© Tobis Film GmbH & Co. KG / Dwayne Johnson in “Snitch”
Am Anfang steht der Satz „inspired by true events“. Der geneigte Kinogänger sollte sich hiervon nicht allzu sehr aus der Ruhe bringen lassen, ein ‚inspiriert‘ ist noch kein ‚basiert‘. Die Grenzen mögen wage, aber doch von Grund auf verschieden sein. So orientiert sich „Snitch“ von Ric Roman Waugh an einer Reportage, die in der US-Dokumentationsserie „Frontline“ die Drogenpolitik der USA thematisierte. Diese ermöglicht in speziellen Fällen, inhaftierte Straftäter dazu zu animieren, ihre Komplizen zu verraten, um selbst eine Strafminderung zu erwirken. Es ist eigentlich also nur eine Idee, die der echten Welt entspringt und „Snitch“ zu Grunde liegt. Dennoch weiß Waugh aus dieser Idee einiges heraus zu holen. Respekt sollte man ihm vor allem dafür zollen, dass er Hauptdarsteller Dwayne Johnson nicht als tumben Actionhelden einbettet, sondern ihm ein zurücknehmendes Spiel gewährt, dass aus dem Muskelpaket keine Schwarzenegger oder Stallone Kopie werden lässt.
In „Snitch“ ist Johnson der Vater des achtzehn Jahre alten Jason (Rafi Gavron), der ein Paket Ecstasy-Pillen entgegen nimmt. Er wird erwischt und wandert hinter Gitter. Dort soll er zehn Jahre lang seine Strafe absitzen. Das kann sein Vater nicht mit ansehen. Er geht eine Abmachung mit Staatsanwältin Keeghan (Susan Sarandon) ein: Um seinen Sohn frei zu bekommen, muss der Vater einen Drogenboss ausliefern. Er lässt sich als Kurierfahrer in die Drogenszene einschleusen und ermittelt auf eigene Faust, immer darauf bedacht nicht aufzufliegen und damit die Freiheit seines Sohnes und sein eigenes Leben zu gefährden.
Rafi Gavron in Handschellen
So vorhersehbar die Story klingt, so überraschend ist es, wie Dwayne Johnson in seiner Rolle aufgeht. Im Unterschied zu anderen Muskelpaketen, die oftmals die Fähigkeit missen, ihre Mimik zu kontrollieren, geschieht dies bei dem ehemaligen ‚The Rock‘ von Film zu Film immer mehr. Je nach Genre, ob nun Action oder das Komödienfach, schafft es Johnson weit über eine einfallslose Grimasse oder ein stumpfes Lächeln hinaus. In „Snitch“ wird das deutlich, wenn Filmsohn Rafi Gavron in Handschellen in den Gerichtssaal geführt wird. Dann sieht man Enttäuschung wie auch Sorge, väterliche Angst und Ärger auf das Gesicht von Dwayne Johnson geschrieben. Damit empfiehlt er sich über stereotype Rollen hinaus für das dramatische Fach.
Das Drehbuch, eine Gemeinschaftsarbeit von Waugh und Justin Haythe (Drehbuchautor des Oscar-nominierten „Zeiten des Aufruhrs“), ist schlau genug, sich nicht auf Johnson als Actionheld zu stürzen, sondern ihn langsam aber sicher in die Drogenwelt einzuführen. Dort wird aus der Spannung geschöpft, die die ständige Angst um das Auffliegen seiner Identität mit sich bringt. Darüber hinaus wird Johnsons Charakter nicht eindimensional gezeichnet, kleine Unterhaltungen, Anmerkungen und Beobachtungen machen aus ihm einen gezeichneten Mann. Dass er schon länger von seiner Frau getrennt lebt, verrät eine Unterhaltung am Rande. Ebenso wie ein Gespräch mit Susan Sarandons Staatsanwältin Aufschluss darüber gibt, dass seine Frau und er ‚High School Sweethearts‘ waren, dementsprechend sich eine vermutlich viel zu frühe Liebe, vielleicht sogar eine ungeplante Schwangerschaft mit Zweckhochzeit abgespielt hat. Keine Informationen, die das Drehbuch hinaus posaunt, sondern nuanciert eingestreute Häppchen, an denen sich der Zuschauer erfreuen kann. Die Filmwelt erscheint hierdurch ein wenig realer, ohne dabei aufdringlich zu werden.
Susan Sarandon
Waugh fühlt sich in seine Welt ein. Obgleich er als Ex-Stuntman prädestiniert dafür wäre, ein Action-Vehikel zu erschaffen, bleibt er hiervon unbekümmert, konzentriert sich auf das Erzählen seiner Geschichte, nicht auf überbordende Schlagabtäusche. Schon in seinem 2008er Regiewerk „Felon“ mit Stephen Dorff und Val Kilmer wurde er durch wahre Ereignisse inspiriert, die Kritik am US-Justizsystem ausüben. Ob nun die damalige Tat eines Mannes, der aus Versehen einen Einbrecher tötet und hierfür drei Jahre ins Gefängnis geht, oder aber die Snitch-Systematik, das Ausspitzeln und Ausliefern ‚größerer Fische‘, um sich selbst freizukaufen, Waugh nutzt sein Talent um diese Geschichten per Kinoleinwand einer breiten Masse zur Verfügung zu stellen, ohne sie ins Absurde abdriften zu lassen.
Dazu gehört dann eben auch Dwayne Johnson, der sich als Familienvater in Gefahr begibt, dann aber nicht die üblichen – inzwischen oftmals durch CGI-Effekte unterstützten – Körperschlachten folgen zu lassen, sondern sich zusammen schlagen lässt und auf den Waffen gerichtet werden, die ihn mit ängstlichen Fluchtgedanken versehen. Das macht aus „Snitch“ einen weitestgehend passiv aggressiven Auftritt von Dwayne Johnson, der sich nur für den finalen Showdown doch noch einmal zum klassischen Actionkino verleiten lässt.
“Snitch“
Originaltitel: Snitch
Altersfreigabe: ab 12 Jahren
Produktionsland, Jahr: USA, 2013
Länge: ca. 112 Minuten
Regie: Ric Roman Waugh
Darsteller: Dwayne Johnson, Barry Pepper, Jon Bernthal, Susan Sarandon, Michael Kenneth Williams, Rafi Gavron, Melina Kanakaredes, Benjamin Bratt, Nadine Velazquez, David Harbour, Harold Perrineau
Deutschlandstart: 6. Juni 2013
Im Netz: snitch-derfilm.de