So als Punktrichter hat man es schon schwer. Man lässt mich mit einem Linienflugzeug nach Deutschland fliegen, um bei irgendeinem WM-Kampf in Deutschland zu punkten. Aber man kommt eigentlich ganz gerne nach Deutschland, jedenfalls zu einem bestimmten Veranstalter. In der Regel wird man vom VIP Shuttle Service am Flughafen abgeholt, aber manchmal, so wie heute, auch nur von einem Taxifahrer. Diesmal muss man sich sogar noch das Taxi mit einem spanischen Kollegen teilen. Der kennt immer die neuesten und angesagtesten Salsa-Bars. Er wird wohl wieder die Nacht durchtanzen.
Man wird in netten, angemessenen 5- Sterne- Hotels untergebracht. Kaum hat man allerdings eingecheckt, muss auch schon zum offiziellen Weight-In. Immer das gleiche Geschiss. Fotographen und Journalisten schupsen sich rum, dabei wird maximal ein Foto veröffentlicht. Natürlich muss der Punktrichter mit darauf achten, dass die Boxer ihr Gewicht bringen. Aber das ist eigentlich nie ein Problem. Wenn es nicht gerade ein Titelkampf ist, interessiert es sowieso keinen. Boxer springt auf die Waage – springt wieder herunter und das Limit wird verkündet.
Danach geht es zum Rules-Meeting. Langweilig. Die zentralen Regeln müssen noch einmal allen am WM-Kampf Beteiligten erklärt werden. Der ein oder andere Trainer oder auch der Manager versucht natürlich noch mal an die Einhaltung bestimmter Regeln zu erinnern. Der glaubt doch tatsächlich an den Sieg seines Boxers. So ein Naivling.
Endlich ist das Meeting beendet und man kann sich beim Geschäftsführer der Veranstaltung die Aufwandsentschädigung abholen. Man kann zwar finden, dass die paar Hunderter, die so ein Punktrichter bekommt, viel zu wenig für diese Arbeit ist, aber es macht ja keiner des Geldes wegen. Punktrichter sind Idealisten! Immerhin werden sie in US Dollars bezahlt. Es gibt Veranstalter, die in der Landeswährung auszahlen und einen dann noch beim Umrechnen über den Tisch ziehen.
Kurz aufs Zimmer gehen, dann umziehen und auf zum Offiziellenessen. Die Frage ist nur: Sternerestaurant oder nicht?
Hiernach werden dann die Schönheiten der Stadt im Zimmer gezeigt, natürlich auf Kosten des Hauses. Zwar fand man sich im Spiegel doch etwas zu füllig in der Mitte, aber so wie die Kleine gekreischt hat, ist sie garantiert gekommen. Man hat es eben noch richtig drauf, ist ja auch Punktrichter.
Frühstücksbüffet, Stadtrundfahrt und Mittagsschlaf und dann mit dem VIP Shuttle Service in die Halle. Jetzt fängt der Stress richtig an. Beim Rulesmeeting hat der Typ von dem Verlierer darauf bestanden, dass beim Bandagieren ein Offizieller dabei ist. „Man könnte ja sonst Gips verwenden.“ So ein Anfänger. Dabei weiß doch jeder, dass man schmale Aluminiumfolie in die Bandagen mit einwickelt. Aber so etwas gibt es natürlich nicht. Bandagen und die Abklebung der Schnürung werden mit den drei Buchstaben des Verbandes beschriftet, damit niemand manipulieren kann.
Vorkämpfe sind der Alptraum! Immer wieder Jackett ausziehen, in den Ring rein, um als Ringrichter zu fungieren, dann wieder das Jackett anziehen und auf dem Punktrichterstuhl Platz nehmen. Da kommt man ganz schön ins Schwitzen. Die Scheinwerfer tun ein Übriges. Daher ist auch immer ein Handtuch mit, um sich zwischendurch abzutrocknen. Dabei schaut sich sowieso keiner die Vorkämpfe an! Die Zuschauer sind doch alle noch draußen und trinken Bier.
Endlich fängt der Hauptkampf an. Die Punktrichter sehen gut und wichtig aus. Der Boxer des deutschen Veranstalters sieht schlecht aus und er boxt auch schlecht. Aber es gibt natürlich auch andere Aspekte zu beachten, die nicht geschulte Ring- und Punktrichter nicht erkennen können. Nur ein Laie kann glauben, dass der Heimboxer die Runde verloren hat, wenn er von seinem Gegner hart getroffen wird und er durch den Ring torkelt. Aber diese Laien sehen nicht das Große und Ganze und die Feinheiten des Boxens, die sich nur dem erschließen, der sich wie unser einer mit dem Boxen beschäftigt. Der Herausforderer, der Loser, zeigt sich bei der Siegerehrung als schlechter Verlierer. Ist halt ein Loser. Aftershow Party und noch ein paar Absacker an der Hotelbar. Nur ein paar Stunden Schlaf und dann am Sonntagmorgen Rückflug nach Hause zu Frau und Kindern.
Punktrichter zu sein ist ein wirklich harter Job und man muss ein richtiger Idealist sein, um das zu machen. – Natürlich war es auch nur ein Alptraum, das hier niederzugeschrieben, den ich letzte Nacht hatte. Niemand kann ernsthaft glauben, dass Punktrichter und Veranstalter in Wirklichkeit so handeln würden. Ich bin wirklich froh, dass in Deutschland das Boxen sauber ist und nur solche Boxer zu Siegern erklärt werden, die den Sieg auch verdient haben.
© Uwe Betker