Wie oft kommt es vor, dass eine junge, talentierte Band mit ihrem Debüt in ungeahnte Höhen, untermalt von Chören des Lobgesanges der Kritik, hinaufschießt – um dann mit der zweiten Platte weit hinter den Erwartungen zurückzubleiben.
Sizarr umgehen dieses Problem. Sie nehmen schlicht und einfach einen zweiten, erneut großartigen Longplayer auf. Das Trio aus Landau in der Pfalz steht seit 2009 gemeinsam auf der Bühne. 2012 erschien das erste Album, Psycho Boy Happy, das in Kritikerkreisen durchwegs lobend als hipper Verschnitt von Animal Collective gefeiert wurde. Landeier sind die drei Jungs längst keine mehr: nicht nur am Melt Festival haben sie die Bühnen für die Hauptacts wieVampire Weekend angeheizt. Nichtsdestotrotz bleibt die Band skeptisch ob der Massenwirkung, die ein solches Vorprogramm im Rahmen eines Festivals bietet. Viel eher definieren Fabian Altstötter, Philipp Hülsenbeck und Marc Übel das Musikbusiness als eine rotzige Herausforderung, der es zu trotzen gilt.
Wunderbar verkopft trotz der an Lebensjahren noch recht jungen Band präsentiert sich nun auch dementsprechend der zweite Longplayer, ohne dabei aber im totalen, brachial ausgedrückt, brainfuck zu enden.
War das Debüt noch mehr in elektronisierte Hymnen gebettet, kehren Sizarr auf Nurture zu konventionellen Gerätschaften zurück. Reminiszenzen an die 80er Jahre sind klar vorhanden, ein bisschen Synthiepop blinzelt hie- und da zwischen den Reihen hervor. Immer im Mittelpunkt jedoch steht die herausragende, melancholisch und oft verzerrt-hoch hüpfende Stimme des Sängers Fabian. Sie trägt die Melodien und gibt den Stücken den Feinschliff, den sie brauchen. Clam stellt einen wunderbaren Opener – leise Drums, eine klirrende Gitarre: „you should know your way round here right now“.
Mit I may have lied to you wird ganz klassisch – diesmal im Popwave-Modus – die Beziehungskiste bzw. deren Fehler besungen, aber das auf eine subtile Art und Weise, dass man sich wirklich noch einmal über das Alter des jungen Sängers wundern muss. Woher diese beinahe schon altkluge Weisheit? Wo sammelt man so früh solche mitreißenden Erfahrungen? Am Land, so erklären Sizarr, hat man die persönliche Entwicklung eigentlich vorweggenommen. Mittlerweile leben die drei jungen Herren der Liebe wegen quer über Deutschland verstreut, alle aber in großen Städten. Ihre Wurzeln haben sie wie gesagt jedoch nicht im urbanen Raum entwickelt, sondern da, wo die Eindrücke und Impressionen noch Zeit haben, zu sacken und man keinerlei oder zumindest weniger Ablenkungen ausgesetzt ist als im rasenden Herzen einer Großstadt wie Berlin. Dort also kommt die Kunstfertigkeit her: aus der Ruhe.
/// NURTURE /// OUT NOW & IN STORES TODAY !!! pic.twitter.com/cEPrXRGpL8
— Sizarr Official (@Sizarr) 27. Februar 2015
Demnach ist auch Nurture ein dunkler, beinahe düsterer Reigen geworden, der nur so strotzt vor intelligenten Texten. Es wird sogar der Versuch gewagt, an die wohl bekannte Reihe der ins Englische übertragenden Schlagworte wie „angst“ oder „zeitgeist“ noch „einsamkeit“ bzw. „zweisamkeit“ hinzuzufügen (Baggage Man). Dies mag beim ersten Mal hinhören überzogen klingen, fügt sich aber, hat man erst einmal das ganze Album erfasst, in den Kosmos Sizarr. Übertrieben klingt da nach ein- zweimal Hören gar nichts mehr. Eine Schwere hüllt diese zehn Stücke ein, die nur ab und an gebrochen wird, so zum Beispiel in Timesick, der aktuellen Single. Unterm Strich: Eine Band, an der es 2015 kein Vorbeikommen gibt.
Sizarr – Nuture, Four Music / Sony Music, www.sizarr.com