Luise braucht Hilfe bei einer Mathematikaufgabe und weil „Meiner“ nicht zu Hause ist, wendet sie sich mit ihrer Frage an mich. Wobei, eine Frage kann man das eigentlich nicht nennen. Es ist eher ein Vortrag, den sie mir da hält. Ein Vortrag, zu dem ich am Ende mein Feedback geben soll.
Sie erzählt mir von Katheten, Hypotenusen, der Berechnung der Höhe, von rechten Winkeln und quadratischen Flächen. Irgendwann bemerkt sie, dass ich sie mit glasigem Blick anschaue.
„Du verstehst doch, was ich meine, Mama?“
„Äääääh, nein…“
„Also, das ist eigentlich ganz einfach. Du hast ein rechtwinkliges Dreieck und hier hast du die beiden Katheten und da hast du die Hypotenuse… Kommst du jetzt draus?“
„Äääääh, nein…“
„Also, wenn du die Hypotenuse hast, dann kannst du…“, referiert sie munter weiter, aber natürlich verstehe ich noch immer nicht. Ich habe den Dingen, von denen sie redet, schon vor vielen Jahren abgeschworen. Irgendwann erkennt meine Tochter, dass bei mir Hopfen und Malz verloren ist, also zieht sie sich zurück, um ihr mathematisches Problem im Alleingang zu lösen.
Voller Bewunderung schaue ich ihr nach, als sie aus dem Zimmer geht. Bewunderung, weil sie Dinge versteht, die ich in vierzehn Schuljahren nie verstanden habe. Bewunderung aber auch, weil sie sich nicht hat anstecken lassen von der Aversion gegen Mathematik, die fast alle Frauen in unserem Clan haben.