"Dem französischen Schriftsteller und Philosophen Albert Camus zufolge ist der Mensch das einzige Geschöpf, das sich weigern kann zu sein, was es ist. Das ist die Voraussetzung dafür, dass ein Mensch zum Rebellen wird. Er kann rebellieren gegen Unterdrückung und Not. Er kann rebellieren gegen ein Leben, das ihm sinnlos oder unwürdig erscheint. Immer wenn ein Mensch zum Rebellen wird, ist eine Grenze des Erträglichen überschritten. Er scheint zu sagen: Bisher konnte ich es noch ertragen, aber jetzt ist Schluss, ich werde mich wehren. An diesem Punkt wird auch deutlich, dass ein Rebell nicht nur immer und ausschließlich gegen etwas ist. Es ist ihm auch an etwas gelegen, das er schützen möchte, weil es ihm wertvoll ist. Wer Ungerechtigkeit anklagt, möchte Gerechtigkeit. Wer sich gegen Sinnlosigkeit wehrt, verlangt nach einem Sinn. Ohne es vielleicht zu wissen, ist jeder Rebell auf der Suche nach der Liebe, nach einer Moral oder etwas Heiligem. Er kennt also neben dem Nein immer auch ein Ja.
Diese zwei Seiten jeder Rebellion können auch zum Widerspruch werden, dann, wenn der Rebell in der Verneinung zu Mittel greift, die seine Prinzipien leugnen, etwa wenn er Gewalt mit Gewalt bekämpft oder Lüge mit Lüge. Nur „mittelmäßigen Herzen“, so Camus, falle es leicht, diesen Konflikt zu lösen. Für „hochgespannte Herzen“ sei dies ein „schreckliches Problem“, aus dem sie oft keinen Ausweg finden, auch wenn es sie in den eigenen Tod treibt."
- Alois Prinz, "Lieber wütend als traurig: Die Lebensgeschichte der Ulrike Marie Meinhof" -