"Nichts verbindet diese Nation so sehr wie die Abneigung gegen Randgruppen, wie das gemeinsame Gefühl des Betrogenwerdens und -seins, wie der Umstand, sich gegenseitig zuraunen zu können, wieder mal hintergangen worden zu sein. Hysterie vereint die Gesellschaft, nicht der Stolz auf Institutionen, auf Sozial- und Rechtsstaatlichkeit und so weiter. Die werden eher geächtet: das gemeinsame Betrogensein birgt die Gemeinschaft. Man steht zusammen weil man scheinbar betrogen wird - das funktioniert sogar klassenübergreifend. Die Empörung ist aber nicht nur heute modern als Klebstoff, sie war es in der letzten deutschen Demokratie auch schon. Sich kollektiv betrogen gefühlt zu haben: genau das war der Grundstock, auf den die ganz besonders empörten Herren in den braunen Phantasieuniformen bauten. Auch jene sprachen von einer Schicksalsgemeinschaft, die aber nicht sie entworfen oder terminologisch ersonnen hatten - sie rauschte in ihrer ganzen Empörung schon seit mehr als einem Jahrzehnt durch den Blätterwald, als man von dem großen Betrug an der gesellschaftlichen Mitte berichtete ..."
- Roberto J. De Lapuente, "Auf die faule Haut: Skizzen & Essays" -
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