Amerikanische Vampire! Ganz was neues! Und Stephen King schreibt mit! Soso! Die Werbemaschine ist gut geschmiert, die Etats großzügig bemessen und so stampft und marschiert der Hype unerbittlich durch das Vorweihnachtsgeschäft. Vorabexemplare für Buchhändler, eine breit angelegte Kampagne mit wohldosierten Marketing-Triggern und ein lautes Rauschen im Blätterwald ... hui! Aber mal ehrlich: Taugt er wirklich was, dieser Comic mit der Erfolgsautorbeteiligung?
Natürlich ist die Erwartungshaltung riesig, wenn einer der ganz Großen der Horrorliteratur in einem neuen Feld debütiert. Ebenso groß sind aber auch die Befürchtungen, dass es eine schäbige Bauchlandung wird, wenn clevere Trendschnitzer übereilt zwei Kunstpfade verknüpfen, die einfach nicht harmonieren wollen. Man mag aber ein saisonales Produkt auf den Markt werfen mag - insbesondere jetzt, wo der Hype rund um die lichtscheuen Langzähne fast jede Merchandisescheusslichkeit zu erlauben scheint. Aber man muss feststellen, manche Sorge ist unbegründet. Stephen King ist immer schon mehr gewesen als ein reiner Genreautor, der nebenbei auch die Prinzipien der Vermarktungen begnadet beherrscht. Es gelang ihm in seinen Romanen stets eine sehr eigenständige Spannung und schwer fassbare Creepyness zu erzeugen, die kein anderer mit der gleichen Bravour aufs Papier bringen konnte. Und seine Projektpartner Scott Snyder (Szenario, Storyboard) und Rafael Albuquerque (Illustrationen, Zeichnungen) sind wirklich keine zweite Wahl. Insbesondere die eigenständigen Bildwelten von Albuquerque wissen zu gefallen und liefern die perfekten grafischen Unterlagen für die zynischen, rüden, launischen und niemals blutleeren Szenarien von Snyder und King. Hier dürfen Vampire endlich mal wieder morden und meucheln, müssen sich nicht durch romantisierende Vorstellungswelten hemmen lassen. Eine Wohltat!
Natürlich wird hier aber auch ein ganz klein wenig Etikettenschwindel betrieben, denn King bleibt nicht über den gesamten Serienverlauf als Autor bzw. Co-Autor aktiv. Dieser Job wird nach dem ersten fünf Ausgaben komplett von Snyder übernommen. Aber als Kaufanreiz für den ersten Sammelband kann man es ja durchaus nutzbar machen. Liebe Marketinggemeinde, niemand wird euch deswegen gram sein. Denn, erfreulicherweise versteht das junge Kaninchen seinen Job ebenso gut wie der alte Hase King. Snyder hat einige gelungene Kurzgeschichten unter dem Namen "Voodoo Heart" veröffentlicht. Zwei dieser Geschichten haben auch vor 3 Jahren ihren Weg auf die Shortlist der wichtigsten us-amerikanischen Anthologie "The Best American Short Stories" gefunden. Zuständiger Gastselekteur war im Jahre 2007 - Stephen King. Man kannte sich also und wertschätzte sich, so entwickelte sich auch ihre Zusammenarbeit. Snyder fragte bei King an, ob er Interesse hat eine Schlüsselszene für seinen Comic zu entwerfen, King war begeistert vom Ansatz des jungen Wilden und im Ergebnis teilte man sich am Ende das Storyboard des ersten Serienzyklus.
Was bleibt ist ein erfrischender grafischer Parforceritt durch ein kreativ fast schon völlig erschlafftes Genre. Vampire wurden in den letzten Monaten in allen Form und Förmchen durchexerziert.
Plötzlich gibt es die romantischen Vampire ohne Kanten und Fehl, die hochsensiblen Blutsauger und vielerlei andere seltsame Nachtschattengewächse, aber leider fast kein verabscheuungswürdiges Monstrum mehr, kein abstossendes Ungetüm, kein lüsterner Unhold. Und daher ist American Vampire ein sehr schönes Antidot zur gegenwärtig vorherrschenden Maximalverkitschung.
Der Clou ist ja die grundlegende Idee des Comics, es kam zu einem evolutionären Sprung, die Vampirfamilien sind gespalten worden in die Zweige der alten und der neuen Welt. Die alten, dekadenten Vampire Europas sind schwach geworden, degeneriert, verhaftet geblieben in Duktus und Habitus der adeligen Schicht.
Der amerikanische Vampir hingegen ist wilder, roher, brutaler, kraftvoller, unempfindsam gegenüber Sonnenlicht und funkelndes Kruzifix. Und natürlich kommt es zu einer Abwehrschlacht zwischen beiden Gattungen und ganz nebenbei wird dann auch noch eine Geschichte Amerikas erzählt, die aufgrund der konsequenten Zeitebenen- und Ortswechsel niemals langweilig wird.
Ich habe in den letzten Monaten selten mit einem solchen Genuss einen Comic verschlungen. Er ist frisch, schlechtgelaunt und gewalttätig, die Bilder eigen. Natürlich ist die Figur des amerikanisierten Vampirs nicht frei von Kontroverse, aber wenn kümmert solch ein Detail, wenn die Plots literarisch sind und die Stimmung einfach grandios ist. Bleibt abzuwarten ob sich der Höhenflug auch in den Folgebänden weiter fortschreibt. Wünschenswert wäre es insbesondere für Snyder, der sonst den Nimbus des Typs, der mal was mit King zusammen machte wohl nie wieder abschütteln kann. Ein Urteil, welches ich sehr bedauern würde.
Käuflich erwerbbar ist der hitzige, grimmige Subtypus hier. Viel Vergnügen.