmal darüber stolperte, ehe sie sie wegräumte. Und morgens trank er nie seinen Kaffee aus, der dann überschwappte, wenn sie die Tassen zum Ausguss trug.
Auch Peter erinnerte sich: An die Nudeln, die bei ihr immer so pappig wurden. Und sie erlaubte ihm nicht, sie selbst zu kochen. Er mache ihre Küche schmutzig, behauptete sie. Dafür durfte er sich um den ewig verstopften Ausguss kümmern, weil sie immer vergass, das Sieb einzulegen. Und überhaupt, sie hatte eine Neigung zum Kommandieren.
Böse starrten sie sich an. “Mach, was dir gefällt”, erklärte Gaby schliesslich frostig. “Ich geh’ auch gern allein ins Restaurant.”
“Dann ist es ja gut. Ich werde jedenfalls den Abend am Pool verbringen!”
Als erstes holte er sich einen Drink an der Freiluftbar und machte es sich damit auf einer Liege bequem. Diese Wärme! Diese Palmen! Der Swimmingpool! Und das in der Abendsonne erglühende Meer im Hintergrund! Freiheit von allen Zwängen! Farniente! Gedanklich setzte er lauter Ausrufezeichen, aber vor allem, um sich selbst zu überzeugen, dass er ohne Gaby durchaus glücklich war.
Innerlich aufgewühlt, aber äusserlich selbstsicher betrat Gaby das Restaurant. Ein beflissener Ober führte sie zu einem Tisch und legte ihr die Karte vor. Na also, das klappte ja prima.
Sie hatte ihre Wahl getroffen und liess den Blick umherschweifen. Plötzlich fühlte sie sich traurig. Wie hatte nur alles so schnell entgleisen können? Durch die offenstehenden Türen konnte sie Peter auf seiner Liege sehen. Es gab ihr einen Stich, wie zufrieden er mit seinem Drink in der Hand wirkte.
In diesem Augenblick stellte der Ober ein Glas Champagner und kleine Schälchen mit Tappas vor sie hin. Als sie protestieren wollte, dass sie das nicht bestellt hätte, überreichte er ihr eine Visitenkarte und zeigte diskret zur Bar hinüber. Ein eleganter Herr mit grauen Schläfen verneigte sich leicht in ihre Richtung.
Gaby war sprachlos. Wie verhielt man sich in einer solchen Situation? Hilfesuchend sah sie zu Peter hinaus – und empfing einen Pfeil mitten in die Brust: Nur mit einem Bikini bekleidet, stand eine goldbraune, langbeinige Kreatur mit weissblonder Mähne vor ihm. Natürlich gefärbt, aber sie hatte eine absolute Traumfigur, und Peter sah sie durchaus wohlwollend an.
“Darf ich mich vorstellen? Arnaud Eygières. Eine schöne Frau wie Sie sollte nicht allein dinieren”, sagte eine angenehm klingende Stimme auf französisch neben ihr. Der Herr von der Bar!
Draussen hatte die Blonde sich in verführerischer Pose auf der Liege neben Peter ausgetreckt. Er eilte davon und kam mit einem Drink für sie zurück, den er ihr galant überreichte. Dabei strahlte der blöde Kerl wie ein Honigkuchenpferd. Na, sollte er doch ruhig sehen, dass auch sie nicht allein blieb!
Sie lächelte den Franzosen liebenswürdig an und erlaubte ihm, sich zu setzen.
“Gabriele Kettler”, nannte sie ebenfalls ihren Namen. Es zeigte sich, dass sie keinen Grund hatte, ihren Entschluss zu bereuen. Den ganzen Abend behandelte er sie wie eine Prinzessin. Darüber hinaus machte sie die erfreuliche Feststellung, dass nach all den Jahren ihr Schulfranzösisch noch durchaus für ein interessantes Gespräch ausreichte.
Gleichzeitig mit Peter traf sie kurz vor Mitternacht vor dem Bungalow ein. “Na, hast du dich gut amüsiert?” fragte sie schnippisch.
“Du hast ja auch keine Zeit verloren”, brummte er. “Wer ist denn dieser alte Beau?”
“Arnaud ist vielleicht etwas älter als du, aber dafür hat er tadellose Manieren und weiss, was einer Frau gefällt. Er ist Franzose.”
