Das Paar war im Sommer der Partnerschaft angekommen, beziehungsweise in der Familienphase. Die beiden schauten bereits auf einige gemeinsame Jahre zurück und sie freuten sich über ihren kleinen Sohn. „Darf ich Sie provozieren?“, fragte ich mit einem spitzbübischen Lächeln. Die Frau nickte, unsicher zwar, aber doch neugierig. „Stellen Sie sich vor, Sie und Ihr Mann würden sich in genau vier Tagen, sagen wir abends um viertel nach neun, zu einem gemeinsamen sinnlich-erotischen Treffen begegnen. Wie wäre das für Sie?“
Die Herausforderung für Paare im Sommer der Beziehung besteht laut Hans Jellouschek, einem deutschen Paartherapeuten und Autor, darin, „weniger ein Paar zu werden als vielmehr ein Paar zu bleiben.“ Stereotyp haben Paare mit kleinen Kindern gemein, dass ihre Sexualität in den Hintergrund geraten kann. „Sie meinen, ich soll termingerecht Lust empfinden, auf Knopfdruck sozusagen? Das können Sie gleich vergessen!“ Das Ansinnen erschien der Frau so grotesk, dass sie darüber schallend lachen konnte.
Von der heiteren Stimmung, die sich nun im Raum ausbreitete, liess ich mich gerne anstecken. „Ich sage nicht, dass Sie Lust empfinden müssen, wenn Sie Ihren Mann zu einem sinnlichen Rendezvous treffen. Was ich meine, ist, ob Sie beide sich auf einen vereinbarten Zeitpunkt hin mit einer bestimmten Absicht treffen wollen. Die Betonung liegt auf ‚treffen wollen’, was Sie dabei empfinden werden, kann ich weder vorgeben noch voraussagen.“ Ich führte weiter aus, dass in der jungen Sexualität die Handlung der Lust folgte. In der etwas reiferen Sexualität kann es vorkommen, dass die Lust der Handlung folgt.
„Meinen Sie das im Ernst? Wir sollen uns treffen und so tun, als ob wir Lust aufeinander hätten?“ Nun wich ihre Heiterkeit einem eher ungläubigen Staunen. „Ja, gewissermassen schon“, gab ich ihr zurück. „Trifft es zu, dass Sie immer dann Sex miteinander haben, wenn Sie Lust darauf verspüren?“ Dazu nickten beide stumm. „Nun frage ich Sie, ob diese Strategie nicht auch dazu geführt haben könnte, dass Sie kaum noch miteinander schlafen.“ Für einen Moment herrschte absolute Stille im Raum und ich hörte die Tischuhr leise ticken. „Ich kann mir durchaus vorstellen, dass meine Worte Sie aufwühlen und irritieren. Und genau das erachte ich ein Stück weit auch als meinen Auftrag. Sind Sie interessiert daran, etwas Neues auszuprobieren? Etwas, das sich von Ihrem bisherigen Verhaltensmuster unterscheidet?“
„Beziehungen werden von alleine schlecht“, behauptete ich zum Schluss des Gesprächs. Um dann noch anzufügen: „Wenn wir also den Garten der Liebe und der Lust nicht regelmässig pflegen, dann vertrocknet und stirbt er. In einer romantischen Idealvorstellung treffen sich Mann und Frau spontan und weil sie Lust aufeinander haben. Daran ist nichts verkehrt. Aber die Gestaltung von fruchtbarer, dauerhafter Beziehung bewegt sich zwischen den Polen von ungezwungener Spontaneität und von absichtvoller Planung. Wenn das stimmt, dann ist nichts daran auszusetzen, regelmässig Rendezvous zu vereinbaren und die Lust in den Raum der Möglichkeiten einzuladen, angereichert mit einer kleinen Prise So-tun-als-ob.“