Sinn und Unsinn einer Zertifizierung im Gesundheitshandwerk – ein Gastbeitrag von Orthopädieschuhmachermeister Hans-Georg Ahrens, Brake

Sinn und Unsinn einer Zertifizierung im Gesundheitshandwerk – ein Gastbeitrag von Orthopädieschuhmachermeister Hans-Georg Ahrens, Brake

© Klaus-Uwe Gerhardt / pixelio.de

Wenn es irgendeine Person im Bereich der Orthopädie-Schuhtechnik gibt, der sich in den letzten Jahren über den Sinn und den Unsinn einer Zertifizierung in diesem Handwerk Gedanken gemacht hat, dann ist es Herr Orthopädieschuhmachermeister Hans-Georg Ahrens aus Brake. Wer Näheres über ihn erfahren will, dem rate ich zu diesem Link.

Herr Ahrens, mit dem ich mich schon sehr häufig und – vor allen Dingen äusserst konstruktiv – über die Probleme der Orthopädieschuhtechnik ausgetauscht habe (und von dem ich auch viele technische Informationen erhalten habe, die man als Hintergrundinformationen einfach braucht), hat mir eine Stellungnahme zum Artikel:

Die Zertifizierungsverpflichtung von Betrieben der Orthopädieschuhtechnik: Das MGEPA NRW hat auch eine Meinung!

zugeleitet, und diese ist es wert, gesondert dokumentiert zu werden:

Sehr geehrter Herr Scherer,

traurig, traurig. Eigentlich wollte ich Ihnen in Ihrem Blog antworten, wie sie wissen ist QM ja auch irgendwie mein Thema. Es ist dann aber doch etwas umfangreicher geworden, deshalb sende ich Ihnen meine Gedanken dazu nachfolgend.

Traurig aber wahr, der Mensch lernt anscheinend nicht dazu. Bereits Jean-Jacques Rousseau (1712 – 1778) formulierte: „Die Menschen sind böse; eine traurige und fortdauernde Erfahrung erübrigt den Beweis; jedoch, der Mensch ist von Natur aus gut, ich glaube, es nachgewiesen zu haben; […] Man bewundere die menschliche Gesellschaft, soviel man will, es wird deshalb nicht weniger wahr sein, dass sie die Menschen notwendigerweise dazu bringt, sich in dem Maße zu hassen, in dem ihre Interessen sich kreuzen, außerdem sich wechselseitig scheinbare Dienste zu erweisen und in Wirklichkeit sich alle
vorstellbaren Übel zuzufügen.“

…der Mensch ist von Natur aus gut…? Ich würde eher sagen: der Mensch ist von Natur aus träge. Das könnte vielleicht erklären, warum das Ministerium es sich anscheinend sehr einfach gemacht hat. Aber so
einfach ist es leider nicht.

Qualitätsmanagementsysteme sind unbestritten eine feine Sache für die Betriebe. Es geht doch dabei darum, bei einer Optimierung der Produktionsprozesse und des Materialeinsatzes die Sicherung einer definierten Qualität sicherzustellen, also die gewünschte Qualität nicht zu unterschreiten.

Es geht dabei also nicht, wie vielfach missverstanden wird, um eine Qualitätsmaximierung.

Qualitätsmanagement ist als ein betriebswirtschaftliches Instrument und jeder wirtschaftlich geführte Betrieb hat ein solches System wenn er am Markt existieren will. Qualitätsmanagement ist in der Industrie unabdingbar, sowie in allen Bereichen mit der „verlängerten Werkbank“, also in den Betrieben die für andere fertigen, oder die vor- bzw. teilgefertigte Produkte in ihren eigenen Produkten einsetzen.

Ein Betrieb der ein Vorprodukt einsetzt gibt die Qualitätskriterien vor, die er für für das weitere Produkt benötigt. Der Vorlieferant muss jetzt gewährleisten, dass er Produkte mit genau dieser Qualität liefern kann und das nicht nur einmal, sondern dass er leistungsfähig ist und eben systematisch, nachvollziehbar produziert. Gerade bei Serienproduktionen
ist es doch wohl für jeden einleuchtend dass ein Qualitätsmanagementsystem sinnvoll ist.

Stellt sich doch dann aber die Frage, was systematisch ist.

„Systematisch“ – das wird in jedem Betrieb sicherlich anders verstanden und auch so sein. Trotzdem, bei Betrieben, die die gleichen Produkte herstellen wird es auch sicherlich parallelen geben und so kommt man zu Normen. Es gibt viele unterschiedliche Normen, aber es gibt eine einheitliche Norm, die DIN EN ISO 9001 nach der eine Vielzahl von Betrieben aus den unterschiedlichsten Bereichen, egal ob Hersteller oder Dienstleister, ein Qualitätsmanagement einführen können.

Für die Hersteller von Medizinprodukten allerdings gibt es eine spezielle Norm, die DIN EN ISO 13485. Diese Norm ist für alle Hersteller die gemäß Medizinproduktegesetz ein QM-System haben müssen zwingend vorgeschrieben. Hersteller von Medizinprodukten die der gesetzlichen Anforderung nicht unterliegen können wählen, ob sie ihr System auf der DIN EN ISO 9001 oder der DIN EN ISO 13485 aufbauen.

