Die Filme der „Sissi“-Trilogie mit Romy Schneider kennt wohl jeder. Spätestens an jedem Weihnachten flimmert das liebliche Gesicht der jungen Kaiserin über die Fernsehbildschirme. Sie wurde das Idealbild einer Märchenprinzessin für Generationen.
Aber war sie das auch nur annähernd?
Als die Historikern Brigitte Hamann die Tagebücher der Kaiserin* im Schweizer Bundesarchiv entdeckte, kam die wahre Kaiserin Elisabeth ans Tageslicht. Und die Wahrheit hatte mit der Film-Sissi ausgesprochen wenig zu tun. Sisi, wie ihr eigentlicher Spitzname lautete, war unglücklich mit ihrem Dasein als Kaiserin, ja. Und ihr wurde viel zu jung eine viel zu große Bürde auferlegt. Sisi war jedoch nicht nur ein Opfer. Sie war eine egozentrische Rebellin.
Von Sisi zur Kaiserin Elisabeth
Sisi kam 1837 als Elisabeth Amalie Eugenie, Herzogin in Bayern als viertes Kind des Herzogs Max Joseph in Bayern und seiner Frau Prinzessin Ludovika zur Welt. Ihre Mutter war die Tochter des bayrischen Königs und ihr Vater ein eigenwilliger, aber sehr wohlhabender Mann. Beide hatten keine Verpflichtungen am Hof, also blieb ihre Lebensgestaltung größtenteils ihnen selbst überlassen. Sisi und ihre Geschwister wuchsen im Herzog-Max-Palais in München auf und verbrachten die Sommermonate im Schloß Possenhofen am Starnberger See. An ihrer Ausbildung hatte Sisi eher wenig Interesse, und Stillsitzen lag ihr erst recht nicht. Durch ihren freigeistigen Vater war die Erziehung nicht streng, und Sisi und ihre Geschwister wuchsen eher undiszipliniert und zwanglos auf.
Sisi (rechts) und ihre Schwester Helene, ca. 1853
Als Sisi 15 war, suchte der 23-jährige Kaiser Franz Joseph von Österreich nach einer Braut. Franz Joseph war Sisis Cousin, seine Mutter Erzherzogin Sophie die Schwester von Sisis Mutter. Eigentlich war Sisis ältere Schwester Helene für den Kaiser vorgesehen, doch als Franz Joseph beiden Mädchen in Bad Ischl begegnete, gefiel Sisi ihm besser. Sisis Mutter kommentierte dies der verängstigten Tochter gegenüber mit „Dem Kaiser von Österreich gibt man keinen Korb“.
Zu jener Zeit, vor ihrer Heirat, war Sisi noch keine Schönheit. Sie war ein verängstigtes Mädchen, das mit bayrischem Akzent sprach und auf keine Weise auf das Leben am Hof vorbereitet war. Bei ihrem Einzug in Wien saß sie tränenüberströmt in ihrer Prunkkutsche. Franz Joseph mag sie zwar gern, aber das Leben an seiner Seite wurde ihr Alptraum. Am 24. April 1854 fand die Hochzeit statt.
„Ich bin erwacht in einem Kerker, und Fesseln sind an meiner Hand.“ So schrieb Sisi selbst in einem Gedicht über die nun folgende Zeit am Wiener Hof. Ihr Mann war mit Staatsangelegenheiten beschäftigt, und ihre Schwiegermutter wollte nun die Erziehung nachholen, die Sisi fehlte. Gut funktionierte das nicht. Der Hof sah auf das unbeholfene Mädchen herab, und sie war mit den an sie gestellten Ansprüchen hoffnungslos überfordert. Dass sie zu zittern begann, wenn ihr jemand zu nahe kam, blieb unbemerkt. Ebenso, dass sie es hasste, zur Schau gestellt und angegafft zu werden. Während ihrer ersten Schwangerschaft schleppte ihre Schwiegermutter sie dennoch in den königlichen Garten, damit das Volk ihren Bauch sehen konnte. Denn das allein war schließlich ihre Aufgabe: Erben zur Welt bringen.
