Eine Tour, auf der den Wanderer ein landschaftliches Schauspiel erwartet. Die Kulisse bilden ein monumentaler Berg und mächtige Moschusochsen. Spielt mit.
Der Dovrefjell Nationalpark. Eine weite, karge Gebirgslandschaft. Hügel um Hügel reiht sich hier aneinander. Spärlich bewachsen von erdfarbenen Büschen und Gräsern. Der Park ist Heimat zahlreicher geschützter Tierarten. Der fast ausgerottete Polarfuchs wurde im Dovrefjell erfolgreich wiederangesiedelt. Eine der letzten wildlebenden Rentierherden Europas grast ebenso über die Hochgebirgssteppe, wie Norwegens einzige Population von Moschusochsen.
Ein Berg erhebt sich wie ein Steinmonument aus der Ebene. Die Snøhetta. Im Umkreis von vielen Kilometern ragt hier kein anderer Gipfel so weit gegen den Himmel. Ihre Form ist unverkennbar. Zwei sanft ansteigende Flanken rahmen einen schroffen Gipfelgrat ein. Der Grat verbindet vier Nebengipfel. Zu dessen Füßen liegen in einem Kessel die Reste eines schwindenden Gletschers.
Die Normalanstiege auf den Gipfel führen über die West- und Ostseite des Berges auf den Vesttoppen oder den um 30 Meter höheren Hauptgipfel Stortoppen (2.286 m). Die Snøhetta galt lange als der höchste Berg Norwegens. Heute überragen sie nur noch einige Gipfel im Jotunheimen Nationalpark – ihre fernen Nachbarn sozusagen. Denn die Nationalparks Dovrefjell und Jotunheimen liegen quasi Schulter an Schulter im Norwegischen Hochland.
Durch Moschusochsen-Land
Ausgangspunkt der Wanderung zur Snøhetta ist die Touristenhütte Snøheim im Herzen des Dovrefjell Nationalparks Zum Schutz der Wildtiere wurde die Straße nach Snøheim für den öffentlichen Verkehr gesperrt. Die Bergunterkunft und den Ausgangspunkt auf die Snøhetta erreicht man entweder mit dem Fahrrad, mit einem Shuttlebus oder natürlich zu Fuß.
Wir haben uns den Luxus gegönnt und sind mit dem Bus angereist. Der Transfer startet in Hjerkinn, einem kleinen Ort an der Grenze des Nationalparks. Das Shuttle ist ziemlich überfüllt. Für die nächsten dreißig Minuten sitzen wir auf der Treppe an der Hintertüre. Immerhin können wir von dort aus die vorbeiziehende Landschaft mustern. Gerade als die vielen braunen Hügel vor meinen Augen zu verschwimmen beginnen, drosselt der Fahrer die Geschwindigkeit so stark, dass wir beinahe stehen. Im Bus herrscht plötzlich Aufregung.
Stimmengewirr aus Norwegisch, Holländisch, Englisch und Deutsch. Ich bin verwirrt. Alle blicken auf der gegenüberliegenden Fensterseite aus dem Bus. Ich springe auf und sehe – drei Moschusochsen. Sie grasen direkt neben der Straße. Zwei ausgewachsene Tiere und ein Junges, wenige Wochen alt. Ihr langes Fell streift am kargen Boden. Ton in Ton verschmelzen sie fast mit dem Untergrund. Die Tiere kommen mir klein vor. Ich habe mir Moschusochsen immer riesig vorgestellt. Mammuthaft. Tatsächlich erreichen sie eine Schulterhöhe von 1,20 Metern.
Der Busfahrer gibt wieder Gas. Wenig später drängt die Menge in Snøheim durch die Flügeltüren des Busses ins Freie.
Bergtour von Snøheim auf die Snøhetta
Die Bergunterkunft liegt an einem kleinen See. Die Snøhetta sozusagen in ihrem Vorgarten. Orientieren müssen wir uns nicht. Der Weg zum Gipfel ist klar, der Berg schon von Weitem zu sehen. Über dem Gipfel streift Nebel. Wir wollen über die rechte Seite auf den Stortoppen aufsteigen.
Wir umrunden den See und wandern zunächst in flachem Gelände bis an den Fuß des Berges. Eine technische Herausforderung würde die Bergtour auf die Snøhetta nicht werden, das wussten wir. Nach einer Dreiviertelstunde beginnt der Weg anzusteigen. Er ist gut mit den in Norwegen üblichen roten „Ts“ markiert und weil es hier oft sehr nebelig ist, stecken immer wieder hohe Eisenstangen zwischen den vielen Felsbrocken. Als Hilfe, wenn einem der Nebel den Orientierungssinn raubt.