“Und Isabelle weiss, was einem Mann gefällt. Jedenfalls hat sie nichts gegen Ausschlafen in den Ferien. Morgen will sie wieder am Swimmingpool sein, aber nicht vor zwölf.”
“Morgen früh fahren Arnaud und ich nach Sante Cruz. Er ist nämlich motorisiert”, trumpfte sie auf.
Peter hatte die Tür aufgeschlossen und machte eine übertriebene Verbeugung: “Nach dir, meine Liebe.”
“Blödmann”, zischte sie.
“Ich versuche doch nur, so galant zu sein wie dein Franzose. Isabelle ist übrigens auch Französin, aber sie steht gottlob noch in der Blüte ihrer Jugend.” Peter wieherte, und sie fragte sich, warum sie diesen Idioten nicht einfach erwürgte.
Als sie am nächsten Morgen aufstand, schlief Peter noch. Er schnarchte leise, und zum ersten Mal störte sie dieses sägende Geräusch über alle Massen.
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“Es war wundervoll in Santa Cruz”, berichtete sie abends, “Arnaud interessiert sich im Gegensatz zu dir brennend für die Geschichte der Insel…”
“… und für kleine stille Strände?” warf er ein.
“So ist er nicht”, konterte sie empört.
“So sind alle Männer”, erklärte er düster.
Sie sah ihn scharf an: “Hast du etwa mit Isabelle…”
“Natürlich nicht”, erwiderte er schnell, “sie ist ganz einfach eine patente Frau, die mir mein Vergnügen gönnt.” Das stimmte, aber nur teilweise. Schuldbewusst dachte er daran, dass er heute für Isabelle einen beträchtlichen Teil des Ferienbudgets ausgegeben hatte und erinnerte sich mit Schaudern an den Champagner und die erlesenen kleinen Gerichte, die sie bestellt und dann kaum angerührt hatte. La ligne! Die Linie, hatte sie ihm charmant seufzend erklärt. Jetzt sah er sehnsüchtig auf Gabys angenehme Rundungen. Und unwillkürlich stellte er sich ihre Freude bei einer solchen Mahlzeit vor. Er wollte ihr gerade vorschlagen, ihren albernen Streit zu begraben und am nächsten Tag ein Auto zu mieten, um das Innere der Insel zu erkunden, als Gaby verkündete: “Morgen sehen Arnaud und ich uns das Innere der Insel an!”
“Na prima”, antwortete er verletzt und fragte sich, warum er Isabelle nicht in die Disko begleitet hatte, wie sie es ihm vorgeschlagen hatte. Statt dessen war er Gabys wegen nach Hause gekommen. Nun, ehrlich gesagt war die Disko auch nicht so sein Fall.
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Mitten in der Nacht schreckte er hoch, weil Gaby unsanft an ihm rüttelte: “Du schnarchst!”
“Wenn’s dich stört, kann ich nebenan auf dem Sofa schlafen”, erklärte er, nahm die zweite Decke aus dem Schrank und entschwand ins Wohnzimmer.”
Jetzt war es ganz still, aber Gaby konnte trotzdem nicht wieder einschlafen. Warum hatte er so bereitwillig das Feld geräumt? Warum hatte er die Tür hinter sich zugemacht? Wollte er sich hinausschleichen, um sich mit dieser verdammten Isabelle zu treffen? Am liebsten hätte sie nachgesehen, aber verzweifelt sagte sie sich, dass es ihr noch schlechter gehen würde, wenn er tatsächlich fort sein sollte.
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Die Landschaft war grossartig. Tiefe Schluchten, kleine weisse Dörfer, grüne Bananenterrassen. Zu Mittag assen sie herrlich frischen Fisch. Wie gestern las Arnaud Gaby jeden Wunsch von den Augen ab. Nachmittags badeten sie in einer verschwiegegen kleinen Bucht, lagen dann nebeneinander auf dem schwarzen Lavastrand. Meer und Himmel boten ein herrliches Schauspiel. Als Arnaud sich über die beugte und sein Mund immer näher kam, stand plötzlich ihr ganzer Körper wie unter Strom…
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Vor dem Bungalow stiess sie mit Peter zusammen. Sie war gelaufen, ihr Atem ging stossweise, ihre Augen funkelten. Vor Zorn, vor Tränen, sie wusste es selbst nicht: “Lass uns sofort damit aufhören, alles ist schon viel zu weit gegangen”, stiess sie hinaus, und tatsächlich kullerte jetzt eine Träne über ihre Wange.