Nachdem sie zwei Mädchen und den ersehnten Thronfolger zur Welt gebracht hatte und ihre älteste Tochter zweijährig gestorben war, forderten dieser Schicksalsschlag, ihr Unglück und die fortwährende Einsamkeit und Isolation am Hof ihren Tribut von Sisis Gesundheit. Sie litt unter dauerndem Husten, und die kaiserlichen Ärzte fürchteten eine Lungenschwindsucht (Tuberkulose). Zudem hungerte sich die vermutlich bereits an Magersucht leidende Sisi auf ein lebensbedrohlich niedriges Gewicht hinunter. Einzig ihrem Mann fühlte sie sich noch zugetan. Doch als der Hofklatsch Franz Joseph eine Affäre unterstellte, floh Sisi vom Hof und reiste zum ersten Mal nach ihrer Heirat nach Possenhofen. Der Skandal wurde vertuscht.
Nachdem man Sisi überzeugt hatte, nach Wien zurück zu kehren, wurde sie sofort wieder schwerkrank. Dieses Mal bestand sie darauf, sich fern vom Hof, auf der Insel Madeira, erholen zu dürfen. Da ihr Leben in Gefahr war, wurde ihr nachgegeben. Doch erneut erkrankte sie wieder, kaum dass sie nach Wien zurückkehrte. Also kehrte sie dem Hof erneut den Rücken, diesmal nach Korfu. Ihre beiden Kinder ließ sie erneut zurück.
Körperkult
Kaiserin Elisabeth, Gemälde von Winterhalter, 1865. Die Existenz der zwei sogenannten „intimen“ Porträts war bis zum Ende der Monarchie öffentlich nicht bekannt, da sie im Arbeitszimmer des Kaisers hingen und nur für dessen Augen bestimmt waren.
Als Sisi nach zweijähriger Abwesenheit an den Hof zurückkehrte, war ihre Schönheit voll erblüht, so wie auch ihr Selbstbewusstsein. Da erkannte Sisi, dass ihre Schönheit ihr Macht verlieh und es ihr ermöglichte, sich Freiheiten zu erkämpfen. Fortan wurde ihre Schönheit zum Mittelpunkt ihres Lebens.
Mit einer Größe von 1,72 m, einem Gewicht von unter 50 kg und einem Taillenumfang von 48 cm hatte Sisi starkes Untergewicht. Sie machte Schlanksein zur Mode an den europäischen Königshöfen. Ihre Figur erhält sie mit Hungern, Reiten und stundenlangen Gewaltmärschen, von denen manchmal entkräftete Hofdamen mit der Kutsche abgeholt werden mussten. Außerdem ließ sie sich eigene Fitnessräume in allen kaiserlichen Palästen einrichten, in denen sie Gymnastik machten und an Geräten trainierte. Sie verursachte einen Skandal mit der Vorstellung, dass eine Kaiserin leichtbekleidet an Turngeräten schwitzte.
Viele Stunden verbringt Sisi jeden Tag mit ihrem Schönheitsprogramm. Über Nacht legte sie sich rohes Kalbfleisch aufs Gesicht, um die Jugend ihrer Haut zu erhalten. Die Wäsche ihrer sehr langen Haare beschäftigt ihr gesamtes Gefolge einen ganzen Tag lang – zum Glück fand dies nur alle drei Wochen statt… Ihr Haar war auch das einzige an Sisi, das mit Parfum besprüht wurde, was sie ansonsten, ebenso wie das in Mode kommende Make-up, ablehnte.
Sie verglich sogar einmal bei einem Treffen ihre Waden mit der Kaiserin von Frankreich, und die beiden hohen Damen griffen zum Zentimetermaß, um zu prüfen, wer die eleganteren Waden hatte.
Eng verbunden mit ihrer Obsession auf ihre Schönheit war Sisi auch versessen darauf, ewig jung zu bleiben. Nachdem sie 31 Jahre alt war, ließ sie sich nicht mehr fotografieren und hatte stets einen Fächer zur Hand, um ihr Gesicht verdecken zu können.
Rebellin
Erst, als ihr sechsjähriger Sohn Rudolf am harten militärischen Drill, der den Thronfolger zu einem Mann machen sollte, zu zerbrechen drohte, handelte Sisi für jemand anderen als sich selbst. Rudolf, sensibel und feingeistig, war nicht dazu geeignet, mit Wasserkuren und Erschrecken „abgehärtet“ zu werden. Sisi drohte ihrem Mann, ihn zu verlassen, wenn sie nicht über die Erziehung ihrer Kinder und über ihre eigenen Angelegenheiten bestimmen dürfe. Franz Joseph gab nach, und von nun an machte Sisi einfach das, was sie wollte. Dazu gehörte leider auch, dass sie ihrem Sohn – der sie sehr liebte – zwar neue Erzieher beschaffte, aber ihn anschließend wieder allein ließ.
