So dumm wie wir war keiner vor uns

Von Robertodelapuente @adsinistram
Das große Glück des Berufsanfängerjahrgangs 1993 war es, dass McKinsey noch keine Studien über die Zufriedenheit der Arbeitgeber mit den Lehrlingen abgehalten hat. Sonst hätte alle Welt erfahren, wie unzufrieden unsere Lehrherrn und Arbeitgeber mit uns waren.
Warum ist eine solche Studie eigentlich erwähnenswert? Waren nicht immer alle Alten mit den Jungen unzufrieden, seitdem der Mensch überhaupt denken kann? Die ollen Griechen jammerten ob der Jugend, die nachkam. Sie glaubten, ihre Kinder und Enkel würden alles in den Sand setzen. Heute heilen wir Krebs. Manchmal jedenfalls. So viel zum Thema "in den Sand setzen".
Als ich meine Lehre zum Schlosser begann, jammerten unsere Ausbilder viel über uns. Was die damals alles von der Schule schon wussten, als sie in den Beruf gingen - und wie wenig wir. Früher haben wir ohne elektronische Hilfe Wurzel gezogen und ihr habt das kaum mit dem Taschenrechner drauf, klagten sie. Hat uns wenig beeindruckt. Dazu schimpften sie uns natürlich faul und unmotiviert. Die gleichen Worte gebrauchen jene Arbeitgeber, die McKinsey so freimütig Antwort gaben, heute auch. So offen sind sie nur, damit sie der Schlussfolgerung der Studie Hand und Fuß verleihen. Nämlich: Schulen sollten weniger bilden, dafür schon mal damit anfangen, etwas auszubilden. Unternehmen an die Schulen und so. Man kennt das.

Unsere Ausbilder damals waren sich einig: Wir sind der faulste und undisziplinierteste Haufen, den sie je vor sich hatten. Ich war diese Aussage gewohnt. Meine gesamte Schulkarriere baute auf diesen Satz. Jeder Lehrer seit der Hauptschule sagte uns: Noch nie hatte ich so eine freche und schwierige und dazu dumme Klasse. Als ich meinen letzten Klassenlehrer Jahre nach der Schule beim Einkaufen traf, klagte er über die Dummheit seiner aktuellen Klasse. Man müsse die Schulabschlüsse vereinfachen, damit sie überhaupt eine Chance haben, einen zu erhalten. Tja, dasselbe, nämlich dass wir blöder sind als alle zuvor, hast du uns damals schon vorgeworfen, antwortete ich ihm. Ach, ich seid dagegen ja gar nichts gewesen, knirschte er mit den Zähnen. Da waren wir plötzlich rehabilitiert. Mitten in einem Supermarkt und Jahre nach der Schullaufbahn.
Klar, unsere Ausbilder lagen, wenigstens, was die Motivation betraf, gar nicht so falsch. Einer, der mit mir lernte, zog sich gerne mal während der Arbeitszeit in eine Gitterbox zurück, um dort zu pennen. Der andere erschien einfach nicht in seiner Versetzungsabteilung. Fast alle schliefen Montag noch ihren Suff aus. Und alle arbeiteten wir schön gemächlich. Warum diese Eile? Ich verzog mich regelmäßig mit einem Buch ins Klo. War spannender als der ganze Metallscheiß. So sind junge Leute halt. Immer gewesen. Werden sie immer sein. Ich finde das charmant so. Gefällt mir gut. Ernst wird es nachher noch früh genug.
Am Ende haben wir alle unsere Lehre bestanden und irgendwelche Jobs bekommen - danach schlechter bezahlte Jobs - und wieder danach waren einige arbeitslos. Spätestens da hat uns zu unserem Abschluss keiner mehr gratuliert.
Wenn die Arbeitgeber jetzt so tun, als sei die Misere am Arbeitsmarkt eine Sache dämlicher Jugendlicher, dann erwidere ich: Bullshit! Nee, daran liegt es nicht. Was hat unserem Jahrgang 1993 die abgeschlossene Lehre gebracht? Am Ende lebten die meisten von uns trotzdem in Unrast, Unsicherheit und prekären Verhältnissen. Das ist aber eine andere Angelegenheit, so weit will ich heute gar nicht gehen.
Arbeitnehmer unzufrieden mit Berufsanfängern! ist doch keine Schlagzeile. Das war nie anders. Der übliche Generationenpessimismus, der jetzt natürlich ein nettes Werkzeug namens Beratungsunternehmen bekommen hat, das Studien nur so kackt. Eine Schlagzeile, die ähnlich Neues birgt wäre Wir kommen nie mehr so jung zusammen! oder Heute beginnt der Rest des Lebens! Wissen wir ja alle. Ist nicht der Rede wert. So wie man nicht extra sagen muss, dass McKinsey ein Verein von Drecksäcken ist. Weiß ja auch jeder. Deswegen liest man es so selten in der Zeitung.
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