Peter hielt sie gegen sich fest und streichelte sanft ihren Rücken: “Du sprichst mir aus dem Herzen, Liebling. Ich hab mich wirklich blöd benommen!”
“Ach, ich doch auch. Komm, lass und miteinander reden. Es wird höchste Zeit!”
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“Na, hast du bekommen, was du wolltest?” fragte Arnaud Isabelle, die sich geschmeidig wie eine Raubkatze auf dem Bett räkelte. Sie warf ihrem fast dreissig Jahre älteren, aber erfreulich wohlhabenden Mann Arnaud einen schrägen Blick zu: “Und du?”
Er schüttelte den Kopf. Seltsamerweise hatte er keine Lust, über den Nachmittag zu reden. Als er sich fast am Ziel glaubte, hatte Gaby ihn vehement zurückgestossen. Sie zitterte am ganzen Körper, aber ihre Stimme hatte fest und entschlossen geklungen: “Bitte, Arnaud, lassen Sie uns zurückfahren.”
Er war zornig gewesen. Nach allem, was er ihr geboten hatte, handelte er sich diese Abfuhr ein! Aber dann hatte sie leise hinzugefügt: “Sehen Sie, ich bin verheiratet, und ich liebe meinen Mann, aber wir haben uns dummerweise gleich am ersten Tag unserer Ankunft hier gestritten. Jetzt fühle ich mich schrecklich. Vielleicht ist alles zu spät, denn Peter ist ebenfalls mit einer Frau zusammen…”
Er hatte ihr nicht gesagt, dass er Bescheid wusste, dass Isabelle seine Frau war. Sie gingen seit einiger Zeit getrennt auf Jagd, waren aber gut Freund geblieben. Eines nicht allzu fernen Tages, dachte er, würde Isabelle sich von ihm scheiden lassen und ihn dabei, wie ihre drei Vorgängerinnen, um einen Teil seines Vermögens erleichtern. Nun, er konnte es sich leisten…
Seine Gedanken kehrten zu Gaby zurück. Sie hatte so unglücklich ausgesehen, dass er ihre Hand genommen und geküsst hatte. Es war die kräftige, etwas zerkratzte Hand einer Frau, die im Haushalt und Garten alles selbst tut. Plöztlich hatte er sie verehrt, und er hatte festgestellt, dass er von ganzem Herzen wünschte, dass alles in Ordnung kam zwischen ihrem Mann und ihr. Hoffentlich war er genau so standhaft geblieben wie sie. Nicht leicht bei einer Frau wie Isabelle.
Isabelle machte einen Schmollmund: “Bei mir hat’s auch nicht geklappt. Er sagte mir, dass er seine Frau liebte, dass sie nur einen dummen Streit miteinander gehabt hätten. Schade, er sah wirklich gut aus. Er war eine Ecke grösser als du.”
“Hoffentlich hast du ihn nicht ruiniert. Ich kenne dich.”
“Vielleicht hat ihn genau das zur Besinnung gebracht?” Sie lachte.
“Ich hoffe, es war nicht nur das. Du bist ein richtiges kleines Biest.”
“Aber du magst mich doch so?” schmeichelte sie.
Arnaud schloss sie in seine Arme, empfand aber plötzlich tiefe Sehnsucht nach einer Frau wie Gaby…
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Peter und Gaby hielten sich noch immer eng umschlungen. Versöhnung und Liebe am Nachmittag. Sie hatten vergessen, wie schön das sein konnte. Er raunte ihr zu: “Darf ich heute wieder im Bett schlafen?”
“Und ob, ich lasse dich nämlich nie mehr aus den Augen. Himmel, hab ich schlecht geschlafen in den letzten beiden Nächten!”
“Fein”, grinste er, “das Sofa ist nämlich verdammt hart. Und zu kurz. Und jetzt rasiere ich mich und ziehe mich um. Ich führe dich ganz gross aus.” Zum Teufel mit der Sparsamkeit, dachte er glücklich.
“Und morgen faulenzen wir beide am Pool”, lachte sie zärtlich zurück und dachte, dass endlich die schönsten Ferien ihres Lebens beginnen konnten…
ENDE