So klingt Kristall

So klingt Kristall

Renaud Capucon (c) Mat Hennek


Ein Geiger, der jeden Ton glasklar spielt und ein Dirigent, der Stücke bis auf ihren Grund durchleuchtet. Das waren die beiden Ingredienzien, aus denen der letzte Konzertabend des OPS, des Orchestre Philharmonique Strasbourg, gemixt war. Und – fürwahr – die Mischung war eine Vollkommene.

Marc Albrecht, der Chefdirigent und künstlerische Leiter des OPS, dirigierte wieder einmal selbst den homogenen Klangkörper, den, geschulte Ohren können es sofort hören, nur er so frei von jeglichem Hörschleier erklingen lassen kann. Mit dem französischen Geiger Renaud Capuçon, mit dem er schon mehrfach zusammenarbeitete, ließen sie Jean Sibelius Violinkonzert erklingen. Ein Werk, das erst nach einer zähen Anlaufphase in die Konzertsäle rund um die Welt gefunden hat. Nach dem Verriss der ersten Aufführung im Jahr 1903 wurde es von Sibelius noch einmal überarbeitet. Aber vielleicht war es auch die Aussage Richard Strauß`dass es sich bei dem Werk um ein extrem Schwieriges handle, die danach viele zögern ließ, es zu spielen. Dass das Werk tatsächlich schwierig ist, weil es vom Solisten Aufmerksamkeit und Präsenz in jeder Sekunde verlangt, und einige harmonische und rhythmische Herausforderungen für das Orchester bereithält, ist schnell hörbar. Und zwar dann, wenn der solistische Part oder das Orchester dem Stück nicht gewachsen ist. In Straßburg war das jedoch ganz und gar nicht der Fall. Capuçon beeindruckte mit einer Interpretation, die sich in keiner Minute mit schwelgenden Romantizismen beschäftigte. Vielmehr interpretierte er das Dunkle und Geheimnisvolle mit gleicher Intensität und Kraft wie das Aufbrausende, Verzweifelte und Herrische des Stückes. Dies sind alles Momente, die dem Stück sehr eigen sind und selbst im dritten Satz – dem oft aufgrund des Tanzmotivs eine Heiterkeit zugeschrieben wird – verließ Capuçon den einmal eingeschlagenen Weg nicht und verblieb in der kristallklaren Wiedergabe dieser nordischen Landschafts- aber vielmehr noch Seelenbeschreibung. Seine Energie, die er eins zu eins auf den Bogen überträgt, eignet sich hervorragend, um Sibelius Zweifel, Wut, Angst, Beklemmung und Einsamkeit hörbar zu machen. Marc Albrecht, der das Orchester als „Begleitinstrument“ agieren ließ und ganz bewusst dosiert in der Dynamik vorging, war dafür ein Idealpartner. Als kleines Beispiel sei hier das lange feinfühlige Decrescendo der Bässe im ersten Satz angesprochen, das so in genialer Art und Weise zum Geigensolo überleitete. Nie musste der Solist gegen das Orchester ankämpfen, vielmehr wurde er von ihm über weite Strecken so zart und dennoch gut akzentuiert begleitet, dass er sich davon in seiner Interpretation völlig getragen fühlen konnte. Die Wucht des tänzerisch angelegten dritten Satzes erschien in Albrechts Dirigat für die Stimmführer der Cellisten beinahe schon gefährlich, so intensiv und so nahe kam er ihnen mit seinem Taktstock. Welch anschauliche gestische Interpretation! Mit einer Bearbeitung des Themas von Orpheus und Eurydike von Gluck verabschiedete sich Renaud Capuçon vom Publikum mit dem Hinweis, dass romantische Gefühle von ihm auch zutiefst romantisch interpretiert werden können. Nicht die fingerbrecherische Akrobatik stand dabei im Vordergrund, sondern jene tief empfundene Zärtlichkeit zweier Liebender, die der Musik jene Schönheit verleiht, die letztendlich auf das Publikum übergeht und es tief berührt.

Mit Brahms 2. Symphoniekonzert dirigierte Albrecht im Anschluss eines seiner Lieblingsstücke. Und das war, auch wenn man diesen Umstand nicht wusste, sofort erkennbar. Jeden Ton, jede Phrase, jedes Motiv begleitete er mit den jeweils stimmigen Gesten. Der erste Satz fügte sich in seiner Dramatik wunderbar an das Stück von Sibelius und es wurde sofort klar, warum diese beiden Konzerte an einem Abend gespielt wurden. Es war wunderbar, die seelische Verwandtschaft der beiden Werke zu entdecken, die sich dennoch in vielem auch unterscheidet. Obwohl Brahms immer als Komponist der „reinen“ Musik bezeichnet wird – was meiner Meinung nach ein zu theoretischer Ansatz ist – evoziert gerade diese Symphonie eine ganze Reihe von Bildern, denen sich auch Marc Albrecht hinzugeben schien. Er ließ sich mittragen in höchste Höhen, tauchte ab in tiefste Tiefen und lotete mit den ausgereizten Pausen des dritten Satzes sogar die Schönheit der darin enthaltenen Stille aus. Im Finalsatz erkannte man bei ihm einen Zustand, in dem die Musik mit dem Dirigenten verschmolz, einen Zustand, in welchem er eins wurde mit dem Orchester und – das ist das Verblüffende daran – doch auch in diesem Beinahe-Trancezustand – die Leitung dennoch fest in der Hand hielt. Dieser so versöhnliche Satz, der alles Leid und alle Gefahr vergessen macht, der nur von einem Aufwind und einem Auftauchen ins Helle gekennzeichnet ist, verbreitet so viel Freude, dass man jede Minute davon als Geschenk annehmen und auskosten kann. Ganz so, wie Marc Albrecht es allen vorzeigte.


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