Die kaiserliche Familie in Gödöllö, Ungarn, um 1870
Sie begehrte gegen die Zwänge des verhassten Wiener Hofes auf und machte aus Trotz alles, was am Hof verpönt war. So entwickelte sie ein Interesse an Ungarn, der ungarischen Sprache und Kultur sowie an dem ungarischen Freiheitskämpfer Graf Andrassy. In einer ihrer wenigen politischen Aktionen bewirkte Sisi schließlich den Ausgleich mit Ungarn. Franz Joseph erklärte sich zu einem Treffen mit Andrassy bereit, und Sisi hat ein besonderes „Versprechen“ (oder auch Druckmittel) für ihren Mann: Wenn er sich bereit erklärte, sich in Ungarn krönen zu lassen, ist sie bereit, ihm noch einen Sohn zu schenken, der einmal König von Ungarn werden würde.
Bis heute gibt es Gerüchte, dass die Kaiserin eine Affäre mit dem schneidigen Ungar Andrassy gehabt hätte und dass sogar ihr jüngstes Kind Marie Valerie von Andrassy gezeugt worden sei. Doch Sisi hatte ihr Leben lang eher wenig Interesse an Männern und Sex, weswegen dieses Gerücht wohl eher ins Reich der Legenden gehört.
Nach der Krönung in Ungarn verbrachte Sisi die meiste Zeit auf Reisen. Sie ähnelte mehr und mehr ihrem überspannten und narzisstischem Cousin Ludwig II. von Bayern und trug ihre Exzentrik offen zur Schau. Als neuestes Steckenpferd entdeckte sie das Reiten, und sie wurde durch die besten englischen Reitlehrer zu einer der besten Reiterinnen ihrer Zeit. Ihre Gesellschaft suchte sie nicht mehr nach Abstammung, sondern nach der Reitkunst aus. Doch mit den Jahren verweigerte ihr geschundener Körper schließlich den Dienst und machte das Reiten unmöglich. Dann wurde Griechenland ihre neue Obsession. Sie lernte Neu- und Alt-Griechisch, übersetzte Shakespeares Stücke ins Neugriechische und ließ sich auf Korfu das Achilleion, ein Schloss, das ihrem Lieblingshelden Achilles gewidmet war, errichten.
Das Achilleion auf Korfu
Auch ihrer alten Liebe zum Dichten widmete sie sich. Sisi war eine glühende Verehrerin Heinrich Heines, der, wie sie glaubte, ihr die Verse direkt in die Feder diktierte. Ihre Verse waren eine Abrechnung mit der Monarchie und den Habsburgern, nicht gedacht für ihre Zeitgenossen, sondern künftige Generationen, die sie „Zukunftsseelen“ nannte. Sie sollten wissen, dass Sisi im Grunde ihres Herzens Republikanerin war. Sie schrieb Zeilen wie: „Ihr lieben Völker im weiten Reich, So ganz im geheimen bewundre ich euch: Da nährt ihr mit eurem Schweisse und Blut Gutmütig diese verkommene Brut!“. Nachdem sie das Dichten aufgab, ließ sie ihre Manuskripte in der Schweiz hinterlegen. In Österreich, so fürchtete sie, würden sie vernichtet werden.
Nur für ihren Mann, den sie in den letzten Jahrzehnten ihres Lebens fast komplett allein gelassen hatte, verspürte sie Mitleid. Sie verschaffte ihm daher eine Mätresse. Ansonsten blieb sich das Paar freundschaftlich zugeneigt und führte einen regen Briefwechsel. Franz Joseph besuchte Sisi auch gelegentlich während ihrer Auslandsaufenthalte. Nur in Wien hielt sich die Kaiserin kaum noch auf.
