WEIMAR. (fgw) “Im bleichen Licht des Vollmonds lag das langgestreckte Felsmassiv von El Torcal vor Dolores. Plötzlich ein Schatten, eine Bewegung am Rande des Lichtkegels der Scheinwerfer, ein Schlag, der Dolores in die Gurte schleuderte – sie hatte einen Menschen angefahren! Entsetzt stieg sie aus und sah nach. Ein schwarz gekleideter Mann lag leise stöhnend am Straßenrand. Während Dolores nach ihrem Handy kramte, stürzte eine nackte, athletische junge Frau aus dem Dunkel, die Hände mit einer Kette vor dem Bauch gefesselt und mit einer Eisenkugel, die sie jetzt mehrmals auf den Kopf des Mannes sausen ließ, während sie immer wieder »Es war die dritte Jagd!« schrie – bis er vollkommen leblos war.”
Diese unwahrscheinliche klingenden Momente erlebt Dolores auf der Fahrt in ein Provinznest, wo Jorge, ein drittklassiger Schauspieler gerade ein Engagement an einer kleinen Bühne bekommen hat. Dolores, Mitte 20, ist eine schlechtbezahlte kleine Büroangestellte, die sich in jeder Hinsicht unterfordert fühlt. Mit Jorge führt sie eine Beziehung-Nichtbeziehung. Sie sucht Liebe, er nimmt sich Sex. Und nun dieses aufwühlende, unwirkliche Erlebnis.
Dolores bekommt es nach dem Unfall, dem Totschlag mit der Angst zu tun, ist sie ja Täterin, Zeugin und Fahrerflüchtige zugleich. Doch in keinem Polizeibericht, in keinem Medium taucht dieser Vorfall auf.
Der Autor schreibt in seinem Buch etwas sehr klares, was in diesem Genre wohl eher selten zu Papier gebracht wird:
“Sklavenjagd – so heißt das Gesellschaftsspiel, das sich die gelangweilte Schickeria der Superreichen an der Costa del Sol einfallen ließ, jene High Society, die schon alles hat und immer nach einem weiteren Kick sucht. Übersteht die Sklavin, das »Wild«, eine Nacht nahe den Wildwest-Kulissenstädten der Felsenberge im Hinterland, ohne gefangen zu werden, bekommt sie 100.000 Euro. Andernfalls muß sie 24 Stunden lang ihrem »Jäger« zu Willen sein. Bei der zweiten Jagd winkt eine Million Euro – oder eine Woche Sklaverei. Bei der dritten Jagd geht es um alles oder nichts: Zehn Millionen – oder lebenslange Knechtschaft. – Niemals würde ich mich freiwillig zu so einer Jagd melden, dachte sich Dolores entrüstet, als ihr Wochen nach dem Vorfall in der Nacht diskret ein solches Angebot gemacht wurde. Keinen Monat später meldete sie sich freiwillig zu ihrer ersten Jagd…”
Dolores muß lange mit sich ringen, ehe sie sich auf dieses Spiel einläßt. Doch Einladungen zu Parties eben jener Schickeria und das lockende Geld und vor allem der Frust über die Beziehung zu Jorge veranlassen sie zu diesem Schritt.
Die erste Jagd verläuft anders als von den Organisatoren geplant, und das bleibt ihnen auch unbekannt. Denn Dolores und ihr Jäger retten sich gegenseitig das Leben. Damit aber hat sie verloren. Nur scheinbar, denn beide schließen so etwas wie einen Beistandspakt. Wie sich herausstellt, hat der Jäger seine Beute an einen anderen Mann abgetreten. In dessen Gewalt erlebt Dolores wider Willen in der einen Nacht, was gute Sexualität sein kann.
Es vergeht wieder einige Zeit, da meldet sich der Organisator dieser Jagden bei ihr, beginnt, ihr den Hof zu machen. Er bekundet sein deutliches Interesse an Dolores. Sie fühlt sich geschmeichelt von den Avancen des äußerst charmant auftretenden nicht jungen Mannes, dessen Vater einer der reichsten Milliardäre ist.
Doch was sie nicht mal ahnt: Dieser “Jäger” spielt grundsätzlich mit falschen Karten. Mittels eines Senders in einem geschenkten kleinen Schmuckstück weiß er jederzeit, wo sie sich gerade befindet. Dolores hat also nicht die geringste Chance. In der dann folgenden Woche als Sklavin dieses Mannes und seiner Ehefrau durchleidet sie ein wahres Martyrium. Nicht nur körperlich. Sie bekommt zu spüren, was es heißt, der Menschenwürde beraubt zu werden. In ihr keimt Haß auf. Und zugleich der Wunsch, sich zu rächen und auch all die anderen Frauen, die bereits das Opfer dieser dekadenten Jagdgesellschaft geworden sind.
