Slapstick in der Karaoke Street, in der Karaoke

Was für uns unwissende Barangs das gelegentliche Blutdruckmessen ist, ist für Khmer der regelmäßige Karma-Test, also die Frage: „Wie belastbar ist mein Buddha?". Bei westlichen Teilzeit-Christen heißt die entsprechende Frage: „Wie schnell kann mein Schutzengel fliegen?". Näheres hierzu im Teil 5 „Rückfahrt von der Karaoke".

Zum Karma-Test kann aber bereits der Besuch der Karaoke geraten mit der Frage: „Bis zum wievielten Stout-Bier spielt mein Buddha mit?" Der hat zwar von Alkohol abgeraten, aber man kann's ja mal probieren. Buddha ist da immer flexibel.

Gradmesser für den Karma-Test ist die Anzahl der geleerten Stout-Bier-Dosen. Ein europäischer Diplom-Alkoholiker würde seine leeren Dosen umgehend diskret von seinem Tisch verschwinden lassen. In der Khmer-Karaoke bleiben sie jedoch so lange stehen, bis der Tisch voll ist - oder der Konsument: Erstens als Statussymbol, frei nach dem Motto „seht alle her, wie viele von den teuren Dosen ich mir leisten kann - und wie viel ich vertrage!", zweitens zum Zählen für die Bedienung, drittens für Buddha (zum Mitzählen bis zum Nichtbestehen des Karma-Tests).

Der Kollaps kommt manchmal bereits in der Karaoke, danach eher bei der Heimfahrt auf dem Moped - spätestens aber zu Hause, wenn die Ehefrau zuschlägt. Immerhin hat der Gatte wieder mal sein Taschengeld versoffen. In Kambodscha verwaltet die Frau das Geld - oder sie glaubt es zumindest.

Der einfachere Khmer ist allenfalls Riel-Millionär, kann sich das teure Stout-Bier in Dosen nicht leisten. Also trinkt er Fassbier.
Dieses kommt in Jugs (Krügen zu 1,4 l) daher. Der deutsche Journalist Ludger Wimberg hat den (Raum)-Inhalt von Jugs vor Zeugen empirisch nachgewiesen.

Jugs auf den Tischen sind das Markenzeichen der Proletarier. Deshalb bestelle ich immer nur Jugs - aus Solidität (oder wie heißt das Wort noch mal?).

In die Gläser kommen Eiswürfel, mit denen sich das Bier unendlich strecken lässt. Verwässern! In Bayern käme jeder Wirt für solchen Frevel sofort ins Gefängnis und wäre für immer geächtet.

Dabei ist Bier in der Karaoke recht preiswert (8.000 bis 10.000 Riel pro Jug = 2 bis 2,50 US $), bei hohem Unterhaltungswert. Dieser besteht aus Musik, Gesang (oder gesangsähnlichen Tönen) und gelegentlichem Khmer-Tanz. Hinzu kommt eine recht interaktive Kommunikation mit den jungen Beer Ladys (die ständig nachschenken, weil sie am Umsatz beteiligt sind) - und auch die Besucher verhalten sich uns unzivilisierten Europäern gegenüber sehr freundlich und respektvoll. Karaoke ist für sie eine Form von Kultur - und sie freuen sich, wenn mal ein Barang zu ihnen kommt. Oder mehrere, wie ich das gelegentlich für Leute mit starken Nerven veranstalte.

Sie prosten uns zu, verbeugen sich und lächeln dabei. Kürzlich ist ihnen ein Meisterstück gelungen - bei Manni aus Bottrop. Der ist ein anerkannter 24-Stunden-Miesepeter. Seine Mundwinkel zeigen permanent nach Süden. Binnen 4 Minuten haben es die Khmer-Jungs (und Mädels) geschafft, Manni's Mundwinkel um 180 Grad nach oben zu ziehen. Er hat gelächelt, nach Mitternacht sogar gelacht! In einem deutschen Lokal wäre ihm das nicht passiert.

Jetzt geht's los!

‚Laut' ist kein ausreichendes Adjektiv für die Musik - und auch ‚Musik' ist nicht das richtige Wort für das, was wir da gerade hören. Ein Amerikaner würde sofort an eine Schadensersatzklage in Millionenhöhe denken. In den USA bekäme er das Geld wegen physischer und psychischer Schäden problemlos zugesprochen.

Für uns bedeutet das: Hier sind wir richtig! Das ist so verrückt, dass es schon wieder Spaß macht. Vorausgesetzt, unsere Mindestentfernung von den Lautsprechern beträgt 5 Meter.

Besucher/innen aus Europa empfehle ich Ohropax, das nach dem vierten Jug entbehrlich wird. Bei Alkoholunverträglichkeit tut's auch Valium. Letzteres hilft auch, die eigene Geschwindigkeit beim Tanzen auf Khmer-Niveau zu reduzieren. Der Khmer-Kreistanz, bei dem mehr mit den Händen als mit den Füßen getanzt wird, folgt nämlich der Geschwindigkeit der Kontinentaldrift.

Auf dem Bildschirm fließen Tränen, wie immer. Es wir viel geheult. Am Mikrofon heult ein junger Khmer den Text mit - rührend! Manchmal klingt es, als würde man eine Katze würgen - einfach nett. Die Story auf dem Fernseher ist kurz, aber herz zerreißend, wie immer. Auf dem Boden unter dem Bildschirm suche ich unwillkürlich die Pfütze aus Tränen und unter den Lautsprechern das herausgeflossene Schmalz. Wer soll das alles aufwischen?

Immerhin: In seinem 3-Minuten-Song habe ich 2 korrekt gesungene Akkorde herausgehört. Das ist ein ordentlicher Wert. Es gibt Fälle, wo im Gesang des Täters keinerlei Übereinstimmungen mit dem Bildschirm-Song zu hören sind. Meist nach Mitternacht.

Die mathematisch/wissenschaftliche Formel zum Karaokegesang in Kambodscha lautet demnach:

Die Anzahl der korrekt gesungenen Akkorde steht in umgekehrt reziprokem Verhältnis zur Promillezahl. Für Fachleute: (Anzahl korrekter Akkorde = a), demnach a ~ 1/C2H5 OH/1000. Die Promillezahl hingegen steigt linear mit der Uhrzeit. Für Nicht-Mathematiker: je später desto voller.

Jetzt geht das Mikrofon an eine junge Khmer-Lady (=Oun). Sie singt wie eine Nachtigall. Es ist erst 22 Uhr und sie ist nüchtern, womit sie meine oben genannten Formeln bestätigt: Sie trifft jeden Ton ganz genau - singt null falsche Akkorde. Die einzigen Tonfehler kommen von der Original-CD!

Fortsetzung folgt ... ‚Die Karaoke-Lady' oder ‚Der Bär darf erst nach Feierabend steppen'.


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