Das Ende eines Mysteriums
Der Tod erst ihres Cousins Ludwigs II. 1886 und dann ihres Sohns Rudolf durch eigene Hand 1889 ließ sie völlig in die Schwermut abstürzen. Sie trug nur noch schwarz, und immer wieder spielte sie mit Selbstmordgedanken. Ihr Leben wurde zu einer Odyssee. Noch immer musste sie sich zwanghaft bis zu 10 Stunden am Tag körperlich betätigen. Gleichzeitig mied Sisi die Öffentlichkeit und hatte immer Fächer und Sonnenschirm zur Hand, damit niemand sah, das ihre einstige Schönheit unter dem Alter gelitten hatte. Das befeuerte das Interesse der Journalisten natürlich nur noch mehr.
Im September 1898 reiste Sisi, nun 60 Jahre alt, unter dem Pseudonym Gräfin Hohenems nach Genf. Schweizer Polizeischutz lehnt sie ab, obwohl die Schweiz Anarchisten Asyl gewährte. Doch Sisi fürchtete nicht um ihr Leben – oder es war ihr sogar recht, es zu verlieren. Ihre Anonymität blieb nicht gewahrt, und so griff am 10. September der italienische Anarchist Luigi Lucheni die Kaiserin an und stieß ihr eine dünne, angespitzte Feile ins Herz. Lucheni war eigentlich auf Mission, den französischen Thronprätendenten Henri Philippe d’Orléans zu ermorden, doch dieser war nicht nach Genf gekommen. So spielte der Zufall ihm Sisi in die Hände. Für Sisi war es vermutlich eine Erlösung aus ihrem unglücklichen Dasein.
Letzte Ruhestätte von Elisabeth in Bayern, Kaiser Franz Josef I. und Kronprinz Rudolf in der Franz-Josephs-Gruft, Kaisergruft, Kapuzinerkirche in Wien, by Editha13, under CC BY-SA 4.0
Mythos
Freiheitsliebend, exzentrisch, beiweilen schwermütig – Sisi konnte das Erbe der Wittelsbacher, ihrer Vorfahren, nicht leugnen. Sie war klug und talentiert, sie war mehr als nur ihr Aussehen. Jedoch hat sie aus ihren Talenten nichts gemacht und war ihr Leben lang unglücklich und rastlos. Sie widersetzte sich den antidemokratischen Strömungen am Hof, förderte den Liberalismus, doch außer ihrem Einsatz für den Ungarn-Ausgleich tat sie nichts, um politisch etwas zu bewegen.
Dieses zweite Porträt der Kaiserin von Winterhalter war des Kaisers Lieblingsporträt und befindet sich gegenüber seinem Arbeitsschreibtisch.
Unbestreitbar war ihre Situation nahezu unerträglich, gerade in jungen Jahren. Und die Aufgabe, die man ihr aufzwang, war viel zu groß für sie. Dieser Druck, verbunden mit dem Erbe ihrer Vorfahren, führten zu zahlreichen psychischen und physischen Problemen. Heutige Ärzte hätten vermutlich bei Sisi mindestens Depressionen und Magersucht (oder eine andere Eßstörung) diagnostiziert. Dass sie so weder eine liebevolle Ehefrau und Mutter noch eine verantwortungsvolle Landesmutter sein konnte, ist naheliegend.
Eine Mutter ist sie nur ihrer jüngsten Tochter Marie Valerie gewesen, die man hinter vorgehaltener Hand deswegen auch „Die Einzige“ nannte. Gerade ihr Sohn Rudolf hätte wohl eine Mutter gebraucht: Sisi im Wesen sehr ähnlich soll er seine Mutter vergöttert haben. Sein Vater hatte sich stets einen kleinen Soldaten als Sohn gewünscht, was Rudolf nie erfüllen konnte. Hätte mehr mütterliche Liebe gar Rudolfs Absturz in Ausschweifungen, Depressionen und letztlich Selbstmord verhindern können? Schwer zu sagen, doch mehr Einfluss hätte Sisi sicher auf die Entwicklung ihres Sohns nehmen können.
Die Nachwelt verklärte sie zur romantischen Figur, weswegen sie bis heute wohl die berühmteste Habsburgerin ist. Jede Generation projezierte ihre Sehnsüchte auf sie, und heute wird sie oft als „Zwillingsseele“ von Prinzession Diana gehandelt.
„Die Seele gab es nie, die mich verstand.“
Links:
Zeit Online: Die Fremde am Hof (Brigitte Hamann)