Bis zum Hauptgipfel zieht sich der Weg nun stetig steil und gleich dahin. Mal über große Felsblöcke, mal über glatt geschliffene Platten. Es ist angenehm zu gehen. Zu unserer Linken liegt ein glasklarer See. Der Gletscher über ihm speist ihn mit Wasser.
Dann verschlingt uns der Nebel. Er ist so dicht, dass ihn kein Blick zu durchdringen vermag. Wassertropfen kondensieren auf meiner Haut. Die Feuchtigkeit in der Luft tut meiner Lunge wohl. Mit jedem Schritt, den wir dem Gipfel näher kommen, wächst die Kraft des Windes. Unbarmherzig fegt er über die Ostschulter der Snøhetta hinweg und treibt immer mehr Nebel aus dem Gletscherkessel hoch.
Plötzlich haben wir Schnee unter unseren Füßen und einen riesigen Turm vor Augen. Richtig, der Name Snøhetta – Schneehaube – kommt nicht von ungefähr. Nach einer Stunde und 45 Minuten haben wir die 800 Höhenmeter überwunden und stehen am Gipfel. Ein kräftiger Windstoß vertreibt die letzten Nebelfetzen. Ungetrübte Sicht in alle Himmelsrichtungen. Ich kann unser Glück kauf fassen.
Der Turm stellt sich als Radiosendestation heraus. Sie und ein daneben liegender Helikopterlandeplatz trüben die sonst vollkommene Ästhetik des Snøhetta-Hauptgipfels. Das Gebiet rund um die Snøhetta wurde früher militärisch genutzt. Die Reste davon hinterlassen schmerzhafte Wunden in der perfekten Landschaft.
Ich lasse meinen Blick in die Ferne schweifen. Die Wolken hängen tief. Kilometerweit kann ich die Hügellandschaft überblicken. In den Senken zwischen den Erhebungen liegen Seen. Mal dunkelblau, mal tiefgrün. Trotz Sonnenschein hat es winterliche Temperaturen. Und trotz der Kälte, drehe ich mich weiter im Kreis. Kein Fleckchen Landschaft des 360°-Panoramas soll sich meinen Augen entziehen. Das passiert auch nicht. Der Gipfel der Snøhetta erhebt sich so prominent, dass kein anderer Berg die Sicht versperrt. Nur in weiter Ferne glänzen die Gletscher des Jotunheimen-Gebirges – sie halten das Auge davor ab, sich im Horizont zu verlieren.
Stortoppen, Midttoppen, Hettpiggen, Vesttoppen – die Gratbrüder
Wir wandern weiter zum Midttoppen. Der Grat ist schneefrei. Kurz klettern wir an ihm ab und an der Gegenseite wieder hoch. Das Gletscherkar liegt jetzt tief unter uns.
Der Gletscher hat über Jahrtausende penibel Arbeit geleistet. Tief hat er sich durch den Fels gefressen und eine messerscharfe Kante hinterlassen. Schwindelerregend hoch fällt der Abgrund direkt neben meinen Füßen ab.
Der Midttoppen ist zwar der niedrigere, aber der schönere der zwei Ostgipfel. Wie in einem Amphitheater liegen der Gletscher und der See unter dem Grat. Wir sind hier nur Artisten. Für das Schauspiel sorgt die Natur. Ohne Worte, dafür mit geballter Ausstrahlung.
Am Midttoppen ist Schluss. Zumindest, wenn man keine Kletterausrüstung dabei hat. Der Grat verschärft sich am Übergang zum Hettpiggen zusehends. Steil fällt er vom Midttoppen ab und steigt noch steiler zum Hettpiggen wieder an. Die Traverse über alle vier Gipfel gilt in Norwegen als Klassiker. Die Tour liegt zwar nur im vierten Schwierigkeitsgrad, setzt aber auf jeden Fall stabiles Wetter voraus.
Es wird immer kälter. Wir klettern zurück auf den Stortoppen und beginnen mit dem Abstieg nach Snøheim. Völlig geflashed von diesem Berg drehe ich mich noch oft um. Das Profil der Snøhetta brennt sich in meine Retina ein. Zack, zack, zack.
Tourdaten
- Höhenmeter: 860 Höhenmeter
- Länge: 14 Kilometer
- Dauer: Aufstieg zwei bis drei Stunden
Tipps
Wenn ihr mit dem Bus unterwegs seid, könnt ihr am Parkplatz des Snøhetta -Viewpoints parken und dort übernachten. Es sind sogar Toiletten vorhanden.
Wer Räder dabei hat, sollte den Weg nach Snøheim unbedingt damit zurücklegen. Die Chancen stehen gut, auf der Strecke Moschusochsen und andere Wildtiere zu sichten.