Autodesigner sprechen heute gerne von Ikonen. Sie meinen wiedererkennbare Details, Formen mit Symbolwirkung. Im Grunde ist eine Ikone ja ein Bild, das Bewunderung oder Anbetung hervorruft oder hervorrufen soll. Man kann also ein ganzes Produkt als Ikone bezeichnen, um auszudrücken, dass es enorm hohes Ansehen genießt, und genau so hat man diesen Begriff auch viele Jahre lang genutzt.
Der SL steht flach und kompakt auf dem Grund, die lange Motorhaube schiebt sich nach vorne wie eine geschmeidige Ramme, die winzige, abgerundete Kabine sitzt so weit hinten auf dem Körper, dass man das Gefühl hat, Fahrer und Beifahrer würden gerade noch irgendwie hinterher gezerrt, wenn der offensichtlich riesige Motor loslegt.
Ein sensationell rundes Heck fließt aus leicht geschwungenen Kotflügeln, lang genug, um dem Wagen auch in der Ansicht von hinten optischen Schub zu geben. Darauf liegt wie ein Juwel, von nichts in seiner Strahlkraft beeinträchtigt, ein schöner, großer Mercedes-Stern.
Ein einmaliges, unverwechselbares Detail sind die dreidimensional ausgeformten Speed-Lines, die die Kreisbögen der Radausschnitte oben überdecken, Blech gewordene Comic-Elemente, die nichts anderes tun als Geschwindigkeit zu symbolisieren.
Keine Frage: Dieses Auto ist eine Ikone, verstehbar und wirkungsvoll über seine Entstehungszeit hinaus.
Die Neuauflage von ikonisch gewordenen Produkten hat in der Autoindustrie mittlerweile auch schon eine eigene Tradition. Mit dem New Beetle versuchte VW, nicht nur die Formensprache sondern auch die Atmosphäre des guten alten "Käfers" auf ein modernes Auto zu übertragen – wohl wissend, dass die Zielgruppe anders, und viel kleiner, sein würde als die des ursprünglichen Volkswagens. BMW hat mit dem Mini eine weitere Ikone neu auf die Straße gebracht – mit so großem Erfolg, dass der Epigone das Vorbild aus dem kollektiven Bewusstsein beinahe verdrängt hat und inzwischen wohl ein großer Prozentsatz der Mini-Käufer das Original gar nicht mehr kennt.
Ist er vielleicht wieder ein provozierendes Spielzeug für eine wohlhabende Minderheit? Auch das nicht, denn dazu nimmt er sich viel zu ernst. Bei allem Machismo war der alte 300 SL ja auch lieb: Die großen Rundscheinwerfer gaben ihm einen freundlichen Blick, seine Sexiness war eher pummelig als sehnig-straff und sein Interior hatte, in der Basisausstattung, etwas Picknickkörbchen-haftes, das heute ein gerührtes Lächeln hervorruft. Nichts davon im SLS: Hier sieht man einen reiferen Herrn vor sich, der etwas geschafft hat und der sich nun mit diesem Auto zu belohnen versucht, ohne dass er die Lockerheit und den Humor aufbringt, sein Leistungsdenken hinter sich zu lassen. Eine gewisse Verkrampftheit liegt da in der Luft, eher ein "müssen" als ein "dürfen". In diesem Lichte sollte der SLS eigentlich eine Verfeinerung, eine Perfektion mitbringen, die dem – durch den Gesamtauftritt des Wagens deutlich gesetzten – hohen Anspruch gerecht wird. Doch im Detail löst er (wir sprechen hier ausschließlich von Design, nicht von Technik) dieses Versprechen nicht ein.
Die, grafisch interessant und intelligent aus dem Körper geschnittenen, Scheinwerfer haben überraschenderweise im Detail etwas Halbzeughaftes, Studien in den 90er Jahren hatten solche Lampen. Die Außenspiegel mit dem Gehäuse aus Kohlefaserverbund wirken merkwürdig fremd auf dem Wagen – ohne sich von der Gesamtform so weit zu entfernen, dass man sie übersehen könnte. Auch über die Bügelfalte am Heck ließe sich diskutieren.
Ernsthafte Fragen löst ein Blick ins Interieur aus: Wurde hier, unter dem Vorwand des Rückbezuges auf ein historisches Original, am Ende schlicht und einfach gespart? Leder, CFK, poliertes Metall – das edle Material wird ohne große Idee oder sichtbares Konzept in eine Form gebracht, die für diese Klasse ein wenig dürftig wirkt. Man kann hier einen Willen zur Einfachheit vermuten, der sich nicht ganz durchsetzt, oder einen Mangel an Ideen und Zeit, oder vielleicht eine gewisse Arroganz, weil man sich so sicher ist, mit dem Exterior einen Volltreffer gelandet zu haben.
Diese etwas unfertig wirkenden Details stellen, je intensiver man sich mit dem Auto beschäftigt desto mehr, die ganze Idee des Redesign eines Klassikers in Frage. Es gibt Supercars mit atemberaubenden Interieurs und mit Karosserien, die für Science-Fiction Filme taugen. Sie beziehen sich auf nichts als auf die Möglichkeiten und Wünsche von heute. Genau so ein Auto war der 300 SL in seiner Zeit...
Und wenn wir uns schon vor Vergangenem verneigen: Warum werden die wirklich witzigen Details nicht zitiert? Speedlines über den Radausschnitten – das wäre doch mal wieder was.