Skulptur, Tier oder Mensch

Michaela Preiner

  „Kreatur“ von Sasha Waltz und Guests. (Foto: Sebastian Bolesch) 11. Dezember 2018 Tanz In ihrer neuen Show „Kreatur“ lässt Sasha Waltz & Guests ihre Truppe höchst unbestimmt zwischen verschiedenen Wesenszuständen wechseln. Die klare Aussage, die sich am Ende des Stückes ergibt, ist so überdeutlich angelegt, dass sie keinen Interpretationsspielraum zulässt. Das ist ziemlich ungewöhnlich für zeitgenössisches Tanztheater.

Sasha Waltz hat einen Hang zu den bildenden Künsten. Im Besonderen zur Bildhauerei. Am deutlichsten wurde dies ganz offenkundig in ihrer Kooperation mit dem ZKM.

Für ihre neueste Arbeit kooperierte sie mit Iris van Herpen, die Bühnenoutfits kreierte, die einerseits die Tänzerinnen und Tänzer skulptural aussehen und auch bewegen lassen. Andererseits ist es möglich, diese Gebilde, wenn sie am Boden liegen, tatsächlich auch als reine Skulpturen anzusehen.

Die erste Hälfte der Show beschäftigt sich zum größten Teil auch mit dem Phänomen Skulptur. Dies ist jener Part, der spannend ist, vieles zeigt, was als ungewöhnliches Augenfutter wahrgenommen werden kann und den Tanz aus seiner determinierten Rolle, jener der ununterbrochenen Bewegung, befreit. Doch bleibt es leider nicht bei dieser Betrachtungsweise, die für einen guten Abend schon genügt hätte. Und so wartet die Inszenierung mit zwei Wermutstropfen auf:

Einer ist, dass sich peu à peu alle Tanzenden in Menschen verwandeln, die rein triebgesteuert sind und den geschlechtlichen Akt als einen unterdrückenden, machtdeterminierten benutzen. Ein anderer, dass Waltz ganz offensichtlich ihre Choreografie mit zu viel Inhalt versehen wollte, was die Anfangsszenen zum Teil sogar konterkariert.

Skulptur, Tier oder Mensch „Kreatur“ von Sasha Waltz und Guests. (Foto: Sebastian Bolesch) Skulptur, Tier oder Mensch Sasha Waltz (Foto: André Rival) Menschenansammlungen, die im stop-and-go-Modus zwischen Vorwärtsdrang und Innehalten agieren, erzählen eine Zeitlang noch von einem funktionierenden, sozialen System. Je länger jedoch getanzt wird, umso negativer fällt der Blick auf die Menschheit aus. Zwar entwickelt sich das Individuum, aber auch die Masse bei Waltz zwar in kleinen Schritten weiter – zu einer Gesellschaft, die imstande ist, sich gegen eine „böse, schwarze Macht“ aufzulehnen. Letztlich verfällt sie jedoch in Rohheit und Gewalt, aus der es keinen Ausweg zu geben scheint.

 Davor – und das sind die interessanten Teile der Choreografie – probiert Waltz aus, welche Möglichkeiten ein Körper hat, als Skulptur aufgefasst zu werden und wann diese Möglichkeiten ihre Grenzen erreichen. Die Arbeit mit verspiegelten Folien, die bei Beleuchtung das Verdeckte durchscheinen lassen, ist mehr als nur optischer Bühnenzauber. Dabei werden Sehgewohnheiten auf den Kopf gestellt und die Körper derart fragmentiert gezeigt, dass sie zugleich auch entpersonalisiert erscheinen. Zu diesen Szenen gehört auch eine, in welcher sich das Ensemble auf einer kleinen Treppe drängeln muss und zum Teil Gefahr läuft, von einem hohen Podest abzustürzen.

 Wie schon in anderen Arbeiten, setzt die Choreografin jene Ensemblemitglieder, die durch körperliche Merkmale besonders auffallen, gekonnt in Szene. Corey Scott Gilbert, der hünenhaft selbst die Größten seiner Kolleginnen und Kollegen um einen Kopf überragt, muss dabei extrem dosiert eingesetzt werden, was Waltz auch gut gelingt. Denn sobald er in der ersten Reihe bei einer Gruppenchoreografie auftritt, stellt er alle anderen aufgrund seiner Größe in den Schatten.

Clémentine Deluy wiederum, die größte und muskulöseste aller Frauen, erhält die Rolle des Bösewichtes. Nicht nur, dass sie eine Kontrahentin demütigt und diese als gesellschaftliche Außenseiterin stigmatisiert. Sie ist es auch, die in ein schwarzes Ganzkörperkostüm gesteckt wird, das vom Kopf bis zur Taille mit riesigen Stacheln besetzt ist. Damit drangsaliert und bedroht sie alle derart, dass es schließlich zur Rebellion gegen sie kommt. Es sind Momente wie diese, die den Eindruck von krampfhaften Bildmetaphern hinterlassen, die jedoch gerade wegen ihrer Offensichtlichkeit eher platt wirken. Das tun auch jene Kopulationsszenen, die gleichzeitig durch ein langes Vierkantbrett bereichert und mit dem französischen Gassenhauer „Je t´aime“ von Serge Gainsbourg und Jane Birkin unterlegt werden.

Skulptur, Tier oder Mensch „Kreatur“ von Sasha Waltz und Guests. (Foto: Sebastian Bolesch) Skulptur, Tier oder Mensch „Kreatur“ von Sasha Waltz und Guests. (Foto: Sebastian Bolesch) Skulptur, Tier oder Mensch „Kreatur“ von Sasha Waltz und Guests. (Foto: Luna Zscharnt) Positiv fallen das klare, reduzierte, aber gut durchdachte Lichtdesign (Urs Schönebaum), sowie der Sound (Soundwalk Collective) auf. Zum Teil betont dieser stark den Rhythmus, er ist aber dennoch elektronisch so unbestimmt gehalten, dass er wenig Assoziationen zulässt.

So spannend sich ‚Kreatur‘ zu Beginn entwickelte, so platt glitt es in einen zweiten Teil über, der sogar das vergessen liess, was in der Produktion wirklich vom Feinsten war: Bewegungselemente, die in einer großen Quantität aber auch einer unglaublichen Qualität zu sehen sind. Schade darum.

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