Aber wie das bewerkstelligen? Ihr kommt zugute, daß der “Jäger” sie ganz haben will und vor allem ihre Menschenwürde endgültig brechen. Dafür bedarf es der berühmten dritten Jagd.
Und wieder geschieht etwas unvorhergesehenes. Durch ein kleines Mißgeschick geht der geschenkte Ohrring kaputt und Dolores entdeckt den darin verborgenen Minisender. Sie erkennt den Betrug, diesen Betrug aus Prinzip. Ihre Rachgedanken nehmen nun konkrete Form an. Daher läßt sie sich auf ein neues Abenteuer mit diesem “Jäger” ein. Sie bereitet diese “letzte Jagd” aber ihrerseits gut vor, damit sie nicht wieder auf unfaire Weise gefunden werden kann. Jetzt aber will sie den Spieß umkehren und den menschenverachtenden Sadisten in ihre Gewalt bekommen.
Es beginnt die dritte Jagd. Doch Dolores hat nicht mit der Perfidie ihres “Jägers” gerechnet. Auch wenn sie den geschenkten Schmuck wie gewohnt trägt, hat er noch eine zusätzliche Ortungsmaßnahme ergriffen. Zunächst läßt er Dolores glauben, sie hätte diesmal eine Chance. Und erst als sie meint, sie habe endlich Oberhand gewonnen, da schlägt er zu. Dolores ist wie erschlagen…
Wie das Abenteuer weitergeht und wie es endet, das soll hier aber nicht erzählt werden.
Warum gerade die Rezension eines solchen Buches, das zwar wirklich gut und überaus spannend geschrieben ist? Gut-Menschen, moralinsaure Kleingeister verdammen doch solche Sexualpraktiken als pervers, frauenverachtend etc. Nun, wohl wenigstens zehn Prozent der Menschen in unserem Kulturkreis praktzieren mehr oder minder intensiv dominant-devote und/oder sado-masochistische Sexualpraktiken. Und so lange diese im Rahmen einer wirklichen Liebesbeziehung zum beiderseitigen Lustgewinn stattfinden, sind sie auch normal.
Unnormal, pervers und menschenverachtend sind sie jedoch, wenn so etwas aus Motiven heraus geschieht, wie von Seiten des exklusiven Jägerkreises.
Auch wenn manche Schilderungen des Martyriums in der Sklavenschaft hart an die Grenze des Ertragbaren gehen, so sollte man sie doch lesen. Sind sie doch nicht Ausgeburt der kranken Phantasie eines Schriftstellers; so oder ähnlich finden menschenverachtende Orgien doch tatsächlich statt (und nicht nur früher im antiken Rom mit seinen Belustigungen im Colosseum). Und ein “oberes Zehntausend”, wie das hier geschilderte, findet auch nichts daran, wenn für ihren Profit Widerstand seitens “der da unten” mit schlimmster Folter verfolgt wird.
Man erinnere sich hier an sexuelle Folterungen von Frauen und Männern während lateinamerikanischer Militärdiktaturen, in geheimen und nicht geheimen Gefängnissen nach der Besetzung des Irak oder an die Untaten der französischen Kolonialherren während des algerischen Befreiungskampfes…
Insofern stellt dieses Buch auch und nicht zuletzt eine durchaus gelungene Gesellschaftskritik dar, verlieren hier doch höchste Kreise der sogenannten guten Gesellschaft ihren Nimbus als edle, wohltätige Leistungsträger. Und es wird sichtbar, daß die sogenannten “Reichen und Schönen” der oberen Zehntausend in einer modernen Zivilisation eigentlich überflüssig sind, denn ihr Leben ist nur noch Müßiggang, ist nur noch Jagd nach immer größerem Nervenkitzel auf Kosten anderer Menschen. Überflüssig auch deshalb, weil sie in Wirtschaft und Staat auch keine konstruktive Funktion mehr ausüben…
Der Autor, Tomás de Torres, wurde 1959 in Madrid geboren, als Sohn eines Spaniers und einer Deutschen. Aufgewachsen ist er in Deutschland, wo er auch studiert und jahrzehntelang gewohnt und gearbeitet hat. Heute lebt Tomás de Torres die meiste Zeit des Jahres zurückgezogen in Südspanien.
Tomás de Torres: Sklavenjagd. SM-Thriller. 236 S. Paperback. Marterpfahl-Verlag. Nehren 2010. 19,00 Euro. ISBN 978-3-936708-75-2
[Erstveröffentlichung: Freigeist Weimar]