Der Aufbau eines QM-Systems nach einer Norm hat in jedem Fall zum Ziel, dass die Abnehmer der Produkte einen bessere Vergleichsmöglichkeit des Wettbewerbs haben.

Wer nun ein Qualitätsmanagement nach einer Norm in seinem Betrieb eingeführt hat, hat drei unterschiedliche Möglichkeiten dieses nach außen darzustellen. Das eine ist die Konformitätserklärung, in der er selbst erklärt, dass das QM-System der Norm entspricht. Die zweite Möglichkeit ist, dass er sich einen Dritten sucht, der Ihm dieses mit einem Zertifikat bestätigt. Die dritte und höchste Stufe ist die, eine zugelassen „akkreditierte“ Stelle zu beauftragen sein QM-System auf
Normgerechtheit und die Umsetzung in die Praxis zu prüfen.

Das kann man also alles machen. Die Frage ist aber doch, ob man auch alles machen muss, was man machen kann. Und da muss man doch für den Bereich der Orthopädieschuhtechnik deutliche Zweifel haben. Ich möchte hier nicht falsch verstanden werden, ich halte die Einführung des QM-Systems nach der DIN EN ISO 13485 für sinnvoll, aber nicht die
akkreditierte Zertifizierung. Die Abnehmer der Produkte der Orthopädieschuhtechnik verarbeiten diese ja nicht in eigenen Produkten weiter, sondern es sind ja die Endverbraucher, die diese Produkte im täglichen Gebrauch nutzen und testen. Sie beziehen die Produkte nicht über einen Zwischenhandel, sondern haben einen direkten Kontakt.

Also eine akkreditierte Zertifizierung am Ende einer Produktionskette macht wirklich nicht nur keinen Sinn, sondern widerspricht sogar dem Grundgedanken des Qualitätsmanagements, denn dabei geht es ja um die Optimierung der eingesetzten Ressourcen, wozu Geld ja zweifellos gehört.

Sinnvoller wäre es an dieser Stelle ergebnisorientierte Qualitätssicherung zu betreiben um zu dokumentieren dass und wie das verordnete Hilfsmittel am Patienten wirkt. Dieses System müsste dann aber zwangsweise alle Prozesse – von der Verordnung bis zum Empfang das Hilfsmittels inklusive Nachkontrollen – beinhalten, also auch den Prozess des Genehmigungsverfahrens bei der Krankenkasse.

Einen Ansatz und ersten Schritt dazu hatte der ZVOS mit seiner Qualitätsoffensive Ende 2006 / Anfang 2007 begonnen.

Nachdem von Seiten der LI Bayern und des LIV NRW aber in einer Sitzung am 08. Mai 2007 erklärt wurde, dass sie dieses System nicht mittragen wollten, sondern dass Bayern an seiner Matrixzertifizierung festhalten und NRW das „Bayern-System“ einführen wolle, lief die ZVOS-Qualitätsoffensive ins Leere.

Der ZVOS hat in seinen Rundschreiben an die Mitgliedsbetriebe die Verpflichtung zur Zertifizierung nicht befürwortet, sondern immer darauf hingewiesen, dass dieses eine Forderung von Krankenkassen sei und nach dem Abschluss des BEK-Vertrages mit seinen Folgen, wurde von Seiten des ZVOS versucht diese Folgen möglichst zu begrenzen.

Von Seiten des LIV-NRW war das anders. Dort hat man sich an die Berater gewandt, die bereits das „Bayern-System“ eingeführt hatten. Bei der in dem Schreiben des Ministeriums zitierte Auflistung der Kosten sind auch einige Fehler unterlaufen, denn bei der Firma HAWE-Service GmbH handelt es sich um eine Beratungsfirma und nicht, wie fälschlicherweise im dem Schreiben steht, um eine Zertifizierungsstelle.

Nicht korrekt ist bei der Berechnung die anscheinend vorgenommene Zusammenfassung von Beratungsleistung und Zertifizierungskosten. Gerade bei einer akkreditierten Zertifizierung sind Berater und Zertifizierer zwingend zu trennen.

Hier wurden aber offensichtlich die Kosten zusammen gerechnet.

Die Förderung des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle wurde mit 1450 EUR angegeben. Diese Förderung kann nur für Beratungsleistungen in Anspruch genommen werden in einer Höhe von 40% der Beratungskosten, nach oben begrenzt auf maximal 1500 EUR. Das würde bedeuten, dass für die Beratungsleistungen Kosten in Höhe von 3625 EUR entstanden sind und der Zerifizierer 705 EUR für die Erstzertifizierung erhalten hat. So käme man auf die Summe von den angegebenen 4330 EUR.

Da ist es ja prima, dass auch die Möglichkeit von Ratenzahlungen angeboten werden, sogar in Höhe von nur 100 EUR (ich vermute mal monatlich?) Aber – nachgerechnet hat das wohl keiner, denn für 5 Zertifizierungsjahre fallen Kosten in Höhe von 7520 EUR an, bei 100 EUR monatlich kommt man aber ja nur auf 6000 EUR.

Hier schließt sich dann wieder der Kreis. Eam Ende ist man doch wieder am Anfang und muss Rousseau zustimmen: „Die Menschen sind böse…“

Mit freundlichen Grüßen
Hans-Georg Ahrens


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